Licht und Dunkelheit, Leben und Tod

Wenn das Lebenslicht erlischt

Das Lebenslicht ist ein Symbol für das menschliche Leben. Was geschieht, wenn er erlischt? Was hat es mit dieser Lichtmetaphorik auf sich? Eine Spurensuche in Märchen und Sagen.

Wenn das Lebenslicht erlischt

Das Lebenslicht ist ein Symbol für das menschliche Leben. Die dahinterstehende Lichtmetaphorik ist ein uraltes, universales und viel verwendetes Sinnbild, um das helle Leben vom finsteren Tod abzugrenzen.

Von Markus Brauer

Der Tod ist der definitive Verlust aller Lebensfunktionen, das Sterben der Übergang vom Leben zum Tod, der eingetretene Tod der „Exitus letalis“ (tödliche Ausgang). Täglich gehen ünzähilige Menschen diesen Weg. Sie sterben: einsam oder begleitet von Familie und Freunden. Beweint oder vergessen, verzweifelt oder friedlich. Für das Sterben gibt es keine Norm. Jeder begegnet dem Tod anders. Jeder geht den letzten Weg auf ganz individuelle Weise.

Der Tod ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, auch wenn viel Zeit und Mühe darauf verwendet wird, ihn in Hinterzimmern und Abstellkammern zu verbergen, damit möglichst wenige von seinem Schrecken mitbekommen.

Und dennoch ist er immer da, vor allem in den Köpfen der Menschen. Der Gedanke sterben zu müssen, vor allem die Angst vor todbringenden Krankheiten bereitet ihnen eine Heidenangst.

Lebenslicht – Symbol für das menschliche Leben

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“, sagt Jesus von Nazareth im Johannesevangelium (Kapitel 8, Vers 12) der Bibel. Doch ungeachtet dieser tröstenden Botschaft tritt irgendwann jeder einmal in die Finsternis ein und begegnet dem Tod.

Was geschieht, wenn das Sterben naht und das Lebenslicht erlischt? Wenn der letzte Funke Leben aus einem Sterbenden entweicht und er die definitive Schwelle zum Tod überschreitet? Eine Schwelle, die jeder irgendwann überschreiten wird und von der kein Lebender ahnt, geschweige denn weiß, ob und was auf ihn zukommt.

Das Lebenslicht ist ein Symbol für das menschliche Leben. Die dahinterstehende Lichtmetaphorik ist ein uraltes, universales und viel verwendetes Sinnbild, um das helle Leben vom finsteren Tod abzugrenzen. Das Lebenslicht wird auch als Lebenskerze, Lebensfackel oder Lebensdocht umschrieben.

Das Motiv findet sich Sagen und Märchen – so beispielsweise in der nordischen Nornagest-Saga, in Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Plisch und Plumm“ sowie im Märchen „Der Gevatter Tod“ der Brüder Grimm.

„Plisch und Plumm“: Lebensdocht erlischt

In Wilhelm Buschs Bildergeschichte „Plisch und Plum“ (1882) geht es um zwei ungezogene junge Hunde namens Plisch und Plum, die vom alten Kaspar Schlich ertränkt werden sollen. Am Ende stirbt der alte Kaspar Schlich selbst an seiner Missgunst.

„Plötzlich fühlt er einen Stich,

Kriegt vor Neid den Seelenkrampf,

Macht geschwind noch etwas Dampf,

Fällt ins Wasser, dass es zischt,

Und der Lebensdocht erlischt.“

 

Leben als Funken und sein Erlöschen als Tod

Die Redensart „das Lebenslicht erlischt“ ist seit dem 19. Jahrhundert geläufig. Heutzutage würde man sagen: „Jemandem das Licht ausknipsen.“ Die Metaphorik hingegen ist sehr viel älter. Der Vergleich des Lebens mit einem Feuer oder Licht, das beim Tode endgültig erlischt, ist seit der griechischen und germanischen Antike sowie aus vielen Kulturkreisen wie den nordamerikanischen Indianern bekannt. Auch die Israeliten sahen das Leben als Funken und sein Erlöschen als den Tod an.

Die griechische Kunst wählte die Darstellungsform der umgestürzten und erloschenen Fackel für den Tod. Im Märchen der Brüder Grimm „Der Gevatter Tod“ brennen in der Höhle des Todes tausends Kerzen, deren unterschiedliche Länge die verstrichene Lebenszeit der durch die Kerzen symbolisierten Menschen darstellt.

Vom Leben und Sterben Nornagests

In der alt-isländischen „Nornagests þáttr “ („Nornagest-Saga“) steht geschrieben: Als Nornagest, Sohn des dänischen Fürsten Thord zu Gröning, geboren ward, betraten drei Nornen – weissagende, alte Frauen – den Saal. Die beiden ältesten prophezeiten Nornagest Heldenkraft und Sangeskunst.

Die dritte fühlte sich düpiert und entgegnete: „Nornagest soll nicht länger leben, als das neben ihm brennende Licht brennt.“ Die älteste der Frauen löschte daraufhin das Licht und gab es der Mutter mit dem Hinweis, es nicht eher wieder anzuzünden, bis Nornagest selber sterben wolle.

Nornagest wurde Barde und trug das Licht in seiner Harfe mit sich herum, bis er 300 Jahre alt geworden war. Zu dieser Zeit drang das Christentum nach Norden vor und bedrängte den alten Götterglauben, sodass Nornagest nicht länger leben wollte.

Er ging mit seiner Harfe an den Meeresstrand, entzündete das Licht und sang sein Totenlied, bis das Licht erlosch. Dann neigte er sterbend sein Haupt.