Wenn ein Kind einem Idol „verfällt“

Ob Poplegende oder Fußballstar – für Jugendliche stehen ihre Stars oft an erster Stelle. Das kann für den Rest der Familie zwar anstrengend sein, bietet jedoch auch Chancen. Armin Holp vom Kreisjugendring Rems-Murr sagt: „Vom Grundsatz her sind Idole etwas sehr Gutes.“

Wenn ein Kind einem Idol „verfällt“

Wenn die Lieblingsband auftritt, gilt es für die Fans, die Kamera oder das Smartphone parat zu halten.Symbolbild: shocky / Adobe Stock

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Es geschah über Nacht – bei dem sonst eher teenagertypisch missmutig verzogenen Gesicht zeigte sich immer häufiger ein verklärtes und glückseliges Lächeln. Der Anlass? Die damals 13-Jährige aus einer Backnanger Umlandgemeinde hat „ihr“ Idol für sich entdeckt. In dem speziellen Fall sogar gleich sieben Mitglieder der südkoreanischen Band BTS.

Die Musik läuft rauf und runter, was den übrigen Familienmitgliedern mittlerweile eine bewundernswerte Zurückhaltung und Toleranz abverlangt. Die Tätowierungen der Bandmitglieder werden hingebungsvoll mit Eyeliner auf den Arm gezaubert und Südkorea ist plötzlich das Land der Träume. Den beeindruckenden Ehrgeiz, der dazu gehört, diese asiatische Sprache zu erlernen, wünschen sich die Eltern auch dann sehnsüchtig, wenn es darum geht, die schulüblichen Fremdsprachen zu büffeln. Eigentlich ganz normal – oder doch nicht?

„Das Phänomen scheint während der Pandemie regelrecht explodiert zu sein“, findet Armin Holp. Dem Bildungsreferenten beim Kreisjugendring Rems-Murr ist dabei im Laufe der Jahrzehnte jedoch ein starker Wandel aufgefallen. Schon vor 60 Jahren habe es Teenageridole gegeben, die die Jugend zum Kreischen und die Eltern zur Verzweiflung getrieben haben, man denke nur an die Hysterie um Elvis oder die Beatles. Einige wenige Stars haben damals polarisiert – entweder man vergötterte die Pilzköpfe oder die rotzigen Rolling Stones. Doch im Laufe der Jahre hat sich das gewandelt. Es entstanden immer mehr Subkulturen, etwa der Punk in den 1970er-Jahren, später Pop und Hip-Hop oder Heavy Metal. Und somit dienten immer mehr Künstler als Idole. „Man hat sich stark mit der jeweiligen Subkultur identifiziert und diese war besonders vom Musikstil geprägt“, so Armin Holps Eindruck.

Die Menschen haben sich schon immer an Vorbildern orientiert

Heute hat sich das viel mehr verzweigt und ist schon lange nicht mehr nur auf Musik und Schauspieler begrenzt. Sportstars werden verehrt; der am meisten besuchte Social-Media-Account etwa gehört dem Fußballer Mesut Özil. Die Animeszene ist dazugekommen, Cosplayer (eine japanische Fanpraxis, die seit den 1990er-Jahren auch in den USA und Europa immer stärker verbreitet ist; dabei wird eine Figur aus einem Anime, Manga, einem Videospiel oder Ähnlichem möglichst ähnlich dargestellt) besitzen eine große Fangemeinde und auch Influencerinnen und Influencer haben, wie schon der Name sagt, großen Einfluss bei ihren Followern.

„Vom Grundsatz her sind Idole etwas sehr Gutes“, findet Armin Holp. Schon immer hätten sich Menschen an Vorbildern orientiert, etwa Kinder an Eltern oder Lehrern. Besonders in der Pubertät, wenn es für Jugendliche darum geht, sich von den Eltern abzugrenzen, könnten neue Idole bei der eigenen Orientierung helfen und viele gute Akzente setzen. Ein großer Unterschied zu früher sei jedoch, dass man durch Social Media und Internet kontinuierlichen „Zugriff“ auf das jeweilige Idol habe. Man werde ständig getriggert und verbringe mehr Zeit an den entsprechenden Geräten, um ja nichts zu verpassen.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die Möglichkeiten weit begrenzter als heutzutage. Alle Jubeljahre einmal konnte man Konzerttickets erhaschen, oft musste man jahrelang auf ein neues Album oder einen neuen Film mit dem Lieblingsstar warten. Über Youtube-Kanäle, eigene Apps, Social Media sind die Stars von heute immer präsent. Es gib zum Teil sogar die Möglichkeit, direkt mit ihnen in Kontakt zu treten. Hat man besonderes Glück, wird auf ein Posting gar reagiert. Doch wer hierfür besonders empfänglich ist, kann sich leicht verlieren. Dabei ist das Engagement der Jugend eigentlich bemerkenswert. Man steht auch mal mitten in der Nacht auf, um bei einer Liveschaltung in Korea dabei zu sein.

An diesem Abend dreht sich im Treffpunkt 44 eigentlich alles um Fußball. Die Teenager sprudeln fast über bei der Frage nach ihrem Lieblingsvorbild. Für Muhamad, der bei diesem Thema regelrecht aufblüht, ist klar – Lionel Messi ist der Top-Fußballer. Was den 15-Jährigen an dem Argentinier besonders beeindruckt? „Er macht alles für seine Mannschaft.“ Dann fällt ihm noch jemand ein. Vom ägyptischen Spieler Mohamed Salah weiß er viele Details, besonders beeindruckt den jungen Fußballer, dass Salah mit dem linken Fuß spiele. „Schade, ich spiele leider mit dem rechten.“ Und warum weiß er so viel über den Rechtsaußen beim FC Liverpool? „Er ist Araber, ich weiß alles über ihn.“ Den jungen Syrer erfüllt Salahs Erfolg gewissermaßen stellvertretend mit großem Stolz.

Auch wenn der 16-jährige Abdul nicht selbst kickt, verfolgt er jedes Spiel seiner Lieblingsmannschaft Real Madrid. Seine Stars sind Karim Benzema und Vinicius Junior: „Die können richtig gut Fußball spielen.“ Mustafa kickt selbst und er möchte einmal so gut werden wie Weltmeister Roberto Carlos: „Er kann sehr gut schießen und ist sehr stark.“
Doch es gibt auch andere Stimmen. Für die zwölfjährige Amina etwa ist Kim Kardashian ein großes Vorbild: „Sie ist ein Model, sie hat sehr viel erreicht.“ Und das gilt nicht nur für ihren unternehmerischen Erfolg. Ebenfalls vorbildlich: „Sie hat eine tolle Familie und mit ihren Kindern alles im Griff.“

Sich an einem Vorbild zu orientieren, kann sich günstig auf die Entwicklung des Jugendlichen auswirken. Doch lauern durchaus auch Gefahren darin, beispielsweise wenn bestimmten Werten oder Verhaltensmustern nachgeeifert wird, die weder für die körperliche noch für die geistige Entwicklung förderlich sind, Stichwort Essstörung. Für Eltern empfiehlt es sich daher, im Blick zu haben, für wen der Nachwuchs schwärmt und im Gespräch zu bleiben.

Immerhin kann das zu manch netten gemeinsamen Aktivitäten von Eltern und Kindern führen, etwa dem Konzertbesuch bei einem Künstler, von dem man vorher noch nie gehört hat. Und plötzlich, wenn genau dieser dann auf einen zeigt und laut: „Thank you, mum“ ruft, fühlt man sich auf einmal wie etwas ganz Besonderes.

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