Eine aktuelle Erhebung beleuchtet die Digitalisierung der Krankenhäuser. Beispiele aus Stuttgart zeigen, was das in der Praxis bedeutet.
Im digitalisierten Krankenhaus können Ärzte von überall auf wichtige Patientendaten zugreifen. Unser Bild zeigt einen digitalen Visitenwagen im Diakonie-Klinikum.
Von Werner Ludwig
War dieser Patient schon mal hier? Welche Befunde liegen über ihn vor und welche Medikamente bekommt er in welcher Dosierung? Früher mussten Krankenhausärzte umständlich in Papierakten nachschlagen, um solche Fragen zu klären. Heute genügt dafür in vielen Kliniken ein Blick auf das Smartphone oder Tablet.
„Durch die mobile digitale Patientenakte verbessert sich die Behandlungssicherheit“, sagt Jan Steffen Jürgensen, Ärztlicher Direktor des Klinikums Stuttgart. So prüfe das System Medikamentenverordnungen automatisch auf ihre Plausibilität – insbesondere mit Blick auf die richtige Dosierung und mögliche Wechselwirkungen zwischen mehreren verordneten Präparaten. Bei Auffälligkeiten erscheint ein entsprechender Warnhinweis.
„Ohne Digitalisierung wird das Gesundheitssystem die künftigen Anforderungen nicht erfüllen können“, sagt Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus, zu dem auch das Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) gehört. Mittelfristig stünden für Behandlung und Pflege von Patienten rund ein Drittel weniger Fachkräfte zur Verfügung. Hinzu kommen eine alternde Gesellschaft und teure medizinische Innovationen.
Die KI erstellt den Bestrahlungsplan
Das Diakonie-Klinikum in Stuttgart nennt als eines von vielen Beispielen für Digitalisierung die Erstellung von Bestrahlungsplänen in der Tumortherapie mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei müsse die Strahlenempfindlichkeit jedes Organs berücksichtigt werden. Eine Person sei mit der Erstellung eines Bestrahlungsplans üblicherweise stundenlang beschäftigt.
„Eine seit etwa einem Jahr eingesetzte Software kann das unter Einsatz von KI mittlerweile in weniger als zehn Sekunden erledigen“, sagt ein Sprecher. Das größte aktuell laufende Digitalisierungsprojekt am Diakonie-Klinikum ist ein Onlineportal, über das kooperierende Arztpraxen etwa Termine für einzuweisende Patienten reservieren können. Dazu gehört auch der digitale Austausch von Dokumenten und Patientendaten. Auch die Patienten selbst können auf das Portal zugreifen.
Digitale Technologien wie elektronische Akten, Videosprechstunden oder KI sollen nicht nur für mehr Effizienz und Kosteneinsparungen sorgen, sondern auch die Qualität der Behandlung verbessern, so die Erwartung von Gesundheitsexperten und -politikern. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems zwar im internationalen Vergleich hinterher, doch mittlerweile sind auch hierzulande spürbare Fortschritte zu verzeichnen – etwa das E-Rezept oder die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte EPA.
OP-Planung und Spracherkennung
Im Klinikum Stuttgart optimiert eine KI-basierte Software die OP-Planung für die rund 50 Operationssäle und stellt die jeweils benötigten Instrumente zusammen. KI helfe inzwischen auch dabei, aus umfangreichen PDF-Dokumenten in Patientenakten eine Zusammenfassung mit den wesentlichen Punkten zu erstellen, berichtet RBK-Chef Alscher. In vielen Kliniken kommt auch KI-gestützte Spracherkennung zum Einsatz, um die Befunde von Ärzten oder Anamnesegespräche mit Patienten zu dokumentieren. „Auf Basis solcher digitalen Mitschnitte werden strukturierte Kurzarztbriefe erstellt“, so Jürgensen.
Wenn Ärzte und Pflegepersonal dank digitaler Prozesse bei den immer aufwendigeren Dokumentationspflichten entlastet würden, hätten sie mehr Zeit für die Begleitung und Behandlung von Patienten, heißt es beim Diakonie-Klinikum. „Digitalisierung schafft auch an vielen Stellen mehr Patientensicherheit“, so der Sprecher.
Die Fortschritte im Krankenhaussektor schlagen sich auch in den aktuellen Ergebnissen des „Digitalradars Krankenhaus“ nieder, mit dem die digitale Reife der rund 1600 teilnehmenden Kliniken erhoben wird. Bei der letzten Erhebung im Jahr 2024, deren wichtigste Ergebnisse unserer Redaktion vorliegen, kamen die deutschen Krankenhäuser im Durchschnitt auf 43 von 100 möglichen Punkten – gegenüber 33 Punkten bei der ersten Erhebung 2021.
Gute Noten für Stuttgarter Kliniken
In Baden-Württemberg verbesserten sich die Resultate von durchschnittlich 33 auf 41 Punkte und damit etwas weniger deutlich als im Bund. Landesweit am besten schneidet mit 67 Punkten die Uniklinik Freiburg ab. Auch die Stuttgarter Häuser liegen über dem Landesdurchschnitt. Auf Platz eins liegt hier mit 62 Punkten das Diakonie Klinikum. Das Klinikum Stuttgart und das RBK kommen auf 57 und 58 Punkte.
Die Klinikverantwortlichen verweisen aber auch auf Faktoren, die den digitalen Fortschritt bremsen. Jürgensen nennt als Beispiel die eingeschränkten Abrechnungsmöglichkeiten für telemedizinische Angebote. Alscher beklagt, dass es in den Kliniken so viele unterschiedliche IT-Systeme gebe. „Was wir bräuchten, ist eine gemeinsame Cloud, aus der sich alle Krankenhäuser bedienen können“. Die Softwareanbieter hätten jedoch wenig Interesse an so einer gemeinsamen Lösung. „Da ist der Gesetzgeber gefragt“, sagt der RBK-Chef.
Die Techniker Krankenkasse (TK) hält es für wichtig, dass die Kliniken keine digitalen Insellösungen schaffen. „Nur wenn Patientinnen und Patienten Unterlagen und Daten von allen medizinischen Einrichtungen in einer elektronischen Patientenakte speichern können, ist der flächendeckende Aufbau eines digital vernetzten Gesundheitswesens möglich“, betont Nadia Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg.
Digitalisierung im Fokus
Erhebung Die Ergebnisse des Digitalradars Krankenhaus beruhen auf einer Selbstauskunft der Kliniken im Rahmen einer Online-Befragung mit anschließender Qualitätsprüfung. Teilgenommen haben rund 1600 der insgesamt knapp 1900 Kliniken in Deutschland. Im Südwesten wurden 163 Kliniken unter die Lupe genommen.
Kriterien Zu den Bewertungskriterien zählen unter anderem die Leistung und Sicherheit der IT-Systeme, die Dokumentation und der Zugriff auf medizinische Daten. Hinzu kommt der Informationsaustausch innerhalb der Belegschaft sowie mit externen Stellen. Weitere Kriterien sind die telemedizinische Ausstattung und der Zugang der Patienten zu medizinischen Informationen.
Ergebnisse Die Größe der Kliniken hat einen deutlichen Einfluss auf die digitale Reife. Während sich Häuser mit mehr als 600 Betten von 41 auf 51 Punkte steigern konnten, verbesserten sich die Häuser mit weniger als 300 Betten von 30 auf 37 Punkte.
Finanzierung Bund und Land investieren kräftig in die Digitalisierung der Krankenhäuser. Mit Hilfe des Digitalradars wird erhoben, inwieweit diese Mittel zu Verbesserungen führen. Das Geld kommt aus dem 4,3 Milliarden Euro schweren Krankenhauszukunftsfonds. Die Bundesländer haben dafür 1,3 Milliarden Euro bereitgestellt, davon 167 Millionen Euro aus Baden-Württemberg.