Wie es jetzt weitergeht bei Bosch in Murrhardt

Nachdem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung zur Neuausrichtung des Bosch-Werks Murrhardt geeinigt haben, geht es um die Umsetzung. Betriebsratsvorsitzender Jürgen Voag und Matthias Fuchs, Geschäftsführer der IG Metall Waiblingen/Ludwigsburg, skizzieren die ersten Wegmarken.

Wie es jetzt weitergeht bei Bosch in Murrhardt

Bei einer Protestkundgebung noch während der Verhandlungen war der Appell der Auszubildenden, es nicht so weit kommen zu lassen, die Ausbildung zu Grabe tragen zu müssen. Das ist gelungen. Es wird weiterhin fünf von bislang zehn Stellen für Auszubildende pro Jahr im Murrhardter Werk geben. Archivfoto: Jörg Fiedler

Von Christine Schick

Murrhardt. Noch vor den Sommerferien hatte der Bosch-Konzern über eine Einigung der Arbeitgeberseite und der Arbeitnehmervertreter berichtet, was die Zukunft des Werks in Murrhardt anbelangt. Deutlich wurde, dass im Vorfeld hart miteinander gerungen worden war, ging es einerseits doch um die Verlagerung der Montage industrieller Schraubtechnik an einen Rexroth-Standort nach Slowenien sowie den Abbau von Arbeitsplätzen, andererseits um den Werkserhalt und ein Zukunftskonzept, was die Arbeitnehmervertretung eingefordert hatte.

Im Gespräch mit Jürgen Voag, Betriebsratsvorsitzender bei Bosch in Murrhardt, und Matthias Fuchs, Geschäftsführer der IG Metall Waiblingen/Ludwigsburg, wird deutlich, dass die Neuausrichtung nach der Einigung ein nicht ganz einfacher Spagat und eine Herausforderung in der konkreten Umsetzung ist. Trotzdem machen die beiden deutlich, dass aus ihrer Sicht durch das Ringen um Lösungen und die konstruktive Zusammenarbeit in diesem Sinne auch einiges erreicht wurde und die nun festgeschriebenen Regelungen – Interessensausgleich, Sozialplan sowie Zukunftskonzept – auch neue Entwicklungsmöglichkeiten beinhalten.

Keine betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2028

„Dass dieser Abschluss im gemeinsamen Dialog in dieser Form gelungen ist, ist wirklich gut“, sagt Jürgen Voag. Matthias Fuchs unterstreicht den Dreh- und Angelpunkt aus seiner Sicht: „Es gibt keine betriebsbedingten Kündigungen bis Ende 2028, das ist wichtig“, da somit vergleichsweise viel Zeit für den Transformationsprozess bleibt.

Denn auch klar ist, dass mit dem Abschluss ein nicht unerheblicher Anteil an Arbeitsplätzen wegfallen wird. Das Pressestatement des Konzerns hatte dazu im Juli mitgeteilt: „In dieser neuen Aufstellung wird der Standort künftig rund 280 Mitarbeitende beschäftigen; das sind rund 150 Mitarbeitende weniger als aktuell“, und skizziert, wie Beschäftigte bei einer Um- beziehungsweise Neuorientierung begleitet werden können.

Diese Zahlen sind für Jürgen Voag aber nicht in Stein gemeißelt und es macht für ihn wenig Sinn, sie nun zu Beginn der Veränderungsprozesse zum alleinigen Ausgangspunkt zu nehmen. Das hängt auch mit der komplexen Aufgabe zusammen, einen Ausgleich beziehungsweise die Balance zwischen Verkleinerung der Mannschaft im laufenden Geschäft bei gleichzeitiger Weiterentwicklung und Aufstellung für die Zukunft zu finden. Längerfristig besteht für Fuchs auch die Chance, dass sich mit der Neuausrichtung Arbeitsplätze zurückgewinnen lassen.

„Eine lösbare Herkulesaufgabe“

Den Personalbedarf aber jetzt zunächst an die neuen Gegebenheiten anzupassen kann beispielsweise heißen, Beschäftigten Vorruhestandsregelungen oder Weiterqualifikation innerhalb des Werks anzubieten oder sie beim Wechsel zu einem anderen Bosch-Standort oder auf einen Arbeitsplatz außerhalb des Konzerns mithilfe der branchenübergreifenden Initiative „Allianz der Chancen“ zu begleiten und zu unterstützen. „Aber all dies geschieht freiwillig“, betont Matthias Fuchs.

Neben Interessensausgleich und diesen Sozialplanmaßnahmen ist aber noch das Zukunftskonzept Teil der Einigung. Da sich Künftiges meist noch nicht so leicht beschreiben lässt, ist das „vertraglich schwer zu packen“, sagt Matthias Fuchs. Für Jürgen Voag ist dieses Zukunftskonzept enorm wichtig und ein Riesenwurf, weil es die Perspektiven genauso wie Verantwortung beinhaltet: „Den Sozialplan müssen wir umsetzen, das Zukunftskonzept gestalten, das muss auch noch Fleisch an die Knochen bekommen.“ Zu den Rahmenbedingungen erläutert er: Die Ausbildung am Bosch-Standort Murrhardt bleibt erhalten. Künftig gibt es fünf Stellen für Auszubildende pro Jahr – die Hälfte des bisherigen Umfangs – , zudem für einen Teil der Azubis auch eine Übernahmegarantie. Für den Betriebsratsvorsitzenden ein starkes Zeichen.

Expertenteams sollen neue Produkte entwickeln

Ein weiteres entscheidendes Element des Zukunftsplans ist der Aufbau zweier völlig neuer Expertengruppen: einer Innovationsschmiede und eines Akquiseteams mit der Aufgabe, in Zusammenarbeit mit dem Konzern neue Produkte zu entwickeln, aber auch Produktaufträge außerhalb des Unternehmens zu gewinnen und umzusetzen. Das bedeutet für das Werk Murrhardt, ein Stück weit selbst an der Entwicklung der Arbeit beteiligt und für sie mitverantwortlich zu sein und insofern auch einen tiefgreifenden inhaltlichen Wandel, da es sich um komplettes Neuland handelt.

Das heißt unter dem Strich viel Veränderung, einerseits ein Zurückfahren der Montage, andererseits aber auch einen Aufbau der neuen Kompetenzen, sagt Matthias Fuchs. Was neue Aufträge und Produkte anbelangt, seien viele Dinge denkbar wie beispielsweise die Herstellung von Oldtimer-, Ersatz- oder Satellitenteilen. Dass man sich in den rund anderthalb Jahre dauernden Gesprächen auf diese Rahmenbedingungen einigen konnte, ist für den IG-Metall-Geschäftsführer durchaus beispielhaft. Dahinter stehe der gemeinsame Wunsch, den Standort zu erhalten und weiterzuentwickeln. Wichtige Voraussetzung dafür wiederum sei, solch eine Veränderung nicht nur als Verzicht zu sehen, sondern als Chance, zukunftsfähige Arbeitsplätze aufzubauen.

„Das Gute ist, wir haben Zeit“

Trotzdem ist den beiden Arbeitnehmervertretern auch klar, dass angesichts des Arbeitsplatzumbaus und auch -abbaus viele Beschäftigte Angst haben. „Wir werden alles tun, um die Menschen zu begleiten. Das Gute ist, wir haben Zeit“, sagt Fuchs. Die Rexroth-Montage soll bis frühestens Ende 2023 zu einem Standort in Slowenien verlagert sein. Als wichtigen Partner im gesamten Prozess sieht Jürgen Voag den Standortleiter Robert Gross. „Die Arbeit beginnt jetzt erst “, stellt er fest.

Zu dieser gehört die strukturelle Neuaufstellung, aber eben auch die Beratung, wenn sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umorientieren möchten. Wenn es konkreter wird, heißt das beispielsweise auch, einmal einen Arbeitsplatz in einem anderen Werk anzuschauen. Als noch vergleichsweise einfach beurteilt Matthias Fuchs eine Vorruhestandsregelung. Nicht für jeden wird das eine Lösung sein und insofern stellt er ebenso fest, dass „sich zwar niemand gerne verändert“, er aber auch Menschen kennt, die in der Rückschau sagen, dass sich genau dieser Schnitt als absolut positiv für sie herausgestellt hat.

Im Werk Murrhardt heißt das, Gespräche mit Beschäftigten zu führen, die überlegen, sich umzuorientieren, parallel die Produktion am Laufen zu halten und im Fall der Fälle mit befristeten Kräften zu arbeiten. Und es gibt die Menschen, die bleiben wollen und sich weiterqualifizieren müssen. „All das ist eine Herkulesaufgabe, eine lösbare Herkulesaufgabe“, sagt Voag. Die Sicherheit keiner betriebsbedingten Kündigungen ist für ihn und Fuchs Voraussetzung dafür, diesen Balanceakt hinzubekommen.