Ein Hirn zum Fliegen

Wie Flugsaurier und Vögel flugbereite Gehirne entwickelten

Flugsaurier waren die größten fliegenden Lebewesen in der Erdgeschichte. Sie beherrschten schon vor 200 Millionen Jahre die Lüfte. Doch wer waren ihre Vorfahren? Forscher haben das Rätsel nun gelöst.

Wie Flugsaurier und Vögel flugbereite Gehirne entwickelten

Flugsaurier waren vor mehr als 215 Millionen Jahren die ersten Lebewesen, die aktiv fliegen konnten, lange vor dem Auftreten der frühesten Vögel.

Von Markus Brauer

Ihre Flugfähigkeit erwarben Flugsaurier und Vögel unabhängig voneinander, das war bereits bekannt. Nun ergab eine neue Studie, dass es auch keine großen Ähnlichkeiten zwischen den Gehirnen der vor rund 215 Millionen bis 66 Millionen Jahren lebenden Flugsaurier und denen heutiger Vögel gibt. Wohl aber zu den Gehirnen der Vogel-Vorfahren, bestimmten Dinosaurierarten, die nicht oder nur eingeschränkt fliegen konnten.

Außerdem hatten die Flugsaurier vergleichsweise kleine Gehirne im Verhältnis zu ihrer Körpermasse. Diese Erkenntnis stellt die langjährige Annahme in der Wissenschaft in Frage, dass ein großes Gehirn ähnlich dem der Vögel Voraussetzung für die Fähigkeit zu fliegen sei.

Die Studie eines internationalen Forscherteams stand unter der Leitung von Mario Bronzati aus den Geowissenschaften der Universität Tübingen und wurde in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht.

Von Dinos zu Vögeln

Die Flugfähigkeit entwickelte sich nur dreimal innerhalb der Wirbeltiere: bei Fledertieren, bei Vögeln und bei den ausgestorbenen Flugsauriern. „Die Grundstruktur des Gehirns heutiger Vögel ist klar als Erbe von nicht flugfähigen Dinosaurier-Verwandten erkennbar“, sagt Lawrence Witmer von der Ohio University, USA, einer der Studienautoren.

„Die Hirnstrukturen der Flugsaurier schienen hingegen wie aus dem Nichts entstanden zu sein.“ Diese Tiere waren vor mehr als 215 Millionen Jahren die ersten, die aktiv fliegen konnten, lange vor dem Auftreten der frühesten Vögel.

„Erst seit einigen Jahren haben wir Hinweise auf enge Verwandte der Flugsaurier, auf die sogenannten Lagerpetiden, kleine, zweibeinige und wahrscheinlich auf Bäumen lebende Tiere“, berichtet Bronzati.

Die bisher bekannten Fossilien der Lagerpetiden hätten dabei geholfen, die Veränderungen im Körperbau der Flugsaurier nachzuvollziehen. „Uns interessierten die Veränderungen in ihrer Gehirnanatomie, die mit der Entwicklung des Fliegens zusammenhängen.“

Untersuchung zahlreicher Schädel

Die Forscher untersuchten Schädel von einer ganzen Reihe von Reptilien: von ausgestorbenen landlebenden Reptilien, wie Flugsaurier und Dinosaurier, bis hin zu heutigen Krokodilen und Vögeln. Mithilfe von computertomografischen Scans vermaßen sie die inneren Höhlungen, Vertiefungen und Löcher der Schädel, um die Form, Gestalt und Größe der Gehirne dreidimensional zu rekonstruieren.

Unter den untersuchten Schädeln war der vollständigste bekannte versteinerte Schädel eines Lagerpetiden der Art Ixalerpeton pelesinensis, der in Südbrasilien gefunden und auf ein Alter von rund 233 Millionen Jahren datiert wurde.

Anpasung an die Lebensumwelt

Die Rekonstruktion ergab, dass die Lagerpetiden, die nächsten Verwandten der Flugsaurier, noch sehr ursprüngliche Reptilien-Gehirne besaßen, ähnlich dem der frühesten Dinosaurier, die zur gleichen Zeit lebten.

„Allerdings hatten sie bereits ein besseres Sehvermögen entwickelt. Ihre für das Sehsystem zuständigen Hirnlappen, das sogenannte Tectum opticum, waren vergrößert und seitlich angeordnet wie bei den Flugsauriern und den Vogelvorfahren“, erklärt Bronzati. „Mit dieser Anpassung konnten sich die Lagerpetiden besser in einer baumbestandenen Umgebung zurechtfinden, und sie wird später vermutlich den Flugsauriern bei der Entwicklung des Fliegens geholfen haben.“

Insgesamt sei die Anatomie des Gehirns bei Flugsauriern und den Dinosauriervorfahren der Vögel ähnlich, berichtet Akinobu Watanabe von der New York University von den vergleichenden Analysen. „Bei den heutigen Vögeln sieht sie hingegen anders aus.“

Schnelle Evolution

Der Untersuchung zufolge muss sich die Anatomie des Gehirns der Flugsaurier im Maßstab evolutionärer Zeiträume mit der Ausbildung der Flugfähigkeit sehr schnell entwickelt haben, erläutert Bronzati. „Dies geschah mindestens 50 Millionen Jahre früher, als sich die Flugfähigkeit in der Abstammungslinie von Dinosauriern zu Vögeln herausbildete.“

Das sei erstaunlich, da Fliegen eine physiologisch anspruchsvolle Art der Fortbewegung sei. „Flugsaurier hatten viel kleinere Gehirne als Vögel, was beweist, dass man zum Fliegen kein großes Gehirn braucht“, ergänzt Matteo Fabbri von der Johns Hopkins University, USA.

Vergrößertes Kleinhirn bei Flugsauriern

Eine besondere Eigenschaft des Flugsaurier-Gehirns sei ein vergrößerter Flocculus, das ist eine Struktur des Kleinhirns, die mit der Verarbeitung von Sinnesinformationen zusammenhängt. Diese kamen von den membranbespannten Flügeln und halfen den Tieren, ihre Augen im Flug fest auf ihr Ziel zu richten.

„Bei heutigen Vögeln ist hingegen vor allem das Großhirn stark vergrößert, was darauf hindeutet, dass sie über ausgeprägtere kognitive Fähigkeiten verfügen, etwa ein komplexes Sozialleben haben, höhere Fertigkeiten und Intelligenz“, konstatiert Fabbri.

„Funde aus Südbrasilien liefern beeindruckende Einblicke in die Ursprünge großer Tiergruppen wie Dinosaurier und Flugsaurier. Jeder neue Fossilfund bringt uns der Vorstellung näher, wie ihre frühen Verwandten aussahen – ein Wissen, das noch vor wenigen Jahren kaum vorstellbar war“, erklärt Rodrigo T. Müller von der Universidade Federal de Santa Maria in Brasilien.