Chemie nach dem Urknall

Wie Moleküle die Geburt der ersten Sterne beeinflussten

Heidelberger Forscher haben jetzt erstmals Reaktionen von Molekülen unter Bedingungen des frühen Universums untersucht. Eine Entdeckungsreise.

Wie Moleküle die Geburt der ersten Sterne beeinflussten

Reaktionsschema der Reaktion des Helium-Hydrid-Ions mit Deuterium. Es handelt sich um eine schnelle und barrierefreie Reaktion, anders als bisherige Theorien vermuteten. Hintergrund: Der planetarischen Nebel NGC 7027, in rot molekularer Wasserstoff. 

Von Markus Brauer

Unmittelbar nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren herrschten im Universum unvorstellbar hohe Temperaturen und Dichtezustände. Doch bereits nach wenigen Sekunden war das Universum so weit abgekühlt, dass sich die ersten Elemente zusammensetzen konnten – zum weitaus größten Teil Wasserstoff und Helium.

Diese lagen zunächst noch vollständig ionisiert vor, denn erst nach knapp 380.000 Jahren war die Temperatur im Universum so weit abgesunken, dass sich durch die Rekombination mit freien Elektronen neutrale Atome bildeten, und so den Weg für die ersten chemischen Reaktionen frei machten.

Ältetes Molekül des Kosmos

Das älteste Molekül der Welt ist das Heliumhydrid-Ion HeH⁺, das sich aus einem neutralen Heliumatom und einem ionisierten Wasserstoffkern bildete. Es markiert den Beginn einer Reaktionskette hin zur Bildung von molekularem Wasserstoff H₂ , dem mit Abstand häufigsten Molekül im Universum.

Nach der Rekombination folgte das „Dunkle Zeitalter“ der Kosmologie – das Universum war nach der Bindung der freien Elektronen nun zwar lichtdurchlässig, lichtstarke Objekte wie Sterne gab es aber noch nicht. Bis zur Entstehung der ersten Sterne vergingen noch mehrere 100 Millionen Jahre.

Doch gerade in dieser Frühphase des Universums waren einfache Moleküle wie HeH⁺ und H₂ für die Bildung der ersten Sterne unabdingbar: Um die sich zusammenziehe Gaswolke eines Protosterns soweit kollabieren zu lassen, dass eine Kernfusion einsetzen kann, muss Wärme abgeführt werden.

Wie die Kühlung des frühen Kosmos funktionierte

Dies geschieht über Kollisionen, die Atome und Moleküle anregen, welche diese Energie im Anschluss durch Photonen abstrahlen. Unterhalb von etwa 10.000 Grad Celsius wird dieser Prozess aber sehr ineffektiv für die zahlenmäßig dominanten Wasserstoff-Atome.

Eine weitere Kühlung kann nur über Moleküle stattfinden, die über Rotationen und Schwingungen zusätzlich Energie abstrahlen können. Das HeH⁺ Ion erweist sich hier als besonders effektiv bei diesen kühleren Temperaturen und wird daher schon lange als potentiell wichtiger Kandidat für die Kühlphase bei der Entstehung der ersten Sterne gehandelt.

Die Konzentration des Helium-Hydrid-Ions im Universum hat damit möglicherweise signifikanten Einfluss auf die Effektivität der frühen Sternentstehung.

In dieser Zeitspanne stellte die Kollision mit freien Wasserstoffatomen einen Hauptabbauweg für HeH⁺ dar, wobei sich ein neutrales Heliumatom sowie ein H₂⁺ -Ion bildeten, das sich im nachfolgenden mit einem weiteren H-Atom zu einem neutralen H₂ -Molekül und einem Proton umwandelte, und so zur Entstehung von molekularem Wasserstoff führte.

Experiment wie zu Urzeiten des Universums

Am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg haben Forscher nun erstmals diese Reaktion unter ähnlichen Bedingungen wie im frühen Universum rekonstruiert. Sie untersuchten dazu die Reaktion von HeH⁺ mit Deuterium, einem Isotop von Wasserstoff, welches im Atomkern neben einem Proton ein zusätzliches Neutron beinhaltet. Bei der Reaktion von HeH⁺ mit Deuterium bildet sich neben einem neutralen Helium-Atom statt H₂⁺ ein HD⁺-Ion.

Durchgeführt wurde das Experiment am Kryogenen Speicherring CSR am MPIK in Heidelberg, einem weltweit einmaligen Instrument zur Untersuchung molekularer und atomarer Reaktionen unter Weltraum-Bedingungen.

Dazu wurden HeH⁺-Ionen in dem 35-Meter durchmessenden Ionenspeicherring für bis zu 60 Sekunden bei wenigen Kelvin (minus 267 Grad Celsius) gespeichert, und mit einem Strahl aus neutralen Deuterium-Atomen überlagert. Durch eine Anpassung der relativen Geschwindigkeiten der beiden Teilchenstrahlen zueinander konnten die Wissenschaftler die Rate der Kollisionen in Abhängigkeit der Kollisionsenergie untersuchen. Diese steht in direktem Zusammenhang zur Temperatur.

Geheimnis der Bildung der ersten Sterne

Dabei stellten sie fest, dass die Rate, mit der diese Reaktion abläuft, nicht wie bis vor Kurzem vorhergesagt, mit abnehmender Temperatur verlangsamt abläuft, sondern nahezu konstant bleibt.

„Bisherige Theorien sagten einen signifikanten Abfall der Reaktionswahrscheinlichkeit bei niedrigen Temperaturen voraus, diesen konnten wir aber weder im Experiment noch in neuen theoretischen Rechnungen unserer Kollegen nachweisen“, erläutert Holger Kreckel vom MPIK. „Die Reaktionen von HeH⁺ mit neutralem Wasserstoff und Deuterium scheinen daher für die Chemie im frühen Universum weitaus wichtiger gewesen zu sein als bisher angenommen“, führt er weiter aus.

Da die Konzentrationen der frühesten Moleküle wie HeH⁺ oder molekularem Wasserstoff (H₂ oder HD) aber eine wichtige Rolle bei der Entstehungsgeschichte der ersten Sterne spielen, ist dieses Ergebnis ein weiterer Puzzlestein, um dem Geheimnis der Bildung der ersten Sterne im Universum näherzukommen.