Die Zivilcourage von Nachbarn kann Frauen und ihren Kindern helfen, häuslicher Gewalt zu entkommen. In Stuttgart will die Vonovia ihre Mieter zum Hinschauen ermutigen.
Von Hilke Lorenz
Stuttgart - Niemand ist näher dran an der Gewalt in der Wohnung nebenan als die Nachbarn. Wenn Türenschlagen, laut gebrüllte Drohungen und möglicherweise Weinen zu hören ist und dann niemand auf das KIingeln reagiert, kann das ein deutlicher Hinweis auf häusliche Gewalt im eigenen Wohnblock sein.
Das Wohnungsunternehmen Vonovia will mit der Kampagne „Nebenan knallt’s – Anschreien, schlagen, einsperren ...“ für dieses Thema sensibilisieren. In Kooperation mit dem Verein „Frauen helfen Frauen Stuttgart“ hat das Unternehmen eine Aufklärungskampagne gestartet, bei der auch das städtische Frauenhaus und damit auch das Amt für Soziales und Teilhabe mit im Boot sitzt.
Das Unternehmen wolle so seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden, sagte Vonovia-Pressesprecher Olaf Frei zum Auftakt der Aktion. Sein Unternehmen verstehe sich als Plattform für die Idee. Werbeaufdrucke gibt es auf den Materialien keine. Ihren Ursprung hat die Idee in Konstanz. Die dortigen Frauenhausmitarbeiterinnen hatten das Wohnungsunternehmen dafür gewinnen können. Nun ist also nach Esslingen und anderen Städten auch Stuttgart an der Reihe. Diesmal war die Vonovia Initiatorin. Andrea Bosch vom Autonomen Frauenhaus sieht die Nachbarschaft in einer wichtigen Rolle. Die Wohnung sei oft der gefährlichste Ort für Frauen. „Oft sind die Nachbarn die einzigen, die von der häuslichen Gewalt etwas mitbekommen“.
Stuttgarter Polizeistatistik: 22 Prozent mehr häusliche Gewaltfälle
Die Zahlen der aktuellen Polizeistatistik für die Landeshauptstadt sprechen eine deutliche Sprache. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Zahlen 2024 um 22 Prozent gestiegen. 1540 Menschen wurden Opfer von häuslicher Gewalt. Karolin Tenbuß vom städtischen Frauenhaus betont in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Zivilcourage einer aufmerksamen Nachbarschaft. Denn sich einzumischen, muss man sich trauen. Sie weist darauf hin, dass bei vielen Frauen, die Gewalt erleben, auch Kinder mitbetroffen sind.
Wer sich nun fragt, was er denn als Nachbarin oder Nachbar entgegensetzen kann, findet auf Postkarten Informationen.
Hier die Tipps der Profis :
Die Vonovia-Objektleiter, die in Stuttgart für 4500 Wohnungen zuständig sind, werden die Postkarten jetzt in die Briefkästen der einzelnen Wohnungen werfen. Zusätzlich werden Plakate in den Treppenhäusern aufgehängt. So sollen die Informationen weit gestreut werden. Silke Blankenhaus, Regionalleiterin Stuttgart bei der Vonovia, ist froh, jetzt endlich auch in ihrem Bereich mit der Aktion loslegen zu können. „Das ist ein wichtiges Thema“.
Ziel aller Beteiligten ist es, für von häuslicher Gewalt Betroffene wieder eine sichere Lebenssituation herzustellen. 72 Plätze für Frauen und Kinder gibt es in den beiden Stuttgarter Frauenhäusern momentan. Der Umzug dorthin ist, wie beide Frauenhausmitarbeiterinnen wissen, mit vielen dramatischen Veränderungen für Frauen und ihre Kinder verbunden – von Freundschaftsabbruch aus Sicherheitsgründen bis Umschulung der Kinder. Was Karolin Tenbuß deshalb wichtig ist: Es sollten nicht immer die Frauen ihr Leben aufgeben müssen, um in Sicherheit leben zu können. „Eigentlich sollten die Täter die Konsequenzen tragen müssen.“