Wie seriös sind Online-Bewertungen?

Der deutsche Multimediapreis geht dieses Jahr an den Studenten Robert Heiser aus Weissach im Tal. Er konnte gemeinsam mit seinem Kommilitonen Johannes Englmann die Jury mit einer Installation überzeugen, welche zu einem kritischeren Auge beim Shoppen im Internet anregen soll.

Wie seriös sind Online-Bewertungen?

In Versandkartons sind die angebotenen Produkte platziert. Die Drucker spucken die Produktrezensionen aus, die nach realen Rezensionen von echten Kunden klingen. Foto: R. Heiser

Von Anja La Roche

Weissach im Tal. Das Shoppingerlebnis kann heutzutage ausschließlich online ablaufen. Mit wenigen Mausklicks offenbart sich eine unendliche Produktpalette. Die Kundenbewertungen im Internet ersetzen dabei die professionelle Beratung vor Ort im Laden. Doch wie verlässlich sind diese Online-Bewertungen? Sollten sie unsere Kaufentscheidung beeinflussen? Diese Fragen wirft die Kunstinstallation mit dem Titel „rii:wyuu“ auf; der Titel ist die Lautschrift für „review“, dem englischen Begriff für „Rezension“. Die Künstler Robert Heiser aus Weissach im Tal und Johannes Englmann aus München haben mit der Installation den diesjährigen deutschen Multimediapreis mb21 gewonnen – einer der wichtigsten deutschen Medienkunstpreise. Als Mediendesign-Studenten der Hochschule in Ravensburg kreierten sie „rii:wyuu“ für ihre Bachelorarbeit im vergangenen Jahr. Umgesetzt haben sie das Projekt pandemiebedingt von daheim.

Auf der Rückseite erfährt man die Wahrheit hinter den Bewertungen

Die preisgekrönte Kunstinstallation wurde im September vergangenen Jahres bei der Werkschau der Abschlussarbeiten in Ravensburg präsentiert. Eine Kunstinstallation zu beschreiben ist vermutlich weniger klug, denn sie sollte erlebt werden. Aber einen Versuch ist es wert: Man möge sich vorstellen, als Betrachter auf „rii:wyuu“ zuzugehen. Man sieht eine weiße Wand, an der mehrere Versandkartons hängen. In den Kartons liegen die zum Verkauf stehenden Produkte, darunter ein Inhaliergerät, Coronamasken und eine Smartwatch. Unter den Kartons ist jeweils ein kleiner Drucker befestigt. Diese spucken fortlaufend Produktrezensionen im Format eines Kassenbons aus. Es handelt sich um durchweg gute Bewertungen, mit fünf von fünf Sternen; das Inhaliergerät scheint beispielsweise ein ausgezeichnetes Produkt zu sein. Den neugierigen Betrachter führt es dann auf die andere Seite der Wand. Diese ist schwarz statt weiß. In der Mitte befindet sich ein Bildschirm, auf dem ein Video abgespielt wird. Dieses zeigt, wie es zu den OnlineRezensionen gekommen ist und dass diese nicht glaubwürdig sind. Im Video sieht man, wie ein Bot online die Produkte bestellt. Ein Bot ist ein Programm, das weitgehend automatisch eine immer gleiche Handlung auf einem Computer ausführen kann. Via WhatsApp-Chat kontaktiert der „rii:wyuu“-Bot den Produktanbieter. Dieser erstattet dem Bot die Kosten des bestellten Produkts, wenn dieser eine Fünf-Sterne-Rezension hinterlässt. Das entsprechende Video findet man übrigens auf Youtube unter dem Titel der Kunstinstallation.

Nein, es gibt keinen solchen Bot, der automatisiert Produkte kauft, Bewertungen kreiert und schließlich den Kaufpreis zurückerstattet bekommt. Die Mediendesign-Studenten haben damit aber den systematischen Kauf von Bewertungen eine Ecke weitergedacht, hin zur Automatisierung eines fragwürdigen Systems, das tatsächlich stattfindet. Der Bot weist auf einen realen Zustand hin. „Die Schritte, die der Bot geht, gehen auch reale Menschen“, sagt Robert Heiser. Um zu zeigen, wie das funktioniert, öffnet Heiser auf seinem Smartphone einen Gruppenchat in der Messenger-App Telegram. In dem Gruppenchat sind ausschließlich Menschen, die er nicht kennt. Vor allem asiatische Anbieter teilen in der Chatgruppe ihre billigen Produkte. Gefällt Heiser ein Produkt, kann er dem Anbieter via Chat schreiben, das Produkt kaufen und es mit fünf Sternen im Online-Portal rezensieren. Dafür erstattet der Anbieter ihm – wie dem Bot bei „rii:wyuu“ – im Gegenzug den Kaufpreis. Auf diese Weise kaufen Unternehmen im großen Stil Online-Bewertungen. Und als Kunde kann man nur schwer zwischen falschen und echten Bewertungen unterscheiden.

Auf die Idee für das Kunstprojekt stieß der damalige Student zufällig

Als Heiser mit seinem Kommilitonen Englmann nach einer Idee für die Abschlussarbeit suchte, zeigte Facebook ihm eine Werbung an, die ihn auf das entlohnte Schreiben von Online-Rezensionen aufmerksam machte. Der 26-jährige Weissacher, der inzwischen als Softwaredesigner bei einer Stuttgarter Firma arbeitet, weiß dabei aus eigener Erfahrung, welche Rolle Online-Rezensionen im Alltag spielen können. „Die Bewertungen beeinflussen einen fast immer. Ob man im Internet Klamotten shoppt oder sich ein Lokal aussucht, in dem man essen möchte.“

Dass das Thema einen wunden Punkt trifft, zeigt auch der nun erworbene Preis. Dieser wurde vom Medienkulturzentrum und deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum in Dresden verliehen. Die Jury resümierte: „‚rii:wyuu‘ stellt viele Fragen, ohne auch nur eine Antwort zu geben. Genau dadurch zeichnet sich eine gelungene medienkünstlerische Installation aus.“ Mit dem Preisgeld von 1000 Euro können Robert Heiser und Johannes Englmann nun ihr für die Bachelorarbeit aufgewendetes Budget ausgleichen. Und „rii:wyuu“ kann hoffentlich dem ein oder anderen Online-Käufer zu einem kritischen Blick verhelfen.