Müll in der Frühgeschichte

Wie Steinzeitbauern lernten, mit Abfall zu leben

Müll ist nicht nur Abfall, sondern auch eine Ressource – auch für Archäologen. So kann neolithischer Müll dazu beitragen, zu verstehen, wie sich die ersten Bauern Europas an eine sesshaftere Lebensweise anpassten.

Wie Steinzeitbauern lernten, mit Abfall zu leben

Die neolithischen Bauern entsorgten ihren Abfall häufig in Gruben in der Nähe ihrer Wohnhäuser.

Von Markus Brauer

Obwohl zerbrochene Töpfe, Tierknochen und Alltagsreste einen Großteil des archäologischen Fundguts ausmachen, ist die Rolle, die solcher Abfall im täglichen Leben der vorgeschichtlichen Gemeinschaften spielte, noch immer nicht geklärt.

Wie unsere Vorfahren mit Abfall umgingen

Henny Piezonka, Professorin am Institut für Prähistorische Archäologie der Freien Universität Berlin, erklärt: „Heute betrachten wir Müll als Problem, aber sahen das die frühen Bauern auch so? In unserem Projekt wollen wir dieser Frage nachgehen und verstehen, welche Herausforderungen es mit sich brachte, Abfall vor der Haustür zu haben, aber auch welche Möglichkeiten entstanden, ihn zu reparieren, umzugestalten und wiederzuverwerten.“

Vor etwa 8000 Jahren begannen die Menschen in Europa mit der Landwirtschaft und blieben infolgedessen länger an einem Ort. Diese frühen sesshaften Gemeinschaften produzierten und sammelten mehr Dinge als je zuvor, sodass die Menschen zum ersten Mal eine Strategie für den Umgang mit Abfall entwickeln mussten.

Müll wurde in Gruben auf den Höfen vergraben

Im Gegensatz zu früheren Jäger- und Sammlergruppen, die ein mobiles Leben führten, konnten diese ersten Bauern nicht mehr einfach weiterziehen, wenn sich Müll angesammelt hatte. Anstatt den Abfall jedoch weit von ihrem Zuhause weg zu transportieren, wie es heute im Rahmen der Müllentsorgung üblich ist, entschieden sie sich oft dafür, den Abfall in Gruben direkt auf ihren Hofstellen zu lagern.

Penny Bickle, Professorin für Archäologie an der britischen Universität York, erläutert: „Die Lagerung von Müll in der Nähe des Zuhauses könnte auf ein besonderes Gefühl der Verpflichtung für die Dinge des täglichen Lebens hindeuten. Fühlten sich die Menschen für ihren Abfall verantwortlich und entschieden sich deshalb dafür, ihn in der Nähe ihres Zuhauses zu entsorgen?“

Vielleicht seien sich unsere Vorfahrten bewusst gewesen, dass einige dieser weggeworfenen Gegenstände möglicherweise wiederverwendet werden könnten. „In unserer westlichen Lebenswelt ist es üblich, Gegenstände in eine Recyclingtonne zu werfen und andere sich darum kümmern zu lassen. Aber nicht alle Kulturen funktionieren so.“

Es sei deshalb möglich, erklärt die Spatenforscherin, dass die frühen neolithischen Bauern ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Abfall gehabt hätten, das auf einem verantwortlichen Umgang der Besitzer mit ihren Hinterlassenschaften beruhte.

Keramikwaren im Fokus der Forscher

Mithilfe einer automatisierten Analysetechnik können die Forscher untersuchen, ob bestimmte Keramikwaren wiederverwendet wurden. Einige der frühesten Formen des Recyclings lassen sich so an Töpfen nachweisen, die für andere Zwecke umfunktioniert wurden. Was Experten jedoch noch nicht wissen, ist, inwieweit sich die frühen Bauern der Auswirkungen von Müllansammlungen auf ihre Umwelt bewusst waren.

Der Archäologe Vindrola-Padros führt aus: „Eine mögliche Erklärung dafür, dass Abfallgegenstände in der Nähe der Häuser aufbewahrt wurden, ist emotionaler Natur. Diese Besitztümer haben oft eine Bedeutung, die über ihren praktischen Nutzen hinausgeht, wie ihre Verwendung in Bestattungsritualen zeigt.“

Die Forscher werden vier archäologische Stätten in Europa untersuchen, vom Balkan bis zur Ostseeküste. Mit Hilfe wissenschaftlicher Techniken und digitaler Werkzeuge werden sie die „Lebensgeschichten” der weggeworfenen Gegenstände zusammenfügen und rekonstruieren, wie sie verwendet, wiederverwendet, zerbrochen und schließlich endgültig weggeworfen wurden.