Wie viele Parkplätze sind noch zeitgemäß?

Wer neue Wohnungen baut, muss auch Stellplätze für die Bewohner schaffen, in Backnang gilt dafür ein eigener Schlüssel. Künftig könnten Investoren einen Nachlass bekommen, wenn sie alternative Mobilitätsformen fördern. Auf der Oberen Walke startet nun ein Modellprojekt.

Wie viele Parkplätze sind noch zeitgemäß?

In der Bonhoefferstraße auf dem früheren Krankenhausareal parken die Autos kreuz und quer. Stadtrat Heinz Franke wünscht sich mehr Besucherparkplätze.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Eine Wohnung, ein Pkw-Stellplatz – so lautet die Vorgabe der Landesbauordnung für Neubauprojekte. Die Kommunen können von diesem Grundsatz allerdings abweichen. Viele Städte tun das auch und haben eigene Satzungen erlassen, früher meist mit dem Ziel, noch mehr Stellplätze einzufordern. So auch in Backnang: Ein Autoabstellplatz genügt hier nur bei Wohnungen bis 80 Quadratmeter, bei einer Wohnfläche zwischen 80 und 120 Quadratmetern muss der Bauherr 1,5 Stellplätze nachweisen, bei noch größeren Wohnungen sogar zwei. Außerdem verlangt die Satzung einen Zuschlag von
10 Prozent für Besucher.

„Ziel dieser Regelung ist es, den öffentlichen Straßenraum von parkenden Autos zu entlasten“, erklärt der Leiter des Stadtplanungsamtes, Tobias Großmann. Denn die Erfahrung habe gezeigt, dass viele Haushalte mehr als ein Auto besitzen, und wo private Stellplätze fehlten, würden die Straßen zugeparkt.

Allerdings wird das Wohnen in Backnang durch diese Vorgabe auch deutlich teurer, denn in den meisten Fällen lässt sie sich nur durch den Bau einer Tiefgarage erfüllen. „Das ist einer der größten Kostentreiber“, weiß Großmann. Der Stellplatzschlüssel widerspricht also dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Und auch aus ökologischer Sicht ist diese Politik umstritten. „Wenn jeder Haushalt zwei Autos hat, werden wir die Klimaschutzziele nie erreichen“, sagt Armin Haller, Landesgeschäftsführer beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). Er plädiert dafür, Anreize zu schaffen, damit die Leute möglichst wenig mit dem eigenen Auto fahren. Eine Wohnung mit zwei Pkw-Stellplätzen signalisiert in seinen Augen das genaue Gegenteil.

In einigen Städten hat deshalb bereits ein Umdenken eingesetzt, zum Beispiel in Tübingen. Dort hat der Gemeinderat bereits 2016 eine Satzung beschlossen, die sogar weniger Stellplätze verlangt als die Landesbauordnung. Der Schlüssel liegt hier nur noch zwischen 0,6 (bei Wohnungen bis 45 Quadratmeter) und 1,0 (ab 95 Quadratmeter). Dieser Faktor reduziert sich laut Satzung sogar noch, wenn sich im Umkreis von 300 Metern eine Haltestelle von Bus oder Bahn befindet oder wenn der Investor „mindestens zwei verschiedene Maßnahmen zur Mobilitätsverbesserung nachweist“. Dazu gehören zum Beispiel ebenerdige und abschließbare Fahrradabstellplätze oder ein Car-Sharing-Angebot in der direkten Umgebung.

Die Erfahrungen mit diesem Modell seien durchweg positiv, berichtet die Tübinger Stadtplanerin Barbara Landwehr: „Die Befürchtungen, dass die Straßen zugeparkt werden, haben sich nicht bestätigt.“ Sie hat den Eindruck, dass viele Eigentümer froh sind, wenn ihnen hohe Zusatzkosten für Auto und Tiefgaragenstellplatz erspart bleiben und sie stattdessen andere Mobilitätsangebote nutzen können. Ähnliche Ansätze gibt es auch in Freiburg: Im Stadtteil Stühlinger-Eschholz plant die Stadt dort ein Quartier mit ausgezeichneter ÖPNV-Anbindung und bis zu 25 Carsharing-Plätzen. Dafür soll rechnerisch nur noch jeder dritten Wohnung ein eigener Pkw-Stellplatz zur Verfügung stehen.

Wäre so ein Modell auch in Backnang denkbar? Im Gemeinderat herrscht Skepsis. Einer der größten Zweifler ist der SPD-Fraktionschef Heinz Franke: „Ich glaube, da ist viel Wunschdenken dabei. Die Leute werden es sich nicht nehmen lassen, mobil zu sein“, sagt der bekennende SUV-Fahrer. Als Beispiel nennt Franke das ehemalige Krankenhausareal: Dort gebe es viel zu wenige Besucherparkplätze, die Folgen könne man jeden Tag vor Ort besichtigen: „Die Leute parken kreuz und quer, teilweise in zwei Reihen“, berichtet Franke, der dort regelmäßig im Hospiz tätig ist. Dass eine Reduzierung der Stellplätze zum Verzicht aufs Auto motiviert, kann sich Franke nicht vorstellen: „Man muss realistisch bleiben“, sagt der SPD-Stadtrat.

Tobias Großmann sieht das Thema differenziert: „Es gibt sicher Gebiete, in denen der Backnanger Stellplatzschlüssel weiterhin angebracht ist“, sagt der Stadtplaner. Bei Quartieren, die nah an der Innenstadt liegen und sehr gut an den ÖPNV angebunden sind, kann er sich eine Reduzierung aber vorstellen. Als Modellprojekt hat die Verwaltung die Obere Walke ausgewählt. Für die 450 geplanten Wohnungen hätte die Dibag Industriebau nach dem bisherigen Schlüssel eigentlich 550 Stellplätze nachweisen müssen, tatsächlich sollen aber nur 490 gebaut werden. Der Investor verpflichtet sich im Gegenzug vertraglich, ein Verleihsystem für Fahrräder und Elektroautos auf dem Gelände anzubieten. Die Stadt will zudem die Taktung der Busse verbessern.

„Das erste Auto können wir dadurch wahrscheinlich nicht ersetzen, aber vielleicht den Zweit- und Drittwagen“, hofft Großmann. Der Stadtplaner sieht dieses Projekt als ersten Test. Da die Obere Walke in mehreren Abschnitten bebaut werden soll, könne man notfalls auch noch nachsteuern, wenn sich die Hoffnungen nicht erfüllen. Falls das befürchtete Parkchaos ausbleibt, könnte das Mobilitätskonzept aber eine Blaupause für das IBA-Quartier und weitere Projekte in Backnang sein.

Kommentar
Zeit für einen Paradigmenwechsel

Von Kornelius Fritz

Die autogerechte Stadt war das Ziel der 1960er-Jahre: Breite Straßen, ungehinderter Verkehrsfluss und Parkplätze direkt vor der Haustür waren damals die Ideale der Stadtplaner. Doch diese Zeiten sind lange vorbei: Mobilität ist zwar weiterhin wichtig und das Auto spielt dabei noch immer eine große Rolle. Gleichzeitig wächst aber vor allem in den Städten der Wunsch, die Dominanz des Autoverkehrs zu beenden. Übrigens auch in Backnang: Bei der Bürgerbeteiligung für das IBA-Quartier stand ein autoarmes oder sogar autofreies Quartier ganz oben auf dem Wunschzettel.

Ein starrer Stellplatzschlüssel, der für jede neue Wohnung bis zu zwei Parkplätze fordert, ist deshalb nicht mehr zeitgemäß. Anstelle pauschaler Regeln muss man den Einzelfall betrachten: Eine Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand ist da ganz anders zu bewerten als ein urbanes Quartier, von dem aus man zu Fuß in die Innenstadt oder zum Bahnhof gelangt.

Wenn Backnang klimaneutral werden will, muss die Stadt ein neues Mobilitätsverhalten fördern. Sie muss Alternativen anbieten, die so attraktiv sind, dass der Verzicht auf das eigene Auto nicht als Verlust von Freiheit empfunden wird. Gelingt das, kann die Rechnung aufgehen: Weniger Stellplätze werden dann nicht mehr zwangsläufig zu einem Parkchaos führen.

k.fritz@bkz.de