Stehen Juden und Muslime einander wirklich unversöhnlich gegenüber? Wieland Hoban von der „Jüdischen Stimme“ zeigt, wie Schlagzeilen die Realität verzerren und die Gesellschaft spalten.
Wieland Hoban von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost setzt sich für Menschenrechte und Gerechtigkeit ein.
Von Gülay Alparslan
Nach dem 7. Oktober dominierten Schlagzeilen wie „Zwei Feinde, zwei Ideen vom Bösen“, „Judenhass: Woher der muslimische Antisemitismus kommt“ oder „Antisemitismus unter Muslimen: ‚In der Grundschule haben wir gelernt, dass Israel ein Feindstaat ist‘“ die Berichterstattung über das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen.
Solche Schlagzeilen erwecken den Eindruck, Juden und Muslime stünden sich unversöhnlich gegenüber. Dabei verzerren und verkürzen sie die Realität: Tatsächlich verbindet beide Gemeinschaften in religiöser, kultureller und historischer Hinsicht weit mehr, als sie trennt. Wenn aus einzelnen negativen Vorfällen pauschale Urteile entstehen, gerät leicht aus dem Blick, wie selbstverständlich Juden und Muslime in vielen Bereichen zusammenleben.
Wenn Wieland Hoban über Israel und Palästina spricht, wählt er seine Worte mit Bedacht. Der Komponist und Vorsitzende der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ beobachtet die Berichterstattung kritisch: „Muslime, aber insbesondere Palästinenser, werden häufig als Bedrohung für Jüdinnen und Juden dargestellt.“
Groteske Instrumentalisierung von Juden
Gerade rechtsextreme Parteien wie die AfD nutzten solche Darstellungen gezielt, um Stimmung gegen Muslime und Migranten zu machen. „Die AfD tut so, als würde sie Jüdinnen und Juden schützen, doch tatsächlich nutzt sie diesen Schutz nur als Instrument, um gegen Muslime und Migranten zu hetzen“, sagt Hoban und fügt hinzu: „Es ist eine groteske Instrumentalisierung von Juden, um einen gesellschaftlichen und politischen Krieg gegen Migranten und Muslime zu führen.“ Doch auch etablierte Parteien bedienen sich mitunter ähnlicher Rhetorik, wenn sie im Namen der Sicherheit oder der Verteidigung westlicher Werte restriktive Maßnahmen gegenüber Geflüchteten und Migranten rechtfertigen.
Gleichzeitig offenbart die Situation im Gazastreifen, wie ernst die Lage vor Ort für Palästinenser und Muslime ist: Bombardierungen, humanitäre Krise und Vorwürfe möglicher Kriegsverbrechen haben internationale Aufmerksamkeit erregt.
Hoban, 1978 in London geboren, kam über seine deutsche Mutter und sein Musikstudium nach Deutschland. Seit 2019 engagiert er sich in der „Jüdischen Stimme“, einem 2003 gegründeten Verein, der sich für eine friedliche Lösung im Nahen Osten auf Grundlage des Völkerrechts einsetzt. Die Mitglieder eint das Ziel, Gerechtigkeit für Palästinenserinnen und Palästinenser zu erreichen und eine klare Trennung zwischen jüdischer Identität und staatlicher Politik Israels zu ziehen.
Die Lage in Gaza und die Arbeit der „Jüdischen Stimme“
„Bei unserer Arbeit geht es nicht um Religion“, betont Hoban. „Wir agieren in einem säkularen, politischen Kontext, weil es nicht um Glauben geht.“ Die Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen sei selbstverständlich, etwa in Frankfurt, Berlin oder Stuttgart. Viele dieser Gruppen seien palästinensisch geprägt, „wir arbeiten solidarisch, für dieselben Werte: Menschenrechte und Gleichberechtigung“.
Dass diese Art der Zusammenarbeit zwischen Juden und Muslimen in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet, überrascht ihn nicht. „Es passt nicht in das Bild, das die Medien seit Jahren zeichnen“, sagt er. Stattdessen werde der Konflikt als religiöser Gegensatz dargestellt – ein Narrativ, das aus seiner Sicht dazu dient, geopolitische Interessen zu verschleiern.
Auch innerhalb der „Jüdischen Stimme“ ist die Perspektive vielfältig. „Vier unserer Mitglieder stammen ursprünglich aus Israel und stehen noch in Kontakt zu Aktivisten dort“, erzählt Hoban. „Natürlich gibt es in Israel verschiedene Formen von Aktivismus – von Gruppen, die lediglich humanitäre Hilfe und Koexistenz betonen, bis hin zu jenen, die offen Genozid und das System der Apartheid anprangern.“ Letztere seien jedoch nur eine kleine Minderheit – die Kräfte, die dem entgegenwirken, deutlich stärker. „Aber einige dieser Aktivistinnen und Aktivisten kennen wir persönlich, und wir unterstützen manche Initiativen, die sich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung einsetzen“, so Hoban.
Kritik, Repression und persönlicher Preis wegen Aktivismus
Im Interview spricht Hoban offen über die Repressionen, mit denen seine Organisation konfrontiert ist: Demonstrationsverbote, Kontosperrungen und Stigmatisierungen. „Wir wissen, dass wir angegriffen werden“, sagt er. „Aber wer diesen Aktivismus betreibt, weiß, dass es ein Minenfeld ist. Man braucht eine dicke Haut, um sich nicht entmutigen zu lassen.“
Als Vorsitzender der „Jüdischen Stimme“ wird Wieland Hoban auch außerhalb Frankfurts zu Reden eingeladen – zuletzt am 3. Oktober bei der Friedensdemo in Stuttgart. Wie Repressionen gegen den Verein aussehen können? „Wenn ich irgendwo eingeladen werde, wird von bestimmten Personen oder Gruppen dagegen gehetzt. Sie behaupten dann, ich sei ein Israel-Hasser und Extremist – und dass die Veranstaltung abgesagt werden müsse.“
Auch außerhalb des Vereins spürt er die Konsequenzen seines Engagements, etwa beruflich: „Ich bin zwar von Hause aus Komponist, aber mein Brotberuf ist der des Übersetzers. Mir wurde vor Kurzem ein Übersetzungsauftrag entzogen, weil der Autor des zu übersetzenden Buches nicht wollte, dass sein Name neben meinem erscheint.“ Auch in der Musikwelt habe seine Positionierung zu Palästina dazu geführt, dass manche nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollen.
„Existenzrecht Israels“ und deutsche Verantwortung
Hoban kritisiert, dass legitime Kritik an der israelischen Regierung häufig moralisch abgewehrt werde: „Der Begriff ‚Existenzrecht Israels‘ wird benutzt, um jede tiefer gehende Diskussion zu beenden. Dabei gibt es ein solches Recht im Völkerrecht gar nicht – egal auf welchen Staat man den Begriff anwendet. Das ist Teil eines manipulativen Diskurses.“ Es sei vielmehr eine Art, kritische Menschen „moralisch“ zu erpressen. Eine weiterführende Frage wäre aus seiner Sicht: Existenz als was? Als Staat mit dem aktuellen System? Solche Rhetorik diene im Fall von Israel vielmehr als Totschlagargument, um Diskussionen zu beenden.
Die Rolle der Bundesregierung sieht Hoban kritisch. Deutschland habe sich mit Waffenlieferungen und politischer Rückendeckung klar positioniert, während in Gaza ein „Genozid“ stattfinde – ein Begriff, den mittlerweile auch Völkerrechtler und Genozidforscher verwenden. Der Internationale Gerichtshof prüfe diesen Vorwurf bereits seit 2024, nachdem Südafrika eine entsprechende Klage eingereicht hatte.
Doch trotz der politischen und medialen Fronten sieht Hoban Bewegung: Eine wachsende Zahl von Menschen, Jüdinnen und Juden wie Musliminnen und Muslime, die gemeinsam für Gerechtigkeit eintreten. „Wir sehen uns in der Pflicht, das Unrecht zu benennen“, sagt er.