„Wir dürfen die Kinder nicht fallen lassen“

Marianne Frank-Mast aus Althütte ist mit ihrem Verein Mädchenschule Khadigram mehrfach von Corona betroffen. Zum einen drohen Spenden wegzubrechen, weil derzeit keine Aktionen möglich sind. Zum anderen herrscht in Indien größere Not denn je.

„Wir dürfen die Kinder nicht fallen lassen“

Marianne Frank-Mast bei ihren Schützlingen in Indien. Mit ihrem Verein Mädchenschule Khadigram betreibt die Althütterin Bildungsprojekte, die sich vor allem an benachteiligte Mädchen wenden. Zurzeit sind wegen der Coronapandemie jedoch keine solchen Besuche möglich. Foto: privat

Von Armin Fechter

ALTHÜTTE. Das alljährliche Sommerfestival der Kulturen in Stuttgart, ein einwöchiges Musik-, Tanz- und Schlemmerfest auf dem Marktplatz, gleichzeitig Drehscheibe für Informationen über Entwicklungsprojekte in aller Welt, wurde abgesagt. Das Benefizcafé im heimischen Garten in Althütte – eine Anlage mit vielen exotischen Pflanzen – kann nicht stattfinden, weil die Coronaregeln dort nicht umsetzbar sind. Und auch das Fest im indischen Dorf, das auf dem Rathausplatz in Althütte immer Hunderte Besucher anzog, lässt sich für den Verein unter den herrschenden Umständen nicht realisieren. „Das Risiko können wir nicht eingehen“, sagt Marianne Frank-Mast.

Die Lage für den Verein, der Bildungsprojekte in Indien betreibt, die sich vor allem an Mädchen aus den unteren sozialen Schichten wenden, ist deshalb bitter. Dies weniger, weil die ausgefallenen Veranstaltungen keine Erlöse in die Kassen spülen, sondern vor allem, weil damit der Kontakt zu den Spendern verloren geht. „Die Aktionen dienten als Werbung, und das hat gut funktioniert“, berichtet Frank-Mast. Die Gründerin des Vereins konnte die Aktionen immer zur Kontaktpflege nutzen und darüber hinaus bei diesen Anlässen neue Förderer gewinnen. Manch einer übernahm eine Patenschaft, der eine oder andere wurde auch Mitglied. Zudem fungierten die Besucher im indischen Dorf auch als Multiplikatoren, die das Anliegen, Bildungschancen für benachteiligte indische Mädchen zu kreieren, breiteren Schichten bekannt machen. Devise: Schule statt schuften.

Aber jetzt wird die Initiatorin nicht einmal mehr zu Vorträgen geholt, in denen sie das Programm und vor allem auch die Hintergründe vorstellen könnte. Wie soll da die Spendenakquise funktionieren? „Ich kann ja nicht eine Anzeigenkampagne starten“, macht Frank-Mast deutlich und verweist auf die stattlichen Ausgaben, die damit verbunden wären. Der Verein basiert hingegen auf einer schlanken Struktur mit ehrenamtlichen Helfern. Nur so gelingt es, die Verwaltungskosten auf etwa fünf Prozent zu begrenzen – bei einem Spendenaufkommen von über 100000 Euro im Jahr.

Auf der Suche nach neuen Wegen, Spender anzusprechen

Vor diesem Hintergrund versucht Marianne Frank-Mast, andere Wege zu gehen. Um trotz der widrigen Umstände Mittel zu generieren, bewirbt sie sich auf unterschiedlichste Ausschreibungen hin. Nicht wegen der damit möglicherweise verbundenen Preise, sondern um in die Öffentlichkeit zu gelangen. Aus diesem Grund hat sie auch die Aktivitäten auf anderen Kanälen wie Facebook verstärkt, wenngleich die Resonanz bislang eher bescheiden ausfällt.

Hoffnungen knüpft sie an ein Projekt, das sie zusammen mit ihrem Schwiegersohn Daniel Jost entwickelt hat: Der versierte Kameramann, der eine eigene Produktionsfirma betreibt, will ein Video über die Arbeit des Vereins herstellen und dieses auf YouTube publizieren. Ein Hauptbestandteil soll dabei ein Interview mit dem Projektpartner im indischen Anand sein. Gleichzeitig richtet sich Josts Blick auch auf die Kinder im Projekt – wobei der Verein derzeit mehrere verschiedene Projekte mit rund 230 Kindern am Laufen hat: eine Schule für Mädchen und Jungen in den Slums von Anand, eine Krankenpflegeschule, ebenfalls in Anand, und eine Schule für sogenannte „Drop-out girls“ (Mädchen, die die Grundschule nicht bis zum Ende besuchen konnten) in dem kleinen Ort Bhawaniyapur im Bundesstaat Utter Pradesh. Der Aufbau einer weiteren Schule liegt derzeit auf Eis.

Dafür hat die Coronasituation in Indien – das Land unterliegt zum zweiten Mal einem Lockdown – ganz neue Bedürfnisse entstehen lassen. Weil die Kinder in Anand nicht mehr in die Schule gehen konnten und damit auch von der Schulkost abgeschnitten waren, hat der Verein zusammen mit dem indischen Projektpartner entschieden, die Versorgung umzudrehen: Lehrer gehen jetzt zu den Kindern, bringen ihnen das Essen mit, das der Schulkoch schon ab drei Uhr früh zubereitet hat, und unterrichten vor Ort – schließlich haben die Kinder in den Armenvierteln keine Möglichkeit, die Fernsehprogramme zu sehen, die der indische Staat als Ersatz für den ausgefallenen Unterricht eingerichtet hat. „Das erfordert einen hohen persönlichen Einsatz“, zollt Frank-Mast den indischen Lehrkräften Respekt.

Darüber hinaus hat die Althütterin ein Programm gegen die Hungersnot gestartet, die infolge der Pandemie in weiten Teilen der Bevölkerung herrscht. 500 besonders bedürftige Familien wurden ausgewählt, drei Monate lang erhalten sie die Grundnahrungsmittel, die ihnen das Überleben sichern sollen.

Programm gegen die Hungersnot unterstützt besonders Bedürftige.

Um dieses Programm auf die Beine zu stellen, hat Frank-Mast alle Kontakte angezapft, die ihr zur Verfügung standen – von großen Firmen und Stiftungen bis hin zu bekannten Kleinspendern. Die Resonanz auf die über 1000 Schreiben, die sie abgeschickt hat, „war überwältigend“ in Anbetracht der Tatsache, dass 11,50 Euro reichen, um eine bedürftige Familie eine Woche lang mit dem Nötigsten zu versorgen. Es gehe darum, die Not zu lindern, wenigstens punktuell, erläutert Frank-Mast. Denn ihr ist auch bewusst, dass das Problem mit dem Programm nur überbrückt, nicht aber gelöst ist. Sollten entsprechend weitere Gelder für diese Hilfsaktion eingehen, könnte es aufgestockt werden.

Zu handeln sei eine humanitäre Pflicht, sagt Frank-Mast und verweist auf die Folgen des Hungers gerade für die Kleinen, die körperlich wie psychisch leiden. „Wir dürfen die Kinder nicht fallen lassen“, mahnt sie. Deshalb will sie weiterhin alle Hebel betätigen, damit der Verein den Schulbetrieb aufrecht erhalten kann, auch wenn die Spenden – die ohnehin keine verlässliche regelmäßige Einnahme darstellen – zurückgehen sollten. Eine gewisse Hilfe stellen dabei die Rücklagen dar. Freilich, was eine Durststrecke bedeutet, hat der Verein schon bei früheren Gelegenheiten zu spüren bekommen, beispielsweise nach dem verheerenden Tsunami in Thailand, als sich die Spendenbereitschaft schlagartig auf diese Notlage konzentrierte. Einem ähnlichen Ausfall möchte Marianne Frank-Mast deshalb vorbeugen.

Nähere Informationen über den Verein Mädchenschule Khadigram gibt es auf www.maedchenschule-khadigram.de.