„Wir gehen aus, solange man uns lässt“

Samstagabend in Coronazeiten: Bleiben die Backnanger alle zu Hause oder gehen die Leute trotzdem aus?

Zu Hause bleiben und soziale Kontakte meiden – so lautet die Devise in Zeiten der grassierenden Virusangst. Kneipen und Restaurants haben überwiegend (noch) offen, die Frage bleibt: Geht jemand hin? Unsere Mitarbeiterin Renate Schweizer und unser Fotograf Tobias Sellmaier haben sich aufgemacht zum Kneipenbummel am Samstagabend.

„Wir gehen aus, solange man uns lässt“

Das „Tante Emma“ ist wie leer gefegt. Offen ist trotzdem: „Wir lassen unsere Gäste nicht im Stich“, so David Jäger und Anna Panagiotidou. Fotos: T. Sellmaier

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Im Storchen ist die Stimmung bestens, die Tische fast voll besetzt, der Laden brummt. Dimitrios Pinakas, der Wirt, wundert sich: „Beim Mittagstisch in der letzten Woche war so gut wie niemand da. Viele Stammgäste haben uns angerufen und sich bis auf Weiteres abgemeldet – vor allem die Älteren bleiben weg. Aber heute Abend ist eigentlich alles wie immer am Samstagabend.“

Wie immer? Die Gäste sehen das anders. „Klar sind wir in Sorge. Man muss diese Sache ernst nehmen. Aber man muss auch differenzieren. Das Leben geht schließlich weiter“ erklärt Inge Marbaz, die mit Mann und einem befreundeten Ehepaar unterwegs ist. „Wir gehen aus, solange man uns lässt. Arbeiten gehen wir ja auch,“ ergänzt ihr Mann Uwe. „Und wir bleiben unserm Storchen treu. Zum Wohl, Corona!“, prosten die Freunde sich zu. Man witzelt über Hamsterkäufe und Klopapier. Und einer der Köche kommt herüber und erzählt von Griechenland, wo alle Restaurants schon geschlossen seien. Pinakas weiß Näheres: „Man darf noch Essen abholen – aber nicht im Restaurant essen. Da stehen hohe Geldstrafen drauf.“ Und eigentlich ist sich der Wirt sicher, dass das auch in Deutschland so kommen wird: „Wenn die Empfehlung vom Gesundheitsamt kommt, machen wir zu, ganz klar.“ Wir verabschieden uns von der trotz allem fröhlichen Runde mit der Grußformel der Saison: „Schönen Abend noch und bleiben Sie gesund!“

In der Weinstube Kunberger ist nicht nur jeder Tisch, sondern sogar jeder einzelne Platz besetzt. Kein Durchkommen. Wir ziehen weiter Richtung Biegel, wo sich ein ganz anderes Bild bietet: Eine Handvoll Gäste im Wohnzimmer. Kaum jemand auf der Straße unterwegs. Vor Tante Emma steht David Jäger, Gastronomie-Azubi im zweiten Lehrjahr, und wartet auf Gäste. Er freut sich, dass wenigstens die Zeitung kommt. „Ich hätte heut Zeit für ein Interview“ sagt er. Kostas Xanthopoulos, der dort als Aushilfe arbeitet, macht sich eben startklar zum Nachhausegehen. „Die Leute werden krank von der Propaganda – nicht vom Virus“, sagt er. Wir gehen rein. Hinten im Eck sitzen drei Leute: Mann, Frau und ein Teenager. Fast schon trotzig halten sie die Stellung. „Es liegt an den Medien“, wettert Manuel Strohmenger, der unerschrockene Trotzdem-Gast. „Vor Corona hab ich keine Angst – aber vor der Hysterie der Leute. Diese Hamsterkäufe zum Beispiel – die sind total asozial. Wenn es zur Apokalypse kommt, wird Klopapier kein Leben retten.“

Schichtleitung an der Theke hat heute Anna Panagiotidou. „Solange wir dürfen, haben wir auf. Mit heruntergefahrenem Servicepersonal eben.“ Und Azubi Jäger versichert mit Eifer:„Wir lassen doch unsere Gäste nicht im Stich.“ Den Satz hören wir öfter an diesem Abend, mal von Gästen, mal von Gastronomen: Wer aufhat, tut’s aus Solidarität. Wer ausgeht auch. Und vermutlich bleiben die, die jetzt zu Hause bleiben, ebenfalls aus Solidarität daheim.

Auch Kiriakos Gountoulas, Chef im Ring bei Joe Penas, ist solidarisch. Seine Sorge gilt nicht nur den Gästen, den Wirten und überhaupt der Gastronomiekultur. „Wir haben 24 Leute Servicepersonal, davon zwölf Festangestellte. Die wollen ihr Geld, die brauchen ihr Geld. Eine Weile halten wir das noch durch, aber dann wird’s eng.“ Besorgt lässt der junge Geschäftsführer den Blick durch das mexikanische Restaurant schweifen. Für uns Expeditionskneipenbummler sieht’s eigentlich ganz voll aus, aber der Schein trügt, versichert Gountoulas. „An diesem Wochenende hatten wir 100 Reservierungen – sonst das Doppelte. Zwei große Gesellschaften haben abgesagt. Wir haben 120 Sitzplätze, die an einem Samstagabend die ganze Zeit besetzt sein sollten und es normalerweise auch sind. Ohne Reservierung kriegen Sie bei uns an einem Samstag sonst keinen Platz.“

Unsere letzte Station ist das Kino Universum. Alle Filme laufen, eben geht „Emma“ zu Ende, ein gutes Dutzend Menschen verlassen das Kino. „Wir verkaufen ungefähr halb so viele Tickets wie sonst“ weiß Jessi, die die Stellung hinter der Popcorntheke hält. „Und wir platzieren die Leute weit auseinander – es kommen ja auch weniger, da ist das gar kein Problem.“ Zwei Freundinnen haben Emma gesehen, „schöner Kostümfilm“, sagen sie, „sehenswert“. Virusangst scheint nicht ihr Problem zu sein. „Okay, wir würden jetzt vielleicht nicht gerade in die Disco gehen“, sagen sie, aber das Kino scheint ihnen ungefährlich. Vermutlich haben sie recht: Alle schauen in dieselbe Richtung und niemand hustet den anderen voll.

„Wir gehen aus, solange man uns lässt“

Voll besetzte Tische im „Storchen“. Auch Ralf und Christiane Beditsch sowie Inge und Uwe Marbaz lassen es sich schmecken. „Wir gehen aus, solange man uns lässt“, sagen sie.