„Wir könnten den Hunger beseitigen“

Das Interview: Bundestagsabgeordneter Norbert Barthle spricht über seine neue Aufgabe und den Asylstreit in der Union

Parlamentarischer Staatssekretär ist er geblieben, aber seine Themen haben sich geändert: Norbert Barthle, CDU-Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd, ist im März vom Verkehrsministerium ins Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gewechselt. Im Gespräch mit unserer Zeitung fordert er mehr Geld für Entwicklungshilfe.

„Wir könnten den Hunger beseitigen“

„Was in den vergangenen Wochen zu erleben war, war nicht förderlich für das Ansehen der Regierung“, sagt Norbert Barthle über den Asylstreit zwischen CDU und CSU. Archivfoto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

Herr Barthle, Sie sind seit drei Monaten parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Welche Länder haben Sie seitdem schon bereist?

Ich bin noch gar nicht so viel gereist. Ich war bisher bei der Jahrestagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds in Washington, anschließend bei den Vereinten Nationen in New York, eine Woche auf den Philippinen und zuletzt noch ein paar Tage in Griechenland. Aber ich bin nicht ins BMZ gekommen, um viel zu reisen. Was mich interessiert, ist die Arbeit.

Das Verkehrsministerium, in dem Sie zuvor tätig waren, hat vom Etat und auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Bedeutung als Ihr neues Ministerium. Haben Sie Ihre Versetzung als Abstieg empfunden?

Ganz im Gegenteil. Ich habe das Verkehrsministerium zwar nicht gerne verlassen, mir hat die Kanzlerin aber die Wahl gelassen, in welches Ministerium ich stattdessen gehen will. Das war ein besonderes Privileg und ich habe mich für das BMZ entschieden, weil die Arbeit dort unglaublich spannend ist.

Mancher Bürgermeister im Raum Backnang dürfte Ihren Wechsel aber bedauert haben, denn der kurze Draht ins Verkehrsministerium war bei großen Infrastrukturprojekten wie dem Ausbau der B14 sicher kein Nachteil.

Das stimmt, aber mein Nachfolger Steffen Bilger kommt ja aus Backnang und hat Baden-Württemberg und die Region im Blick. Und was die Verkehrsinfrastruktur angeht, sind die wichtigsten Projekte alle schon in trockenen Tüchern. Die B14 ist komplett zum Bau freigegeben, die Ortsumfahrung Oppenweiler ist im vordringlichen Bedarf, die Höherstufung der L1115 zur Bundesstraße ist in die Wege geleitet. Die Hausaufgaben sind also erledigt, jetzt muss nur noch umgesetzt werden, und das ist vorwiegend Sache des Landes.

Sprechen wir über Ihr neues Aufgabenfeld: In der Diskussion um die Zuwanderung wird oft gefordert, man müsse die Fluchtursachen in den Ländern bekämpfen, in denen sie entstehen. Was kann Deutschland konkret tun?

Wir haben derzeit weltweit 68 Millionen Flüchtlinge. Wenn sich nur zehn Prozent davon auf den Weg nach Europa machen, schaffen wir das nicht. Deshalb muss es darum gehen, den Menschen dort, wo sie leben, Perspektiven zu eröffnen. Das machen wir, indem wir zum Beispiel Beratungszentren vor Ort einrichten. Sieben Stück haben wir schon gebaut – überwiegend in Afrika, aber auch in Afghanistan. Da geht es zunächst mal darum, die Menschen zu informieren, denn sie haben zum Teil völlig falsche Vorstellungen davon, was sie in Europa erwartet. Und zweitens helfen wir den Leuten vor Ort: Wir machen zum Beispiel in Syrien erfolgreich das Programm „cash for work“. Das heißt, wir geben Rückkehrern Geld, wenn sie dort eine Arbeit verrichten und sich am Wiederaufbau beteiligen. Das ist besser, als ihnen pauschal ein paar Geldscheine in die Hemdtasche zu stecken.

Gelingt diese Hilfe vor Ort?

Wir erreichen viel. Wer weiß etwa, dass wir alleine 20000 Lehrer beschäftigen, die syrische Kinder unterrichten? Die sind rund um den Krisenbogen Syrien, vor allem aber auch in der Türkei im Einsatz. Das ist ein Beispiel dafür, wie man Entwicklungshilfe positiv einsetzt. Würden wir das nicht tun, würden die Menschen weiterwandern. Es ist aber viel, viel günstiger, dort etwas zu tun, als hinterher bei uns die Konsequenzen tragen zu müssen. Flüchtlinge, die wir in Tunesien, Algerien oder Marokko betreuen, kosten uns nur 50 Cent am Tag. Wenn sie zu uns kommen, kosten sie 50 oder 100 Euro am Tag.

Das UN-Ziel, dass die Industrienationen 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe ausgeben, hat Deutschland 2017 verfehlt, 2018 wird die Quote sogar noch sinken.

Wir haben das Ziel 2017 beinahe erreicht, wenn man die Flüchtlingskosten mit dazurechnet, was man momentan noch darf. Die Finanzplanung für 2019 sieht zwar eine Erhöhung der Ausgaben um 240 Millionen Euro vor, aufgrund der gestiegenen Wirtschaftsleistung würde die Quote aber zurückgehen. Das versuchen wir, im parlamentarischen Verfahren noch zu verhindern.

Müsste man die Ausgaben in diesem Bereich nicht deutlich erhöhen, wenn es Deutschland mit dem Kampf gegen die Fluchtursachen ernst meint?

Der Finanzminister war leider nicht bereit, uns die Mittel zu geben, die wir eigentlich bräuchten. Uns geht es dabei nicht um die Quote. Uns geht es darum, das Rückkehrprogramm finanziell besser auszustatten. Uns geht es darum, den Marshallplan mit Afrika auskömmlich zu finanzieren: Da wollen wir mit fünf, sechs Partnerländern eine vertiefte Zusammenarbeit eingehen, aber immer unter der Voraussetzung, dass sie dafür staatliche Reformen voranbringen. Und dann haben wir noch das große Programm „Eine Welt ohne Hunger“. Jahr für Jahr sterben immer noch Millionen von Menschen an Hunger, darunter vor allem Kinder. Das darf nicht sein, denn wir hätten die Möglichkeit, alle ordentlich zu ernähren.

Wie viel Geld bräuchte man dafür?

Das sind eigentlich überschaubare Mittel, wenn man sich vor Augen führt, welche Summen die internationale Gebergemeinschaft insgesamt zur Verfügung stellt. Wenn man weltweit 20 oder 30 Milliarden mehr zur Verfügung stellen würde, könnten wir den Hunger beseitigen. Insofern hat Minister Müller recht, wenn er sagt: Es ist ein Skandal, dass die Europäische Kommission ihren Entwicklungsetat nur marginal erhöht. Es wäre eine Verdoppelung oder Verdreifachung nötig, dann könnte man das Problem beseitigen.

Deutschland könnte doch mit gutem Beispiel vorangehen.

Wir sind bereits der zweitgrößte Geber weltweit nach den Vereinigten Staaten und tun mehr als viele andere. Aber wir müssen jeden Euro, den wir ausgeben, natürlich auch vor dem Steuerzahler rechtfertigen. Die neuneinhalb Milliarden, die wir momentan für Entwicklungsarbeit ausgeben können, sind gut angelegtes Geld, aber wenn wir über die Zehn-Milliarden-Grenze hinausgehen wollen, müssen wir das genau begründen. Deshalb ist unser erstes Bestreben, dass wir noch mehr Effizienzkontrolle bekommen, um belegen zu können, dass das Geld, das wir einsetzen, auch die Wirkung erzielt, die es erzielen soll.

Zurück ins Inland: Der wochenlange unionsinterne Streit in der Asylfrage hat in der Bevölkerung nur noch für Kopfschütteln gesorgt. War das nur Horst Seehofers Schuld?

Der Start der Regierung war schon ziemlich holprig. Das muss man eingestehen. Es hat sehr lange gedauert, bis wir überhaupt eine tragfähige Koalition zustande gebracht haben. Und dann wurde die Sacharbeit überlagert durch diesen Streit mit der CSU über den Masterplan Migration. Ich hoffe sehr, dass mit den jüngsten Vereinbarungen es jetzt sehr schnell gelingt, diesen Masterplan umzusetzen. Denn die deutsche Bevölkerung erwartet ein Signal, dass es eine bessere Steuerung der Zuwanderung gibt und die innere Sicherheit wieder mehr in den Blickpunkt gerät.

Die Zustimmung in der Bevölkerung ist aber trotz dieser Einigung sehr gering. Laut ARD-Deutschlandtrend sind aktuell nur noch
21 Prozent der Deutschen mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden.

Streit wird nie gutgeheißen, vor allem nicht in der Form, wie er zuletzt stattgefunden hat. Streit in der Sache gehört zur Demokratie, aber wenn die Streitigkeiten einen Anstrich des Persönlichen bekommen, mögen das die Leute nicht, und das kann ich durchaus nachvollziehen. Was in den vergangenen Wochen zu erleben war, war nicht förderlich für das Ansehen der Regierung. Ich hoffe, das wird jetzt schnell wieder besser.

Sie arbeiten ja nun schon einige Jahre mit CSU-Ministern zusammen, erst mit Alexander Dobrindt, jetzt mit Gerd Müller. Können Sie uns die bayerischen Befindlichkeiten erklären? Viele Deutsche wundern sich darüber, dass die europäische Flüchtlingspolitik offensichtlich von der bayerischen Landtagswahl bestimmt wird.

Das war schon bei Franz Josef Strauß so, dass für die CSU der erste Fokus auf Bayern liegt. Und die bayerische Landtagswahl ist der Beweis dafür, ob die CSU nach wie vor die tragende Partei in Bayern ist oder nicht. Die absolute Mehrheit ist daher das oberste Ziel und dem wird vieles untergeordnet. Aber in Berlin ist die CSU nur ein Partner. Insofern ist es richtig zu sagen: Eure Landtagswahl ist zwar wichtig, aber andere Länder sind auch wichtig und noch wichtiger sind der Bund und Europa.

Ist der Kompromiss denn der große Wurf? Zentrale CSU-Forderungen wie die Zurückweisungen an der Grenze und die Transitzentren kommen darin ja gar nicht mehr vor.

Es ging zuletzt eigentlich nur noch um Formulierungen: um die berühmten Transferzentren und die Frage, ob das geschlossene Einrichtungen sein sollen. Da hatte die SPD ihre Bedenken. Jetzt hat man den Begriff ausgetauscht gegen ein Transferverfahren, was aber im Prinzip nichts anderes ist. Es geht darum, möglichst an der Grenze festzustellen, welche Asylbewerber überhaupt eine Aussicht haben, bei uns ein erfolgreiches Verfahren durchzuführen, und diejenigen, die bereits abgelehnt sind oder für die anderswo schon ein Verfahren läuft, in die Länder zurückzuschicken, in denen sie registriert wurden oder bereits ein Asylverfahren eröffnet wurde.

Aber das geht nur, wenn diese Länder sie auch wieder zurücknehmen.

Das geht nur in beiderseitigem Einvernehmen, und deshalb ist jetzt der Innenminister gefordert, diese Verhandlungen zu führen.

Und wenn keine Einigung zustande kommt, geht der Streit von vorne los?

Ob zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel noch einmal eine herzliche Beziehung entsteht, kann man wahrlich bezweifeln. Aber ich traue beiden zu, dass sie Profis genug sind, um auf sachlicher Ebene sachlich miteinander zu arbeiten. Und darum wird es gehen.