„Wir werden früher in die Schulen gehen“

Das Interview: Arbeitsagentur-Chefin Christine Käferle über ihre Pläne und neue Möglichkeiten der Förderungen

Seit April ist Christine Käferle (Jahrgang 1964) Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Waiblingen, in der ihr Ausbildungsweg begonnen hatte. Sie ist Nachfolgerin von Jürgen Kurz, der in den Ruhestand ging. Wir sprachen mit Christine Käferle über Schwerpunkte, Herausforderungen, Pläne, neue Gesetze und daraus resultierende Chancen.

„Wir werden früher in die Schulen gehen“

„Alle Berufe im Dienstleistungsbereich werden weiterhin gebraucht“. Christine Käferle gibt im Interview auch über die Berufsfelder der Zukunft Auskunft. Foto: G. Habermann

Von Ingrid Knack

Wie fühlt es sich an, als Leiterin wieder dorthin zurückzukommen, wo Sie Ihr Studium begonnen hatten?

Es fühlt sich gut an. Man darf nicht den Fehler machen und denken, man kennt ja schon alles, weil man mal da war. Man muss es genau so offen angehen, als wenn man wo hinkommt, wo man noch gar nicht war. Denn 15 Jahre sind eine lange Zeit.

Bei Ihrer Einführung sagten Sie, Ihnen läge der Übergang junger Menschen von der Schule in die Berufswelt sehr am Herzen. Welche Pläne haben Sie?

Ich bin jetzt in einer glücklichen Situation, denn die Bundesagentur insgesamt möchte ihre Tätigkeit in der Berufsberatung noch einmal verstärken. Wir führen dieses Jahr die „lebensbegleitende berufliche Beratung“ ein. Ich werde mehr Beratungspersonen haben, die für die jungen Menschen da sind. Wir werden mit unseren Berufsberatern früher in die Schulen gehen.

Wie sieht das dann konkret aus?

Nehmen wir die Realschule: Bisher kamen wir in der 9. Klasse. Jetzt werden wir in der 8. Klasse erstmals in die Schule kommen. Meine Wunschvorstellung wäre, dass der Berater einen festen Raum in der Schule hat. Dass er zum Beispiel sagen kann: Jeden Montag findet ihr mich in Zimmer 100. Der junge Mensch soll einen niederschwelligen Zugang zum Berufsberater haben.

Kommen alle Schulen in den Genuss einer ausgeweiteten Beratung?

Dieses Jahr werden wir unser Angebot in alle allgemeinbildenden Schulen, von der Werkrealschule über die Gemeinschaftsschule bis zum Gymnasium, ausweiten. Nächstes Jahr kommen die berufsbildenden Schulen dazu.

Warum ist es heute für viele so schwer, den für sich geeigneten Beruf zu finden?

Ich glaube, da gibt es viele Ursachen. Nur ein Beispiel: Zwischenzeitlich sind wir in Deutschland bei Studiengängen im fünfstelligen Bereich. Manchmal sieht man das Ziel nicht mehr vor lauter Informationen.

Welche weiteren Akzente wollen Sie setzen?

Ganz wichtig wäre, dass wir eine Möglichkeit finden, wie wir Eltern bei der Berufswahl ihrer Kinder noch stärker mit ins Boot holen.

Und abgesehen von den Jugendlichen?

Über die Menschen, die über keine berufliche Qualifikation verfügen, mache ich mir sehr viele Gedanken. Weil sie einfach am stärksten von Arbeitslosigkeit betroffen sind, die häufigsten Stellenwechsel haben. Das macht ja auch was mit der ganzen Lebensplanung.

Die sogenannten Geringqualifizierten.

Genau. Ihr Anteil an den Arbeitslosen im Rems-Murr-Kreis ist fast 50 Prozent. Wenn wir zu den Beschäftigten schauen, sind es nicht mal 16 Prozent, die ohne beruflichen Abschluss beschäftigt sind. Allein an diesen Zahlen sieht man, dass die Geringqualifizierten immer stärker von Arbeitslosigkeit, von Risiken betroffen sind. Mir ist es ein ganz wichtiges Thema, gemeinsam mit meinen Kollegen aus der Arbeitsvermittlung, aus dem Arbeitgeberservice daran zu arbeiten, den Menschen aufzuzeigen, wie wichtig ein Berufsabschluss ist. Außerdem möchten wir ihnen auch zeigen, wie wir das unterstützen können. Auch bei Arbeitgebern wollen wir das Thema stärker platzieren. Denn auch während der Beschäftigung kann ein Berufsabschluss nachgeholt werden. Auch da können wir finanziell unterstützen.

Da hat sich ja auch an den Rahmenbedingungen etwas geändert.

Wir haben seit Januar das neue Qualifizierungschancengesetz. Dadurch haben wir noch einmal mehr Möglichkeiten, Qualifizierung auch während der Beschäftigung zu fördern. Bisher konnten wir diese im Regelfall dann fördern, wenn wirklich ein Berufsabschluss erzielt wurde. Jetzt können wir eben auch die Vorbereitung zum Berufsabschluss oder kürzere Qualifizierungen fördern. Denn: Nicht jeder wird immer gleich in der Lage sein, einen Berufsabschluss zu machen. Oder es gibt auch Personen, die vielleicht ohnehin nur eine Grundqualifizierung oder eine Teilqualifizierung machen können.

Wir haben aktuell eine Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent. Herr Kurz hat bei seiner Verabschiedung und Ihrer Einsetzung als seine Nachfolgerin gesagt, vielleicht ließe sich diese noch verringern. Sehen Sie da eine Chance, unter 3 Prozent im Rems-Murr-Kreis zu kommen?

Im Juni 2018 betrug die Arbeitslosenquote im Rems-Murr-Kreis erstmals unter 3 Prozent, im November und Dezember lag sie sogar bei 2,8 Prozent. Man spricht in der Wissenschaft davon, dass alles, was unter drei Prozent ist, eigentlich Vollbeschäftigung ist. Ich bin da ein bisschen zögerlich. Ich sage, solange wir noch Menschen haben, die grundsätzlich arbeitsfähig, aber ohne Arbeit sind, also Langzeitarbeitslose oder Lebensältere, mit 63 oder 64 Jahren, spreche ich ungern von Vollbeschäftigung. Ich denke, eine niedrigere Arbeitslosigkeit wird, wenn die Demografie zuschlägt, wenn die Babyboomer in Rente gehen, voraussichtlich noch möglich sein. Aber mit unserer momentanen Demografie, glaube ich, sind wir mit um die 3 Prozent schon sehr, sehr gut unterwegs.

Wie hat sich die Arbeitslosigkeit Älterer verändert?

Bei der Ü-50-Gruppe sind wir bei 3,2 Prozent. Also bei nur einem Prozentpunkt mehr als insgesamt. Bei Ü55 sind wir bei 3,7 Prozent. Es ist so, dass gerade Beschäftigte ab 50 sogar noch stärker vom guten Markt profitiert haben als die anderen Personen. Bei Menschen über 60 wird die Quote höher. Aber da muss man differenziert hinschauen.

Was genau kann man sich unter der 2019 neu geschaffenen Maßnahme „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ vorstellen?

Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist eine zusätzliche Leistung, die bei den Jobcentern eingeführt wurde. Das betrifft einen weiteren Personenkreis, der mir stark am Herzen liegt. Wir haben trotz niedriger Arbeitslosigkeit immer noch einen hohen Anteil an Menschen, die langzeitarbeitslos, also mindestens ein Jahr in der Arbeitslosigkeit, sind. Sie decken sich viel mit den Geringqualifizierten. Davon haben viele keinen Abschluss. Warum ihre Arbeitslosigkeit schon sechs oder sieben Jahre dauert, kann viele Gründe haben: gesundheitliche Einschränkung, ein Schuldenproblem, fehlende Qualifizierung, Süchte...

Was können Sie jetzt noch mehr für sie tun?

Wir können für Personen, die mindestens 6 Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben, in den ersten zwei Jahren bis zu 100 Prozent der Lohnkosten übernehmen und für weitere drei Jahre Teile der Lohnkosten. Wir schauen zudem, dass wir ein Coaching finanzieren. Wenn man feststellt, dass da noch fachlich etwas nötig ist, oder es gibt im sozialen Bereich ein Problem, gibt es einen Ansprechpartner für beide Seiten.

Trotz des rasanten Wandels im Arbeitsleben, trotz Expertenaussagen von einer drohenden Rezession hört man auch Stimmen, die sagen: Die Arbeit wird uns nie ausgehen. Selbst wenn Roboter so manche Arbeit übernehmen. Alte Berufe verschwinden, neue kommen hinzu. Was sind die Berufe der Zukunft?

Wo wir ganz großen Personalbedarf haben, ist in der Pflege. In der Krankenpflege, aber noch stärker in der Pflege von älteren, von pflegebedürftigen Menschen. Wir haben eben eine Generation, die zahlenmäßig groß vertreten ist, und im Verhältnis dazu relativ wenig junge Menschen, die nachkommen. Deswegen wird aus meiner Sicht in der Pflege die Schere am weitesten auseinandergehen.

Ein großes Thema ist der Dienstleistungsbereich allgemein.

Alle Berufe im Dienstleistungsbereich werden weiterhin gebraucht – sie sind überall dort angesiedelt, wo es um Beziehungen in der Beratung, in der Erziehung von Kindern geht. Auch in den Schulen sind sie zu finden. Dort werden wir keine große Reduzierung durch Digitalisierung haben. Digitalisierung wird stärker im produktiven, in produzierenden und technischen Bereichen zum Strukturwandel führen, und auch in Büroberufen.

Wie ist es um die Ausstattung von Personal beim Jobcenter bestellt? Manche Jobcenter können ja die gesetzlich vorgegebenen Betreuungsquoten nicht halten.

Gesetzlich vorgegeben ist 1:75 für alle Menschen unter 25 Jahren und 1:150 für die Menschen über 25 Jahren. Wir haben das im Grunde eingehalten. Bei den Jugendlichen sind wir eins drüber. Es ist jetzt aber natürlich die Zeit, in der Ausbildung und Schulen vorbei sind. Bei den Erwachsenen liegen wir sogar mit 1:124 drunter. Wir registrieren im Jobcenter auch eine rückläufige Arbeitslosigkeit und haben bewusst entschieden, unser Personal zu halten, um mit denen, die da sind, intensiver arbeiten zu können. Übrigens: Man kann für Rems-Murr, aber auch für die anderen Jobcenter in Baden-Württemberg sagen, dass wir so viel Finanzmittel haben, dass wir alles, was wir für sinnvoll und notwendig für die Menschen halten, in den Förderungen auch tun können. Das war vor ein paar Jahren anders.

Info
Studium und Stationen

Ausbildung/Studium: 1983 bis 1986 Studium an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Arbeitsverwaltung und Agentur für Arbeit Waiblingen; Abschluss Diplom-Verwaltungswirtin (FH). 1999 Fortbildung zur Arbeitsberaterin Agentur für Arbeit Waiblingen und Verwaltungsschule Daun.

1986 bis 1999 Arbeitsvermittlerin und bis 2004 Arbeitsberaterin in der Agentur für Arbeit Waiblingen. Anschließend wechselte sie zur Regionaldirektion Baden-Württemberg und arbeitete dort in folgenden Funktionen: als Programmberaterin in erfolgskritischen Geschäftsfeldern, als Bereichsleiterin Programmbereich Arbeitnehmer, als Bereichsleiterin Markt und Integration, als Bereichsleiterin Berufseinstieg, Berufliche Rehabilitation und SGBII und als Abwesenheitsvertreterin des Geschäftsführers operativ. Vom Januar 2015 bis März 2019 war sie Geschäftsführerin operativ der Agentur für Arbeit Stuttgart. Seit April 2019 ist Käferle Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Waiblingen.