Siri-Warrlich-Kolumne

Wir wollen uns nicht mehr festlegen

Eine Partnerbörse muss ihre Nutzer dazu aufrufen, sich zu entscheiden. Aber gerade das Festlegen fällt jungen Menschen schwer. Warum nur?

Wir wollen uns nicht mehr festlegen

Kompliziert: digitale Partnersuche und die vielen Optionen

Von Siri Warrlich

Parship ist eine Partnerbörse im Internet. Zurzeit fährt die Firma ein neues Werbeprogramm. „Was ist eigentlich mit Dating passiert?“ Das fragt eine Frauenstimme im Werbevideo. „Wir legen uns nicht mehr fest und swipen ins Endlose.“ Dagegen wird nun geraten: „Lasst uns nicht fünf Menschen fragen, was so geht, sondern die eine Person mal besser kennenlernen.“ Wenn ihr jemanden gefunden habt, mit dem es halbwegs passt, dann legt euch doch bitte endlich fest! So lautet vereinfacht gesagt die Botschaft der Kampagne.

Überfrachtete Lebensentscheidungen

Auf Parship bezahlen Menschen viel Geld, um einen Partner zu finden. Doch das Finden setzt ein Entscheiden voraus. Es ist überraschend, dass die Firma ihre Kunden nun per Werbekampagne bitten muss, genau das zu tun: sich zu entscheiden. Die Kampagne zeigt die Schwierigkeiten gerade junger Menschen, sich zu festzulegen – auf einen Partner, einen Studiengang, einen Beruf. Dieser Text soll kein Bashing „junger Leute“ sein, sondern vielmehr ein Erklärungsversuch, warum ihnen Entscheidungen häufig so schwerfallen.

Die Autorin spricht hier insbesondere für die Generation Y, der sie selbst angehört – also grob gesagt für die Geburtenjahrgänge 1980 bis 1995. Die Lebensentscheidungen dieser Generation sind in zweierlei Hinsicht überfrachtet.

Erstens: Der Preis fürs Scheitern ist hoch!

„Mensch, Schatzi, dir steht doch die ganze Welt offen!“ Diesen Satz habe ich von meinen Eltern oft gehört. Die Lebensentscheidungen früherer Generationen kannten engere Grenzen und größere Widerstände. Meiner Mutter zum Beispiel rieten vor dem Studium viele: „Tiermedizin? Das ist nichts für eine Frau.“

Wenn die ganze Welt offen steht

Wer gegen Widerstände kämpft, kann scheitern. Dann waren die Bedingungen eben schuld, wenn es nicht klappt. Wer als weißes, privilegiertes Kind von Akademikereltern im neuen Jahrtausend kaum noch Widerständen begegnet, ist dagegen selbst schuld, wenn es nicht funktioniert. „Dir steht doch die ganze Welt offen.“ Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn du es angesichts deiner unbegrenzten Möglichkeiten nicht schaffst, glücklich zu sein, ist dir wirklich nicht mehr zu helfen. Entscheidungen scheinen dadurch paradoxerweise schwieriger zu werden – denn wenn eine Festlegung sich als falsch entpuppt, kann man es auf nichts und niemanden schieben. Dann ist man selbst ganz allein schuld und das schlechte Gewissen groß.

Zweitens: Sei was Besonderes!

Die Logik des Besonderen

Wer das Privileg genießt, alle Möglichkeiten dieser Welt zu haben, der sollte sie auch nutzen, logisch. „Dir steht die ganze Welt offen.“ Daraus ergibt sich rasch der Imperativ: „Mach etwas ganz Besonderes aus deinem Leben.“ Andreas Reckwitz vertritt in seinem Buch „Gesellschaft der Singularitäten“ die These, dass dieses Streben nach Einzigartigkeit heute unser gesamtes Leben bestimmt. Zuvor, bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts, dominierte laut Reckwitz die „Logik des Allgemeinen“: Es ging um Standardisierung und Formalisierung, auf den Fließbändern, in der Technik. Demgegenüber steht heute die „Logik des Besonderen“: Massenprodukte sind out, nur wer „etwas ganz Besonderes“ ist, wird im Leben bestehen. Im Netz lerne das Subjekt von klein auf, „dass es zu einem vollwertigen Wesen nur wird, wenn es im Aufmerksamkeits- und Valorisierungswettbewerb mit anderen an seiner sichtbaren Besonderheit arbeitet“, schreibt Reckwitz. Die Vorgabe, etwas Besonderes zu sein, bezieht sich auch auf die Partnerwahl: „Nicht nur als bloßer sozialer Verpflichtung werden Partnerschaften eingegangen, Ehen geschlossen und Familien gegründet, sondern in der Erwartung, sich dadurch als Individuum weiterzuentwickeln, seine Freizeit auf befriedigende Weise gemeinsam zu gestalten und ‚neue Erfahrungen‘ zu machen“, schreibt Reckwitz.

Das ständige Streben nach Einzigartigkeit macht vieles kompliziert. Der „richtige“ Partner soll nicht nur nett sein, er muss auch auf Instagram besonders aussehen. Kein Wunder also, dass die Entscheidung kompliziert ist. Das spüren auch die Parship-Leute.