Wirecard: „Salami-Taktik“ der Regierung im Finanzausschuss

Von Von Andreas Hoenig und Benedikt von Imhoff, dpa

dpa Berlin. Die Bundesregierung - und mit ihr SPD-Kanzlerkandidat Scholz - wird den Fall Wirecard nicht los. Anfang der Woche kommt erneut der Finanzausschuss zusammen. Danach könnte die Entscheidung über einen Untersuchungsausschuss fallen. Die Opposition hat viele Fragen.

Wirecard: „Salami-Taktik“ der Regierung im Finanzausschuss

Rote Lichter leuchten vor dem Schriftzug von Wirecard an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters in Aschheim. Foto: Peter Kneffel/dpa

Im Wirecard-Skandal rückt ein Untersuchungsausschuss immer näher, zudem nimmt die Opposition das Kanzleramt stärker ins Visier.

Es gehe darum, warum Hinweise auf Geldwäsche bei Wirecard verspätet oder gar nicht bearbeitet worden seien, sagte die Grünen-Obfrau im Finanzausschuss, Lisa Paus, der Deutschen Presse-Agentur: „Wir werden nach der Sondersitzung am Dienstag umgehend Bilanz ziehen. Bis jetzt ist ein Untersuchungsausschuss mit jedem Tag wahrscheinlicher geworden - aber wir lassen uns gerne von der Bundesregierung überraschen.“ Der Linke-Obmann Fabio De Masi sagte der dpa, ein Untersuchungsausschuss werde immer dringlicher.

„Die Bundesregierung handelt immer noch nach einer Salami-Taktik und legt entscheidende regierungsinterne Dokumente nicht vor“, betonte De Masi vor einer Sondersitzung des Finanzausschusses an diesem Montag. Paus kritisierte, bisher habe sich die Bundesregierung immer wieder um die entscheidenden Fragen gewunden. „Es ist verständlich, dass der Unmut bei den vielen geschädigten Anlegern und der Öffentlichkeit so wächst.“

FDP-Obmann Florian Toncar sagte, es sei rätselhaft, warum die Finanzaufsicht Bafin und die FIU, die Anti-Geldwäsche-Einheit des Bundes, Wirecard nicht viel früher und schärfer geprüft hätten. „Unerklärlich ist es bisher auch, warum die bayerischen Behörden ebenfalls vollkommen im Dunkeln tappten“, sagte Toncar der dpa. Wirecard hat seinen Sitz in Aschheim bei München. Auch die FDP ist für einen Untersuchungsausschuss.

Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies - und ermittelt wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren, das Unternehmen flog aus dem Leitindex Dax. Zentrale Fragen der politischen Aufarbeitung sind, wann genau die Bundesregierung von Unregelmäßigkeiten wusste und ob sie zu wenig dagegen unternommen hat.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wies erneut Kritik an der Bafin, die unter der Aufsicht seines Finanzministeriums steht, zurück. „Die Bafin hat sofort im Februar 2019 die Überprüfung des Konzerns eingeleitet und die dafür zuständige Bilanzpolizei, die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, damit beauftragt, genau wie es gesetzlich für einen solchen Fall vorgesehen ist“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag). Zugleich kritisierte er abermals die Rechnungsprüfungsgesellschaften, die in den Zuständigkeitsbereich von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) fallen. „Wir müssen davon ausgehen können, dass Wirtschaftsprüfer, die viele Leute mit hohen Tagessätzen beschäftigen, Unternehmen wie Wirecard ausreichend kontrollieren“, sagte Scholz dem Blatt.

Der Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz, der ebenfalls im Finanzausschuss sitzt, warf Scholz indes eine Mitverantwortung vor. Vom Finanzminister sei zwar nicht zu erwarten, dass er selbst die Bilanzen durchgeht, sagte Bayaz der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Scholz hätte aber politisch aktiv werden müssen, nachdem Informationen über Wirecard bei ihm gelandet sind.

Gehört werden sollen an diesem Montag unter anderem Vertreter des Kanzleramts, Vertreter von Bayerns Innenministerium sowie Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Sie soll unter anderem zur geplanten Reform der Wirtschaftsprüfung und des Bilanzstrafrechts als Folge des Wirecard-Skandals befragt werden sowie zu möglichen Kontakten des Ministeriums zur Prüfgesellschaft EY. Diese steht in der Kritik, weil das Unternehmen die Jahresbilanzen bei Wirecard seit 2009 geprüft und testiert hatte. Am Dienstag wird unter anderem der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, erwartet.

Linke-Obfrau Paus betonte, es müsse zudem geklärt werden, was im Kanzleramt in dem Fall bekannt gewesen sei. Linke-Obmann De Masi sieht vor allem offene Fragen zu einer China-Reise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im September 2019, auf der sie für den Markteintritt von Wirecard geworben hat. Merkel hatte das am Freitag verteidigt: „Es ist Usus, nicht nur in Deutschland, dass man bei Auslandsreisen natürlich die Anliegen von Unternehmen auch anspricht.“ Damals seien die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard noch nicht bekannt gewesen. Merkel betonte zugleich: „Das, was da passiert ist, muss natürlich aufgeklärt werden, das ist klar.“

Der Linke-Obmann sagte dazu: „Die Verteidigungslinie ist ja, dass Merkel sich für einen Dax-Konzern eingesetzt habe und von den Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nichts gewusst hat. Warum aber wird dann die Kommunikation dazu mit dem Botschafter nicht offengelegt?“

Grünen-Finanzexperte Bayaz kritisierte in dem Fall auch die Deutsche Börse für die Aufnahme Wirecards in den Leitindex Dax und forderte eine Korrektur der Börsenregeln. „Die Börse muss auch die Qualität von Vorstand und Aufsichtsräten prüfen, es braucht eine solide Corporate Governance für den Dax-Aufstieg“, sagte er der „F.A.S.“.

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