Wirtschaften gestern und heute

214. Altstadtstammtisch im Backnanger Helferhaus – Heiner Kirschmer berichtet über Historie und Legenden

Als Backnang-Kenner par excellence begrüßte der Heimat- und Kunstvereinsvorsitzende Ernst Hövelborn den Referenten Heiner Kirschmer zum 214. Altstadtstammtisch. Kirschmer betreibt seit 30 Jahren Heimatforschung und nimmt seit zwei Jahren „Backnanger Wirtschäftle in Geschichte und Geschichten“ unter die Lupe.

Wirtschaften gestern und heute

Die Gaststätte „Zur Uhr“: Heiner Kirschmer schwärmte von „dem lauschigen Garten vor der Uhr“. Foto: A. Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. So viel zur Theorie, in der Praxis reiche die Zeit Jahrzehnte zurück, bemerkte er und erntete verständnisvolle Heiterkeit. Heiner Kirschmer nannte seine drei Ziele: die Dokumentation aller Wirtschaften in Vergangenheit und Gegenwart, die Herausgabe kleiner Broschüren über einzelne Wirtschaften, die demnächst anlaufen wird, und später vielleicht ein Büchlein mit ausgewählten „Wirtschäftla“. In der Vergangenheit unterschied man zwischen Schildwirtschaften mit Bewirtung sowie Beherbergung und Schankwirtschaften, wo man vorwiegend trank, aber abends nach Hause musste. Zu diesen Schankwirtschaften gehörte häufig eine Bäckerei oder Metzgerei. Heiner Kirschmers Vortrag stellte ausgewählte Wirtschaften vor und verband Faktisches mit Anekdotischem und Heiterem. Der Referent erinnerte an in Vergessenheit geratene Gaststätten wie Napoleon, die Nächstenhilfe (im heutigen BKZ-Gebäude), Amman, die Backnanger Volksküche, das Jägerhaus. Andere Wirtschaften sind „noch bekannt, aber nicht mehr existent“: Bären, Hase, Rose, Stern. In der Blume beispielsweise habe sich der schwere Eichentisch „manchmal vor lauter Lug- und Truggeschichten“ gebogen, und an den Nachtklub Rififi mit seinem Wirt Corrado Gambinieri erinnere man sich bis heute auch im Ausland. „Es gab Striptease und Liveshows und Filme mit den sieben Zwergen, die zwar klein an Körpergröße waren, aber...“ Legendäres gab Kirschmer zum Besten vom weißen Pferd und dem blonden Siegfried, bevor er in den Deutschen Kaiser entführte. Der Referent berichtete vom „Debattierclub“ um vier Gymnasiasten, die sich 1964 entschlossen, einen Schülertreff zu gründen, der sich Donna-Club nennen und einen „President“ haben sollte. Und weiter ging es in die Eintracht, die heute „zu den wenigen noch verbliebenen traditionsreichen schwäbischen Wirtschaften“ gehört.

Kirschmer lobte das Angebot an Speisen, vor allem den „großen Renner“ dort, den Kartoffelsalat. „Ein ganz berühmter Gast“ in der Eintracht sei 2011 Carl Alexander Prinz von Hohenzollern, auch Prinz Gaga genannt, gewesen. „Arg viel könnte man erzählen“ über die Weinstube Kunberger, so der Vortragende. Nach einem Ausflug in die frühere Historie des Restaurants erzählte er, dass das Fachwerk an dem Gebäude 1952 freigelegt wurde und die Marktstraße 30 heute als Kulturdenkmal gelistet ist. Die Weinstube Kunberger habe man früher auch als mittlere Apotheke bezeichnet, weil sie sich zwischen der Oberen und Unteren Apotheke (heute beide geschlossen) befand. 1975 zog das griechische Lokal „Mitsou“ ein, später übernahm „Poli“ es unter dem Namen Aura, das heute wiederum im ehemaligen Casa Carmen (Deutscher Kaiser) seine Gäste empfängt. Ein Gedicht und allerlei Legendäres war zum Gasthof Löwen zu hören. Von Weißwurst und Weißbier war die Rede, von Brezeln und Sex. Dann gab’s einen Ausflug in den Löwen zu Allmersbach am Weinberg, dessen Vier-Gänge-Menü (ein Rostbraten und drei Viertele) angepriesen wurde. Das Santa Lucia sowie die Gasthäuser Schwanen und zum Stern waren weitere Stationen, schließlich auch: Zum Storchen und Zur Uhr. Der vom heutigen Eigentümer und Betreiber Dimitrios Pinakas zwischen 2002 und 2003 aufwendig sanierte Storchen sei inzwischen „Asyl für ehemalige Löwen-Gäste“, und übrigens, der Löwen werde demnächst wiedereröffnet. Die Uhr habe ihren recht seltenen Namen nach dem Uhrmacher Eberhard, der das Haus 1821 erwarb, erhalten. Heiner Kirschmer zeigte Fotos der heutigen Wirtsleute und erzählte die bewegende Geschichte der Solidarität von Backnanger Bürgern mit Dimitros Siasiakis, genannt Mitsou, als dieser 1991 kurz vor der Schließung des Lokals stand. Er habe es dann erwerben und 1992 wieder öffnen können. Kirschmer schwärmte von „dem lauschigen Garten vor der Uhr. Ein wenig kann man sich hier im Sommer zwischen all den Blumen und dem Kugelahorn wie im Urlaub in Griechenland fühlen.“ Auch die wechselvolle Geschichte des Waldheims thematisierte Kirschmer – ebenfalls ein beliebtes Sommerziel für Hungrige und Durstige. Klar, dass der Referent aufgrund der Vielzahl der Lokalitäten eine Auswahl treffen musste. Trotzdem ist es schade, dass einige echte Kultstätten der Backnanger Gastronomie- und Jugendkultur vergangener Zeiten an diesem Abend außen vor blieben.

Wirtschaften gestern und heute

„Andere Wirtschaften sind noch bekannt, aber nicht mehr existent.“

Heiner Kirschmer