„Wirtschaftsweise“ erwarten keine schwere Wirtschaftskrise

dpa Berlin. Die gute Botschaft der Regierungsberater: Arbeitsmarkt und Binnennachfrage in Deutschland sind nach wie vor stabil. Deswegen rutsche Deutschland nicht in eine tiefe Rezession. Die Ökonomen sehen aber viele Risiken und die Koalition am Zug.

„Wirtschaftsweise“ erwarten keine schwere Wirtschaftskrise

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - in seiner damaligen Zusammensetzung - im vergangenen Jahr mit seinem Jahresgutachten für 2018. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Der jahrelange Aufschwung in Deutschland ist zu Ende - droht nun eine schwere Wirtschaftskrise? Die fünf „Wirtschaftsweisen“ als Top-Berater der Bundesregierung sehen diese Gefahr derzeit nicht.

Sie geben der Bundesregierung aber eine klare Botschaft mit auf den Weg: Sie muss mehr tun, damit „Wachstumskräfte“ gestärkt werden. Also Unternehmen entlasten und mehr in Bildung und Forschung sowie den Ausbau des schnellen Internets investieren - und sich notfalls höher verschulden. Denn es gibt große Zukunftsaufgaben: der digitale Wandel, der die Arbeitswelt tiefgreifend verändert und der Kampf gegen den Klimawandel.

Deutschland stehe an der Schwelle zu einem neuen, herausfordernden Jahrzehnt, sagte der Vorsitzende der fünf „Weisen“, Christoph Schmidt, in Berlin. Rückenwind durch die Konjunktur gibt es derzeit nicht, ganz im Gegenteil. Vor allem die exportstarke deutsche Industrie wird von einer schwächeren Weltwirtschaft, internationalen Handelskonflikten und dem Brexit belastet. Firmen bekommen weniger Aufträge. Außerdem steigen die Unsicherheiten, wie sich die Konjunktur entwickelt - deswegen investieren viele Firmen weniger.

Wie zuvor die Bundesregierung senkte auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung seine Konjunkturprognose. Das Gremium renommierter Wirtschaftswissenschaftler, kurz „Wirtschaftsweise“ genannt, erwartet nun für dieses Jahr ein Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 0,5 Prozent und von 0,9 Prozent im kommenden Jahr. Dabei gibt es 2020 mehr Arbeitstage (Kalendereffekt) - allein dadurch steigt das BIP um 0,4 Prozent.

Das sind trübe Aussichten - denn 2018 war das deutsche Bruttoinlandsprodukt noch um 1,5 Prozent gestiegen. Auf den Arbeitsmarkt und die Entwicklung von Einkommen hat dies aber bisher noch keine großen Folgen. Denn die Binnenwirtschaft läuft weiter gut, vor allem Handwerk und Bau machen gute Geschäfte.

Die Bundesregierung aber müsse nun mehr machen, um die Wirtschaft anzukurbeln, fordern die „Wirtschaftsweisen“. Schmidt sagte, der Sachverständigenrat sei „frustriert“ darüber, dass die Bundesregierung Mahnungen lange nicht gehört habe, „Wachstumspotenziale“ in den Mittelpunkt zu stellen - der Industrieverband BDI kommentierte dies als „Weckruf“ an die Politik.

Dabei geht es um Fragen wie: Wie können Unternehmen wettbewerbsfähiger werden und wieder mehr Firmen in Deutschland gegründet werden - mit mehr Wagniskapital? Wie können aus guten Ideen an Unis mehr als bisher Geschäftsmodelle werden? Wie kann die Bildung verbessert werden?

Denn Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich mitten in einem digitalen Wandel, mit gravierenden Veränderungen. In vielen Betrieben übernehmen zunehmend Maschinen menschliche Arbeiten - Beschäftigte müssen qualifiziert werden für andere Tätigkeiten, Stichwort „lebenslanges Lernen“. Dazu kommen Umbrüche zum Beispiel in der Autoindustrie hin zu alternativen Antrieben wie dem Elektromotor.

Der Sachverständigenrat fasst dies unter dem Begriff „Strukturwandel“ zusammen - folglich lautet der Titel des Jahresgutachtens: „Den Strukturwandel meistern“. Im Kanzleramt übergab Schmidt den Bericht an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) - die dies nutzten, um der Koalition eine positive Halbzeitbilanz auszustellen. Das Regierungsbündnis hält bisher am Kurs einer „schwarzen Null“ fest - einer Politik ohne Neuverschuldung. Und auch von Konjunkturprogrammen halten die maßgeblichen Akteure zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel, wie Finanzminister Scholz noch einmal bekräftigte: „Wir haben alle Möglichkeiten, im Falle einer Krise zu handeln, aber wir sehen keine solche Krise.“

Auch die „Wirtschaftsweisen“ sind gegen Konjunkturprogramme. Stattdessen gehe es darum, im Falle eines Einbruchs bestehende Instrumente wirken zu lassen. Als ein solches gilt etwa das Kurzarbeitergeld für kriselnde Firmen. Zugleich verweisen die Ökonomen aber darauf, dass die Schuldenbremse eine Neuverschuldung nicht ausschließe und Spielräume für eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen lasse. In einer konjunkturellen Schwächephase erlauben die Schuldenbremse und die europäischen Fiskalregeln gesamtstaatliche Finanzierungsdefizite, die über jene in konjunkturell normalen Zeiten hinausgehen. Auch eine Lockerung der „schwarzen Null“ halten die „Wirtschaftsweisen“ für denkbar. Schmidt sagte, in einer Krise wäre das Festhalten an der „schwarzen Null“ nicht sinnvoll - aktuell gebe es aber keine Notwendigkeit, sie in Frage zu stellen.

Hart ins Gericht gehen die „Wirtschaftsweisen“ mit der Europäischen Zentralbank (EZB) - wegen deren ultralockerer Geldpolitik. Es wäre besser gewesen, zumindest auf neue Staatsanleihekäufe zu verzichten, da diese Politik „erhebliche Risiken und Nebenwirkungen“ mit sich bringen könne. So bestehe das Risiko abrupter „Preiskorrekturen“ - vor allem auf dem Immobilienmarkt.

Geld ist billig, die Zinsen extrem niedrig. Das ärgert Sparer - und hat dazu geführt, dass vor allem in „Beton“ investiert wurde, sprich in Immobilien. Auch dadurch sind die Preise für Wohnungen in Großstädten erheblich gestiegen. Es bestehe die Gefahr, dass es zum Platzen einer Blase komme, sagte die „Wirtschaftsweise“ Isabel Schnabel - die nach dem Willen der Bundesregierung bald ins EZB-Direktorium aufrücken soll. Von einem „Mietendeckel“ wie in Berlin halten die Ökonomen aber nichts - es komme vor allem darauf an, das Angebot zu stärken - also neue Wohnungen zu bauen.