Kulturstaatsminister Weimer wird angegriffen: Sein Magazin „The European“ soll Texte prominenter Persönlichkeiten ohne Erlaubnis übernommen haben – unsichtbar für Google.
Der parteilose Weimer wurde von Friedrich Merz als Staatsminister ins Kanzleramt berufen und gibt sich konservativ – auch Weidel-Texte weiß er offenbar zu schätzen.
Von Michael Maier
Ein kleines medienpolitisches Beben erschüttert Berlin: Ausgerechnet Kulturstaatsminister Wolfram Weimer steht im Zentrum einer mutmaßlichen Urheberrechtsaffäre. Sein Online-Magazin „The European“, das zur Weimer Media Group gehört, soll über Jahre hinweg Reden und Texte von Politikern, Bloggern und anderen Prominenten ohne deren Zustimmung veröffentlicht und sie als Autoren des Portals ausgewiesen haben.
Die Liste der vermeintlichen Publizisten liest sich wie ein politisches und gesellschaftliches „Who’s Who“: Bundeskanzler Friedrich Merz, Innenminister Alexander Dobrindt, Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck, Ex-Außenministerin Annalena Baerbock, Gregor Gysi, Sahra Wagenknecht, Papst Franziskus, Brad Pitt und AfD-Chefin Alice Weidel, von der das Magazin fast hundert Beiträge geführt haben soll. Inzwischen sind diese und die meisten anderen „Autoren“ von der Seite verschwunden.
Weimer Media: „kein Urheberrecht auf Reden“
Die Weimer Media Group und ihre Chefredakteure berufen sich in einer Klarstellung darauf, dass auf Pressemitteilungen oder Redebeiträge – wie etwa aus dem Bundestag – kein Urheberrecht gelte, räumen allerdings ein, dass die Bezeichnung „Autor“ in diesem Zusammenhang etwas ungewöhnlich ist.
Angeprangert wird die Praxis vom Publizisten Alexander Wallasch, der auf seinem Blog zunächst Screenshots von Dutzenden Beiträgen veröffentlicht hat, in denen AfD-Chefin Alice Weidel als Autorin ausgewiesen war. Bei näherer Betrachtung entpuppten sich diese als kopierte Reden, Pressemitteilungen und angeblich auch Interviews der Politikerin.
Weidel hat inzwischen einen Medienjuristen mit der Prüfung des Falls beauftragt. „Weder war Frau Weidel Autorin für The European noch wurde sie um Erlaubnis gefragt, dort unter ihrem Namen Texte zu veröffentlichen“, erklärte ihr Sprecher Daniel Tapp gegenüber t-online. „Es ist ein sehr unredliches Vorgehen, sich auf diese Weise geistiges Eigentum anzueignen.“
Dobrindt kein Autor bei „The European“
Auch andere vermeintliche Autoren reagierten überrascht. Das Innenministerium teilte auf Medienanfragen mit, dass Alexander Dobrindt nie für das Magazin geschrieben und kein Honorar erhalten habe – obwohl er dort als „Autor“ geführt wurde.
Ausgerechnet Plagiatsjäger Weber kopiert?
Der österreichische Kommunikationswissenschaftler und selbsternannte Plagiatsjäger Stefan Weber fand sich ebenfalls auf der Autorenliste wieder – mit elf Texten, die angeblich direkt aus seinem Blog übernommen wurden. „Ich wurde nie gefragt, nie bezahlt“, sagte Weber im Interview mit Wallasch. „Das ist eine klassische Urheberrechtsverletzung.“ Er hat inzwischen eine Unterlassungserklärung an „The European“ schicken lassen und behält sich weitere Schritte vor.
Mögliche Urheberrechtsverletzungen
Weimer-Herausgeber Ansgar Graw erklärte in einer Verlautbarung, man prüfe derzeit die Entstehungsgeschichte der teils mehr als 15 Jahre alten Inhalte. Zumindest einzelne Urheberrechtsverletzungen seien nicht völlig auszuschließen.
Die Weimer Media Group wies die Vorwürfe in einer „Klarstellung“ aber weitgehend zurück und sieht sich nach ungerechtfertigten Angriffen „von rechts“ ausgesetzt. Politische Reden und Äußerungen seien auf der Plattform stets als „dokumentarische Publikationen“ erschienen – honorarfrei und mit Quellenangabe. Sollte es in Einzelfällen versäumt worden sein, die Quelle zu nennen, bedauere man das. Die Praxis, Reden und Pressemitteilungen unter Nennung des Politikers zu veröffentlichen, sei „damals gängige Praxis vieler Publikationen“ gewesen.
Medienrechtler widersprechen jedoch dieser Darstellung zumindest in ihrer Pauschalität, spekulieren zum Teil sogar über eine denkbare Strafbarkeit. Sollten Rechtsverletzungen festgestellt werden, käme womöglich auch eine Geschäftsführerhaftung oder Unternehmerhaftung von Wolfram Weimer persönlich in Betracht. Aktuell wird jedoch auf die Verantwortung der Herausgeber und Chefredakteure im betroffenen Zeitraum verwiesen.
AfD fordert Weimer-Rücktritt
Der Vorfall hat bereits politische Dimensionen angenommen. Götz Frömming, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, forderte Weimers Rücktritt. „Sollten die Vorwürfe sich erhärten, hat Staatsminister Weimer ein ernsthaftes Problem“, schrieb Frömming in einem Pressestatement.
Er erinnerte daran, dass Weimer in seiner Rede auf der Frankfurter Buchmesse den „geistigen Vampirismus“ von Künstlicher Intelligenz kritisiert hatte – das Abgreifen fremder Inhalte. „Und nun kommt heraus, dass er selbst hundertfach Texte anderer kopiert und sich mit ihren Namen geschmückt haben soll“, meint zumindest Frömming. Der Fall ist besonders brisant, da Weimer als Kulturstaatsminister für Pressefreiheit, Medienethik und Urheberrecht verantwortlich zeichnet.
Alexander Wallasch und Wolfram Weimer
Für den Publizisten Alexander Wallasch deutet manches darauf hin, dass das Sammeln der Texte weniger auf Journalismus als auf „Selbstdarstellung“ abgezielt haben könnte. Weimer brauche für sein Image als ‚Medienunternehmer’ offenbar Medien, die er zeigen könne, so Wallasch. Ebenfalls auffällig: Die kritisierten Beiträge wurden laut Wallasch offenbar mit einem speziellen Programmierungstag („no index“) unauffindbar für Google veröffentlicht.
Das Kulturstaatsministerium wollte Anfragen zu dem Fall nicht beantworten und verwies auf die Weimer Media Group. Wolfram Weimer, der im Frühjahr 2025 von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ins Kabinett berufen wurde, hatte sich im April aus der Geschäftsführung der Firma zurückgezogen. Seine Frau führt den Verlag seitdem allein.