Zechkumpan im Schlaf brutal erschlagen

Alten Kriminalfällen auf der Spur: Zwei Kumpel, ein Kontorist und ein Hilfsarbeiter, ziehen drei Tage lang durch die Kneipen. Weil sich am Ende der eine betrunken ins Bett des anderen legt und schläft, rastet der aus und schlägt mit der Axt fünfmal zu.

Zechkumpan im Schlaf brutal erschlagen

In diesem Gebäude, dem einstigen Schulhaus in Großerlach, erschlug dessen Besitzer seinen 35 Jahre alten Freund. Das Gebäude wurde aber wenige Jahre nach der Tat abgerissen. Jetzt steht dort das Feuerwehrgerätehaus. Archivfoto von 1976

Von Hans-Christoph Werner

GROSSERLACH. Drei Tage lang haben sie miteinander verschiedene Gaststätten besucht und tüchtig getrunken. Der Kontorist Hartmut B. und der Bauhilfsarbeiter Ferdinand F. (Namen geändert). Als sie nichts mehr bekommen, kaufen sie sich einen Kasten Bier und machen im Haus des Kontoristen weiter. Die Stimmung ist schlecht. Gegenseitig werfen sie sich Schimpfworte an den Kopf. Der Hilfsarbeiter will ungefragt seinen Rausch im Bett des Kontoristen ausschlafen. Da nimmt dieser eine Axt.

Am 28. September 1976 ist es, an dem Hartmut B. und Ferdinand F., die sich erst ein halbes Jahr zuvor kennengelernt haben, abends dem Gerstensaft reichlich zusprechen. Weil damit noch nicht genug, machen sie am nächsten Tag weiter. Der Hilfsarbeiter kann deshalb nicht zur Arbeit gehen. Und damit die Arbeit auch weiter nicht hinderlich im Weg steht, kündigt der 35-Jährige am 30. September seine Stellung. Weil’s immer noch nicht genug ist, hängen beide noch einen Tag dran.

Es ist der 1. Oktober 1976. Erst sind beide im „Silberstollen“, dann in der „Krone“. Aber dort bekommt Hartmut B. nichts mehr, denn er hat Lokalverbot. Man probiert es im „Löwen“ in Oberfischbach. Dort hat wiederum der andere der beiden Freunde Lokalverbot. Nach so viel Zurückweisung entschließen sich die beiden Kumpane, die Versorgung selbst in die Hand zu nehmen. Sie kaufen sich gegen 17.30 Uhr in Großerlach einen Kasten Bier und begeben sich in das Haus von Hartmut B.

Der Angeklagte sagte, er habe den Freund nur schachmatt setzen wollen.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Stimmung zwischen den beiden Zechern trotz Alkohol auf dem Tiefpunkt. Vor allem Ferdinand F. wird unter Alkoholeinfluss leicht reizbar. Im Haus von Hartmut B. funktioniert das Licht nicht. Wegen ausstehender Zahlungen wurde ihm der Strom abgestellt. Zum Ersatz zünden die beiden Zecher Kerzen an. Böse Worte gehen hin und her. „Scheißkerl“ heißt es da. Und „Vorgartenzwerg“, „Rübenschwein“, „Arsch mit Ohren“. Drohungen folgen. „Ich schieß dir eine!“ Und: „Ich schlag dir eine in die Fresse.“

Vier Tage Zechtour fordern ihren Tribut. Ferdinand F. ist müde. Erst macht er sich auf der Couch breit. Aber wenn schon schlafen, dann in einem Bett. So wechselt er die Schlafstatt. Hartmut B. regt sich darüber auf, dass sein Freund sich in sein Bett legt und nicht mal die Schuhe auszieht. Aber dieser antwortet schon nicht mehr, er ist eingeschlafen. Hartmut B. entschließt sich, seinen Freund zu töten. Später wird er das etwas relativieren. Er habe den Freund nur „schachmatt“ setzen wollen. Dreimal, so ergibt später die Obduktion, schlägt er mit einer Axt, die er eigens aus dem unteren Stockwerk holt, auf den Schlafenden ein. Mit der scharfen Kante wohlgemerkt. Dann noch zweimal mit der stumpfen Seite. Auch eine Bierflasche zieht er dem Freund noch über den Kopf. Bierflasche und Axt werden über das Fenster entsorgt.

Zunächst bleibt er in seiner Wohnung sitzen und trinkt weiter. Dann macht er sich auf den Weg in den „Ochsen“ in Liemersbach. Es ist schon weit über Mitternacht, als sich Hartmut B. über eine Notrufsäule bei der Polizei meldet. „Bei mir liegt ein halb toter Mann im Bett.“ Später erzählt er etwas von einem Streit und einer Notwehrsituation. Aber diese Versionen halten nicht lange.

Am 2. Oktober legt Hartmut B. ein umfassendes Geständnis ab. Offensichtlich auf Anraten des ihm zugeteilten Rechtsanwalts widerruft er dieses am 25. Oktober. Eine kleine Anmerkung ist’s wert. Hartmut B. erhebt Einspruch gegen den ihm zugeteilten Pflichtverteidiger. Er hätte gern den damals bekannten Rechtsanwalt Klaus Croissant, Verteidiger im damals in Stuttgart-Stammheim laufenden Verfahren gegen die Rote-Armee-Fraktion, gehabt. Das Gericht weist den Einspruch ab.

Ein Jahr später kommt es zur Verhandlung vor dem Landgericht. In dem Jahr bis zur Hauptverhandlung tischt Hartmut B. den Ermittlern immer wieder neue Versionen des Tatgeschehens auf. Zum Teil in handgeschriebenen Briefen bringt er sie vor. Das Geständnis bei der Polizei sei wertlos, da er betrunken gewesen sei. Ein anderes Mal sagt er, dass sein Zechkumpan homosexuell gewesen sei und an dem Abend zudringlich wurde. Dann wieder meint er, dass er aufgrund des Alkoholkonsums in der Tatnacht nur bedingt schuldfähig sei. Mit großer Akribie arbeitet das Schwurgericht die vom Angeklagten vorgebrachten Tatversionen ab.

Das Geschehen in der Tatnacht wird genau rekonstruiert. Dazu werden viele Zeugen befragt. Angehörige von Ferdinand F. können dessen angebliche homosexuelle Neigung nicht bestätigen. Keine der Ausflüchte des Angeklagten hält stand. Die Obduktion des Opfers weist eindeutig darauf hin, dass der Bauhilfsarbeiter im Schlaf und somit arg- und wehrlos von den Schlägen getroffen wurde. Am 2. November 1977 wird Hartmut B. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Als für das Jahr 1994 die Entlassung und das Aussetzen der Reststrafe zur Bewährung ansteht, wird Hartmut B. nochmals begutachtet. Seine Lebenstüchtigkeit, so heißt es in dem Gutachten, hat in der Haftzeit nicht zugenommen. Er benötige eine „institutionelle Betreuung“. Ferner wird ihm ein striktes Alkoholverbot auferlegt. Bei seiner Entlassung im Juni 1994 kommt Hartmut B. in ein Wohnheim. Erst später darf er eine eigene Wohnung beziehen. Als er drei Jahre später beim Erwerb von Schuhen das Bezahlen unterlässt, wird die Bewährungszeit nochmals verlängert.

Zuletzt arbeitete Hartmut B. in einem Stuttgarter Männerwohnheim.

Der vor der Tat liegende berufliche Werdegang von Hartmut B. ist ohne Erfolg geblieben. Die Lehre als Industriekaufmann hat er abgebrochen. Angestellter war er bei der AOK, wechselte dann zu einem Bürodienstleister. Aufgrund gesundheitlicher Probleme war er für eineinhalb Jahre arbeitsunfähig. Dann arbeitete er als Kontorist. Länger als je zuvor hält er in dieser Stellung aus. Im Jahr 1971 ist allerdings auch damit wieder Schluss. Kurze Arbeitsverhältnisse bei der Bausparkasse und der Allianz folgen. Zuletzt arbeitet er in einem Stuttgarter Männerwohnheim. Ab 1974 ist er arbeitslos.

Im Jahr 1968 war Hartmut B. mit Ehefrau und Mutter nach Großerlach gekommen. Gemeinsam hatten sie das alte Schulhaus in der Grafenstraße erworben. Vier Jahre später ist die Ehe des Kontoristen geschieden worden. Abermals zwei Jahre später starb die Mutter, die es verstanden hatte, den Sohn stark an sich zu binden. Ohne Mutter und ohne Arbeit flüchtete sich Hartmut B. in den Alkohol. Und die Gaststätten in und um Großerlach waren es auch, in denen er die meiste Zeit seines Tages zubrachte.