Zeit der Kräuter und Herrgottsbscheißerle

Es ist ein Brauch, der sich über Jahrhunderte weitergetragen hat: Vor Ostern grünes Gemüse und Kräuter zu essen findet sich im Christentum genauso wie in anderen Kulturkontexten. Die guten Zutaten aus dem Garten haben zudem oft noch eine heilsame, vitalisierende Wirkung.

Zeit der Kräuter und Herrgottsbscheißerle

Nicht unüblich: Als krönender Abschluss wird die Gründonnerstagssuppe unter anderem mit Gänseblümchen garniert. Foto: Adobe Stock/JiriD

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Mehrere Hundert Jahre alt soll der Brauch sein, am Gründonnerstag grünes Gemüse und grüne Kräuter zu essen. Christen gedenken damit des letzten Abendmahls Jesu mit den zwölf Aposteln am Vorabend seiner Kreuzigung. In manchen Regionen ist der Gründonnerstag auch das Datum der ersten Frühlingsaussaat, steckt doch in „Grün“ das althochdeutsche Wort „gruoen“ (wachsen). Noch ist die Karwoche mit ihren Fastenvorschriften nicht zu Ende, und so berichtet die 1919 geborene Murrhardterin Emma Noller geborene Reichert in dem Buch „Lang, lang ist’s her. Murrhardter Erinnerungen“: „Am Gründonnerstag machte Mutter Maultaschen in großen Mengen.“ Richtig schön grün, frisch und manchmal tatsächlich nur mit Spinat gefüllt kommen sie auf den Tisch und verbergen gekonnt, was zur Fastenzeit nicht sein darf: die Fleischfüllung. „Herrgottsbscheißerle“ heißen Maultaschen deshalb auch.

Hildegard von Bingen (1098 bis 1179), so erzählt die Naturparkführerin Michaela Köhler aus Großerlach, empfiehlt für Körper und Geist eine Karfreitagssuppe, in die unter anderem der würzige Quendel (Feldthymian), der der Kamille ähnlich sehende, scharf schmeckende Bertram (Speichelwurz, Zahnwurzel) und Galgant mit seinem ingwerähnlichen Geschmack gehören. Kinder, die nicht selten eine gesunde Küche meiden, essen mit dieser Würzung wieder gerne Gemüse und Salat, berichtet sie aus eigener Erfahrung.

Die zum Teil bitteren Kräuter am Gründonnerstag sollen an die Leiden Christi erinnern, sorgen aber auch für die Reinigung des Körpers nach dem Winter und für die Erneuerung der Lebensenergie. Mit Kräutern und Gemüse wird die Kraft des Frühlings aufgenommen. Eine alte Bauernregel besagt: „Am Tag von Tiburtius sollen alle Felder grünen.“ Was an diesem 14. April noch nicht in der Natur vorhanden ist, wird durch Küchenkräuter ersetzt. Wie das Gemüse richtig schön grün, ja smaragdgrün wird, wussten schon die einst hier beheimateten Römer. Sie verwendeten Natron, also das kristalline Natriumsalz der Kohlensäure. Ihre unfreiwilligen Nachbarn, die Germanen, sollen zu ihrem Frühlingsfest „Ostara“, benannt nach einer Lichtgöttin, am 21. März eine Neunkräutersuppe aus den Sprossen des ersten Frühlingsgrüns serviert haben. Neun Kräuter, weil die verstärkte Drei seit alten Zeiten und bei vielen Völkern heilig ist. So heißt es, man solle Gebete dreimal sprechen, drei Fragen werden in Märchen und Sagen gestellt, drei Wünsche sind frei. „Nun haben diese neun Kräuter Macht gegen neun böse Geister, gegen neun Gifte und gegen neun ansteckende Krankheiten“, heißt es über die traditionelle Kultspeise der Gründonnerstagskräuter.

„Tiburtius kommt uns sehr gelegen mit einem grünen Blättersegen“, und so werden für eine Gründonnerstagssuppe je nach fortgeschrittener Jahreszeit oder Vorrat in der Küche die unterschiedlichsten Kräuter verwendet. Neben den gängigen wie Kresse, Petersilie, Dill, Basilikum, Spinat, Schnittlauch können auch Brennnessel, junge Löwenzahnblätter für die vielleicht leidende Leber der „Viertelesschlotzer“, Giersch, Bärlauch, Sauerampfer gegen übermäßiges Frustessen, Sauerklee, Spitzwegerichblätter mit ihrem pikanten Geschmack, Scharbockskraut, Rucola und Tripmadam (Fetthenne) in den Topf gegeben werden. Kerbel gehört bei Bedarf und Frühlingsgefühlen dazu, schließlich hilft er angeblich dem Opa auf seine Bärbel. Vielleicht auch noch ein bisschen Gundermann mit seiner Grünkraft gegen böse Geister, Schafgarbe, Taubnessel oder Vogelmiere? Auf jeden Fall kommt als krönende Zierde auf die Gründonnerstagssuppe ein Gänseblümchen. Wer dann genug hat von so vielen Kräutern, verspeist noch die ersten drei Frühlingsblumen, um das ganze Jahr gegen Fieber und andere Störungen gefeit zu sein.

Gestärkt geht es dann in den Karfreitag, von dem Martha Zügel geborene Schraishuhn, die 1914 das Licht der Welt erblickte, erzählt, dass er in Murrhardt nicht nur ein ganz besonderer Tag, sondern sogar ein Wallfahrtstag war. Das Grab des Heiligen Walterich wurde besucht. In der Stadt waren alle Läden geöffnet, in den Wirtshäusern herrschte Hochbetrieb: „Die meisten Menschen waren schwarz oder dunkel gekleidet.“ Alles andere war gegen „die guten Sitten“. „Einmal trug eine Frau (...) an Karfreitag ein knallrotes Kleid, darüber hat sich das ganze Städtle empört.“