Das deutsche Gesundheitssystem gilt schon im Normalzustand als überlastet, doch nun muss man sich auf das Szenario eines Krieges vorbereiten. Die Herausforderungen sind riesig.
Sanitäter der Bundeswehr bei einer Übung: Im Kriegsfall rechnen Experten mit Hunderten Verletzten pro Tag.
Von Tobias Heimbach
Es ist düsteres Szenario, das Almut Nolte vorstellt. In einem Kriegsfall, so argumentiert die Generalstabsärztin der Bundeswehr, kämen auf das deutsche Gesundheitssystem riesige Herausforderungen zu: 300 bis 1000 verletzte Soldaten pro Tag, Zivilisten, die durch Raketenangriffe verletzt werden. Auch würden Ärzte unter erschwerten Bedingungen arbeiten: Dazu gehören Bombenschäden an Krankenhäusern, Stromausfälle und Cyberattacken.
Es ist ein bewusst gewähltes „Worst-Case-Szenario“, wie die stellvertretende Befehlshaberin und Stabschefin des Zentralen Sanitätsdiensts der Bundeswehr am Montag auf einem Symposium in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin betonte. Nolte sagte: „Wir arbeiten daran, so schnell wie möglich wieder kriegstüchtig zu werden.“ Und stellte klar: „Auch die zivile Gesundheitsversorgung muss kriegstüchtig werden.“ Doch wie soll das funktionieren? Schließlich wird das deutsche Gesundheitssystem schon im Normalbetrieb als überlastet beschrieben.
In Zukunft sollen umgebaute ICEs verletzte Soldaten transportieren
Ein Problem der Bundeswehr kann man vor dem Tagungszentrum an der Berliner Julius-Leber-Kaserne besichtigen. Dort steht ein Geländefahrzeug vom Typ „Eagle“. Es ist knapp fünfeinhalb Meter lang, gepanzert, geländegängig. Das Problem: Es passt genau ein Patient hinein. Damit war es geeignet für Auslandseinsätze der Bundeswehr wie in Afghanistan. Dort rechnete man mit wenigen Verletzten, die man bestmöglich schützen und versorgen wollte.
Doch schon im Fall eines Krieges an der Nato-Außengrenze rechnen die Militärs mit Hunderten verletzten Soldaten am Tag. In der Ukraine gibt es Züge für Soldaten, aber auch für die Evakuierung von Zivilisten aus Kampfgebieten. Die Bundeswehr plant auch die Beschaffung von ICE-Zügen, die im Ernstfall für den Transport von Verletzten umgebaut werden sollen. Doch das Projekt verzögert sich aktuell.
Die Vorbereitungen betreffen längst nicht nur die Bundeswehr. Der vorherige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) brachte den Ernst der Lage auf den Punkt: „Wir sind auf den Katastrophenfall, aber auch auf den Bündnisfall nicht ausreichend vorbereitet“, sagte er Ende vergangenen Jahres. Um das zu ändern, ist schon länger das Gesundheitssicherstellungsgesetz in Arbeit. Die Ampelkoalition konnte es nicht mehr umsetzen, nun soll ein Entwurf bis Ende des Jahres vorliegen.
Versorgung mit Arzneimitteln
Das soll helfen, sich vorzubereiten. Dabei geht es etwa um die Frage, wie Patienten im Ernstfall im Land verteilt werden oder wie man das militärische und zivile Gesundheitssystem miteinander verschränkt. Ein entscheidender Punkt im Ernstfall ist die Versorgung mit Arzneimitteln. Diese sind manchmal selbst zu Friedenszeiten knappt. So gingen im Winter 2022/23 vielen Apotheken der Fiebersaft für Kinder aus. In einem Kriegsfall rechnen die Experten damit, dass alle Länder versuchen werden, Vorräte an Medikamenten und Verbandsmaterial anzulegen. Doch schon in der Pandemie konnte man beobachten, wie die Regierungen um Schutzmasken und Impfstoffe konkurrierten, während gleichzeitig die Preise stiegen.
Um sich vorzubereiten, holt man sich auch Hilfe bei befreundeten Nationen. Am Montag war Zivan Aviad Beer zugeschaltet. Er ist Brigadegeneral und oberster Sanitätsoffizier der israelischen Armee. Dort gibt es seit Jahren systematische Vorbereitungen für verschiedene Ernstfälle. Er berichtet, dass Krankenhäuser regelmäßig Übungen abhalten, wie man mit einem Cyberangriff, Naturkatastrophen oder Kriegsszenarien umgeht. Auch Nolte mahnt: „Jede Gesundheitseinrichtung in Deutschland sollte sofort analysieren, wie es für den Ernstfall vorbereitet ist.“
Kriegstypische Verletzungen
Auch die Ausbildung der Ärzte und Pfleger muss sich anpassen, betont sie. „Zivile Krankenhäuser müssen in der Lage sein, kriegstypische Verletzungen routiniert zu behandeln“, sagt Nolte.
Experten rechnen damit, dass Russland seine Armee 2029 soweit aufgerüstet hat, dass es einen Nato-Staat angreifen könnte. Auch Sanitätsoffizierin Nolte ist angesichts solcher Szenarien beunruhigt: „Mit dem Gedanken möchte man sich gar nicht auseinandersetzen.“ Aber, so setzt sie hinzu: „So ganz unmöglich ist es nicht mehr.“