Zeltunterkunft in Backnang bleibt vorerst nur Reserve

Beim Beruflichen Schulzentrum hat der Landkreis im vergangenen Herbst eine Notunterkunft für Geflüchtete mit 436 Plätzen errichtet. Doch die steht bislang leer. Die Verantwortlichen in der Kreisverwaltung wären froh, wenn das so bleibt.

Zeltunterkunft in Backnang bleibt vorerst nur Reserve

Noch sind die Betten leer: Fachbereichsleiter Steffen Blunck und Dezernent Peter Zaar vom Landratsamt sowie Jens Kitter von der Kreisbaugruppe (von links) beim Ortstermin in der Zeltunterkunft beim Backnanger Berufsschulzentrum. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Wer am Beruflichen Schulzentrums in Backnang vorbeifährt, könnte meinen, dass dort gerade ein Volksfest stattfindet. Doch die großen weißen Zelte neben der Schule sind keine Bierzelte, sondern eine Notunterkunft für Geflüchtete. Die Entscheidung, auf dem Sportplatz drei große Wohnzelte sowie sechs kleinere als Aufenthaltsräume und Kochstätten aufzustellen, ist im vergangenen August gefallen. Damals waren dem Rems-Murr-Kreis binnen eines Monats mehr als 700 Geflüchtete zur Aufnahme zugewiesen worden. Zum Vergleich: Im April desselben Jahres waren es nur 19 gewesen. „Es treffen gerade zwei große Ströme zusammen“, erklärt Peter Zaar, Dezernatsleiter im Landratsamt. Da sind einerseits die vielen Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen: Rund 5500 haben laut Zaar bis jetzt Zuflucht im Rems-Murr-Kreis gefunden. Gleichzeitig ist aber auch die Zahl der Asylbewerber aus anderen Ländern wieder deutlich gestiegen, etwa aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.

Für den Landkreis war dieser kurzfristige Anstieg ein großes Problem, hatte er doch in den vergangenen Jahren die Zahl seiner Unterkünfte massiv reduziert: von 71 im Mai 2016 auf gerade noch 13 drei Jahre später. „Wir hatten vom Land die Vorgabe, dass wir in unseren Unterkünften maximal 20 Prozent Leerstand haben dürfen“, erklärt Steffen Blunck, Fachbereichsleiter für die Flüchtlingsaufnahme im Ausländeramt des Kreises. Deshalb wurden Mietverträge gekündigt und Unterkünfte aufgelöst, die man jetzt dringend brauchen könnte.

Wie sich die Zahlen entwickeln, kann keiner vorhersagen

Weil neue Unterkünfte auf die Schnelle nicht verfügbar waren, musste der Kreis wieder auf Sporthallen als Notunterkünfte zurückgreifen. An den Berufsschulzentren in Waiblingen und Schorndorf wurde jeweils eine der beiden Hallen zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. In Backnang, wo die Hallenkapazitäten durch den Abriss der Karl-Euerle-Halle ohnehin sehr knapp sind, wurde stattdessen eine Zeltunterkunft mit insgesamt 436 Betten errichtet.

Seit November ist diese bezugsfertig: Die Wohnzelte sind mit Trennwänden in abschließbare, aber nach oben offene Zimmer mit jeweils vier bis acht Betten unterteilt. In den Fluren warten auf Paletten bereits die „Starterpakete“ mit Decken, Handtüchern, Kochutensilien und Hygieneartikeln auf die künftigen Bewohner.

Allerdings steht die Unterkunft bislang leer, was angesichts der verbreiteten Klagen über fehlenden Wohnraum für Geflüchtete verwunderlich klingt. Wurde die Zeltstadt etwa voreilig errichtet? Schließlich muss die Miete für Zelte und Sanitärcontainer trotzdem bezahlt werden. Auch ein Hausmeister und ein Sicherheitsdienst sind regelmäßig vor Ort, um die Anlage in Schuss zu halten und Vandalismus zu verhindern.

Zu den genauen Kosten, die übrigens das Land trägt, will sich Peter Zaar nicht äußern, doch er ist überzeugt: „Es war richtig, diese Unterkunft aufzubauen.“ Diese sei aber von Anfang an nur als Notlösung gedacht gewesen, falls alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Die Zahl der Zuweisungen ist aktuell niedrig

Das war bisher nicht der Fall, denn im Vergleich zum August hat sich die Lage zumindest vorübergehend entspannt. Im Februar lag die Zahl der Zuweisungen für den Rems-Murr-Kreis mit 189 Personen auf dem niedrigsten Stand seit April 2022. Der Rückgang dürfte auch mit der Jahreszeit zusammenhängen. Peter Zaar spricht von einer „Winterdelle“. Das hat der Kreisverwaltung ein wenig Luft verschafft. Sie arbeitet derweil mit Hochdruck daran, weitere reguläre Unterkünfte einzurichten. Laut Steffen Blunck wurden die Kapazitäten im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Kreisbaugruppe bereits verdoppelt auf etwa 1900 Plätze, bis Mitte des Jahres sollen weitere 1000 Plätze hinzukommen. Auch in Backnang plant der Landkreis eine neue Unterkunft: Auf einem freien Grundstück in der Öhringer Straße soll bis September eine Containeranlage mit 74 Plätzen entstehen.

Dezernent Peter Zaar ist froh, dass die Zelte noch nicht belegt werden mussten. Diese sind zwar beheizbar, wären im Winter aber wohl trotzdem keine komfortable Unterkunft gewesen. Auch im Hinblick auf Energiekosten und Klimaschutz fällt die Bilanz einer solchen Zeltstadt schlecht aus.

Allerdings kann es immer noch passieren, dass die Unterkunft am Berufsschulzentrum belegt wird. Denn noch weiß niemand, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden. Peter Zaar geht davon aus, dass der Zustrom im Frühjahr wieder zunehmen wird, unter anderem infolge des Erdbebens in Syrien und der Türkei. Doch genaue Prognosen gibt es nicht: Das Land teilt den Landkreisen ihre Zuweisungszahlen immer erst am Anfang des Monats mit.

Dank der Zeltunterkunft sei man auf alle Szenarien vorbereitet, erklärt Zaar. So könne man auch flexibel reagieren, wenn einzelne Kommunen im Kreis ihre Verpflichtungen bei der Flüchtlingsunterbringung kurzfristig nicht erfüllen können. „Wir sind stolz darauf, dass wir das bisher immer in einem guten Miteinander hinbekommen haben und keine Zwangszuweisungen nötig waren“, betont der Stellvertreter von Landrat Richard Sigel. Sollte sich am Ende herausstellen, dass die Zeltunterkunft beim Berufsschulzentrum nicht gebraucht wurde, wäre das für Peter Zaar kein Grund, um sich zu ärgern: „Wir wären dankbar, wenn wir diese Unterkunft nicht bräuchten.“

Kommentar
Weitblick ist nötig

Von Kornelius Fritz

Vergangene Woche hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gefordert, die Kommunen sollten Reserven bei den Unterkünften für Geflüchtete schaffen, um bei Bedarf kurzfristig Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Der Rems-Murr-Kreis hat diese Forderung schon umgesetzt: Mit der Zeltstadt beim Berufsschulzentrum steht eine Unterkunft mit fast 450 Plätzen bereit. Allerdings ist ein Zelt ebenso wie eine Sporthalle auf Dauer kein menschenwürdiges Quartier. Zumal es bessere Alternativen bereits gab: Zum Höhepunkt der ersten Flüchtlingskrise 2016 verfügte der Rems-Murr-Kreis über fast 6000 Plätze in Gemeinschaftsunterkünften. Doch auf Druck des Landes wurden die Kapazitäten bis 2019 auf gerade noch 814 reduziert. Jetzt müssen die fehlenden Plätze wieder ganz neu aufgebaut werden: Das ist mühsam und kostet viel Geld.

Natürlich konnte keiner ahnen, dass es in Europa noch einmal einen Krieg geben würde, der Millionen Menschen zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Doch die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Flüchtlingszahlen unkalkulierbar sind. Es braucht daher einen Plan mit Weitblick, um solche Schwankungen künftig abzufangen.

k.fritz@bkz.de

Hotel bleibt Isolierunterkunft

Vertragsverlängerung Auch das „Hotel am Südtor“ in Backnang wird weiterhin als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Das Land hat das Hotel vor einem Jahr angemietet, um dort Geflüchtete zu isolieren, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. So sollte eine unkontrollierte Ausbreitung des Virus in den Erstaufnahmestellen verhindert werden. Wie das Regierungspräsidium Stuttgart jetzt auf Anfrage mitteilt, wurde der zunächst bis 31. Januar 2023 befristete Vertrag bis zum 31. Juli verlängert. Nach Angaben des RP wurden bis jetzt etwa 1230 Geflüchtete im Hotel am Südtor untergebracht.