Zoff um Lärm: „Menschen kann man nicht verbieten“

dpa/lsw Heidelberg. Die Fronten im Heidelberger Lärmstreit werden sich wohl weiter verhärten. Im Gemeinderat zeichnet sich eine Mehrheit ab für eine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe. Das hatte die Interessen lärmgeplagter Anwohner über die von Partygängern und Wirten gestellt.

Zoff um Lärm: „Menschen kann man nicht verbieten“

Eine modellhafte Nachbildung der Justitia neben Aktenordnern. Foto: Volker Hartmann/dpa/Archivbild

Der jahrelange Streit um den Lärm in der Heidelberger Altstadt wird wohl in eine neue Runde gehen. Beobachter erwarten, dass der neu gewählte Gemeinderat der Universitätsstadt bei seiner ersten Sitzung am Donnerstagnachmittag für eine Berufung gegen ein Urteil zugunsten lärmgeplagter Anwohner votiert. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte Anfang August dieses Jahres für den Gemeinderat bindende Schließzeiten für die Gastronomie in dem Ausgehviertel ab 24 Uhr unter der Woche und ab 2.30 Uhr von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag festgelegt.

Damit sollte den Klägern - rund 30 Anwohner der Altstadt - eine Nachtruhe von mindestens sechs Stunden gewährt werden. Das Urteil ist vielen Gemeinderäten ein Dorn im Auge. Sie sehen ihre lebendige Stadt mit auch nächtlich pulsierendem Leben bedroht.

Doch die Berufungsinstanz ist der Verwaltungsgerichtshof (VGH), der Ende März 2018 bereits die damals geltenden Sperrzeiten - montags bis donnerstags ab 2 Uhr, donnerstags bis sonntags ab 4 Uhr - für unwirksam erklärte. Der Gesundheitsschutz der Anwohner habe Vorrang. Die Richter kritisierten auch den „studentischen Donnerstag“ mit der Sperrstunde von 4 Uhr an. Die Ruhe in der Nacht zum Freitag - einem normalen Werktag - sei nicht weniger schutzwürdig als an anderen Tagen.

Der Rechtsanwalt der Anwohner, Werner Finger, betont: „Es ist die gesetzliche Aufgabe der Stadträte, dem Gesundheitsschutz der Bürger Rechnung zu tragen - nicht die Vertretung von Partikularinteressen.“ Eine Messung der Stadt habe unzumutbare Lärmwerte für seine Mandanten und insgesamt rund 1000 Bewohner der idyllischen Altstadt ergeben. Das Argument, es müsse ja niemand in der Altstadt wohnen, lässt der Jurist nicht gelten: Viele Kläger wohnten dort seit über 30 Jahren. „Sie sehen die Dinge nicht anders, weil sie älter geworden sind, sondern weil die Dinge anders geworden sind.“ Zum Beispiel das Ausgehverhalten: Manch einer komme erst um 23 Uhr zum Feiern in die Stadt. Und: Im kleinen Amüsiergebiet drängten sich mittlerweile 170 gastronomische Betriebe.

Deren Belange stehen im Fokus einer Petition mit fast 7800 Unterzeichnern. Ihr Tenor: Längere Sperrzeiten führten zu Umsatzeinbußen der Lokale von unter der Woche bis zu 70 Prozent und am Wochenende von mindestens 25 Prozent. Infolgedessen drohe ein Bar-, Kneipen- und Restaurantsterben in der Innenstadt.

Die stärkste Fraktion im Gemeinderat, die Grünen, wird nach Prognose ihres Vorsitzenden Derek Cofie-Nunoo mehrheitlich für die Berufung stimmen. Das Urteil der Karlsruher habe in allen Fraktionen Entsetzen ausgelöst. „Es ist inakzeptabel und würde das kulturelle Leben in unserer weltoffenen Stadt zerstören.“ Die Entscheidung für Rechtsmittel wolle die Fraktion aber mit der Suche nach einer Lösung verbinden, die die Interessen der Feiernden, der Wirte und der lärmgeplagten Anwohner unter einen Hut bringe - auch wenn die Fronten derzeit verhärtet seien.

Diese Suche signalisiere den Anwohnern, dass ihrem Anliegen Verständnis entgegengebracht werde. Ein Kompromiss müsse genau zwischen den jetzigen Sperrzeiten von montags bis donnerstags ab 1 Uhr, von Donnerstag auf Freitag ab 3 Uhr und von Samstag und Sonntag ab 4 Uhr und den Vorgaben der Karlsruher Richter liegen. Das scheint umso schwieriger, da Heidelberg - anders als das nahe Mannheim - keinen Nachtbürgermeister als Vermittler hat.

Deutschlands erster und einziger „Night Mayor“ Hendrik Meier sorgt in der Quadratestadt für eine offene Atmosphäre und versucht Konflikte im Vorfeld zu entschärfen. Die Idee eines Lärmschutzbeauftragten für Heidelberg verlief im Sande.

Die CDU, die gemeinsam mit der SPD die zweitstärkste Fraktion bildet, hat schon im Kommunalwahlkampf für liberalere Sperrzeiten geworben. Ihr Fraktions-Chef Jan Gradel weiß, dass alle seine Kollegen hinter der Berufung stehen. „Da kann man ja nicht mal in einen Geburtstag hineinfeiern - das ist irre“, sagt er. Aber auch auf die Stadtverwaltung ist er sauer. „Die hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht.“

Dazu gehöre verstärkter Einsatz des Ordnungsdienstes an Brennpunkten und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten bis hin zu Platzverweisen. Gradel sieht auch die Wirte in der Pflicht, mit Schallschutz, leiserer Musik und Türstehern für mehr Ruhe zu sorgen. Allerdings sei der Geräuschpegel auf der Straße auch nicht eindeutig den Kneipen und Bars zuzuordnen. Unterhaltungen gehörten einfach zum abendlichen Ausgehen. Gradels Fazit: „Menschen kann man nicht verbieten.“