Zu viel Geld machtübermütig

Der Staat überbietet sich mit Sozialleistungen selbst – doch die Zukunft bleibt auf der Strecke

Von Klaus Köster

Wenn selbst Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zur Zurückhaltung rät, muss es um die wirtschaftlichen Aussichten schon ziemlich düster bestellt sein. Es sei nun nicht mehr damit zu rechnen, dass unvorhergesehene Mehreinnahmen zur Verfügung stehen, erklärte der Kassenchef der Nation – und räumte damit indirekt ein, dass man bisher mehr Geld verplant hat, als man erwarten durfte. Schließlich kommen die Steuerschätzer seit Jahren kaum noch damit hinterher, ihre Prognosen an die sprudelnden Staatseinnahmen anzupassen.

Nur zu leicht gerät dabei in Vergessenheit, dass der lange Aufschwung durch gigantische Hypotheken erkauft ist. Seit Jahren pumpt EU-Notenbank EZB Billionenbeträge in den Geldkreislauf, um Banken und Staaten vor dem Kollaps zu retten. Sie hat ihr Pulver verschossen und ist für eine neue Krise denkbar schlecht vorbereitet, wie sie etwa ein eskalierender Handelskonflikt mit den USA herbeiführen könnte.

Auch Deutschland hat die Krisen- und die Zukunftsvorsorge in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Die Jahre des Überflusses haben zu einem sorglosen Umgang mit Steuergeldern geführt, der zuweilen die Grenze zum Übermut erreicht. Grünen-Chef Robert Habeck will den Menschen nun sogar weismachen, Arbeit und Einkommen ließen sich voneinander trennen, und plädiert für eine „Garantiesicherung“ für alle. Schließlich sollten die Menschen „nicht gezwungen werden, Termine mit dem Jobcenter zu machen oder Arbeit zu suchen“. Wie aber soll eine Gemeinschaft funktionieren, in der Solidarität nicht mehr als Hilfe zur Selbsthilfe, sondern als staatliche Belohnung für eine einseitige Anspruchshaltung angelegt ist? Wie, außer durch die Ausübung von umso stärkerem Zwang auf die dann noch verbleibenden Leistungsträger, ließen sich die Mittel für ein solches Experiment aufbringen?

Während die einen über ein deutsches Schlaraffenland inmitten einer sich dramatisch verändernden Welt fantasieren, werden anderswo Fakten geschaffen. In Südkorea bestehen 75 Prozent des ortsgebundenen Internet aus Glasfaserkabeln, mit denen sich ultraschnelle Verbindungen herstellen lassen, in Deutschland sind es 2,1 Prozent. Südkorea liegt auch beim Pisa-Test mit den Disziplinen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz vor Deutschland, ebenso Länder wie China, Slowenien, Estland oder Taiwan. Anderswo wird in Bildung und neue Technologien investiert, Deutschland baut den Wohlfühlstaat aus und träumt davon, das Arbeiten einzustellen.

Aus der Sicht von Amtsträgern ist diese Zukunftsvergessenheit durchaus rational. Für sie sind vor allem Reformen attraktiv, deren Wirkungen sich noch vor der nächsten Wahl zeigen. Anstrengungen für eine bessere Bildung oder eine moderne Infrastruktur dagegen benötigen Zeit, erscheinen nicht auf dem Kontoauszug der Wähler und kommen womöglich erst dem Nachfolger zugute.

Es ist also kein Zufall, dass Verantwortliche die Bürger lieber in wohliger Selbstzufriedenheit wiegen, als sie auf mögliche Probleme hinzuweisen. Die Weltkonzerne, die die digitale Zukunft des Globus steuern, wachsen deshalb eben woanders – in den USA und zunehmend auch in China. Sie erobern weltweit immer mehr Bereiche des Lebens und bald wohl auch das selbstfahrende Auto, während Deutschland sich auch Jahre nach dem Dieselskandal noch hingebungsvoll selbst zerfleischt. Die Sicherheit, die manche Wohlfühlpolitiker den Menschen versprechen, lässt sich auf diese Weise nicht herstellen. Sie stellen teure Blankoschecks auf eine Zukunft aus, die sie zugleich sträflich vernachlässigen.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de