Zwei Backnanger erzählen von Rassismus

Burak und Banu, ein Backnanger und eine Backnangerin, teilen ihre Erlebnisse, bei denen sie sich unfair und diskriminierend behandelt gefühlt haben – etwa aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer äußerlichen Merkmale. Rassismus ist Teil ihres Alltags.

Zwei Backnanger erzählen von Rassismus

Wer von Rassismus betroffen ist, erlebt oftmals strukturelle Benachteiligung, etwa weil er oder sie keine Wohnung findet. Aber auch kleine, negative Bemerkungen im Alltag können sich zu höchst schmerzhaften Erfahrungen summieren. Symbolfoto: Adobe/Stock

Von Anja La Roche

Backnang. Der Begriff Rassismus ist geläufig. Doch wie es ist, tagtäglich als Person mit Migrationshintergrund damit konfrontiert zu werden, das lässt sich nur schwer nachvollziehen, wenn man nicht selbst davon betroffen ist. Zwei Backnanger erzählen von ihren Erfahrungen.

Burak wurde schon in der Schule bedroht, weil er türkische Wurzeln hat

„In meiner Teenagerzeit in Backnang ist viel passiert“, erinnert sich Burak. Er ist ein selbstbewusster, redegewandter Mann, 33 Jahre alt. Heute spricht er über seine Erfahrungen, auch weil er sie besser einordnen kann. Als Jugendlicher war das noch anders. „Wir haben Neonazis in der Schule gehabt“, sagt er. „Von denen wurden wir immer offen bedroht.“ Einmal habe er eine Nachricht in einem Messengerdienst erhalten, in der stand: „Ich stech dich ab.“ Burak hat damals mit niemanden darüber gesprochen, sondern sich eine Woche lang krank gemeldet. „Ich hatte Panik“, erzählt er.

Auch an subtileren Rassismus erinnert er sich noch gut, immerhin kann dieser genauso schmerzhaft sein. So durfte er einen bestimmten Schulfreund nie besuchen, sein bester Freund hingegen schon. Burak ist sich heute sicher, dass die Mutter des Freundes etwas gegen ihn hatte, weil er türkische Wurzeln hat. Außerdem hat er eine Empfehlung für die Hauptschule bekommen, wie das oft der Fall ist bei Kindern anderssprachiger Eltern. Seine Mutter hat dagegen Beschwerde eingelegt, mit Unterstützung vom deutschsprachigen Vater. Burak durfte schließlich doch noch auf die Realschule gehen, nachdem er einen extra Test bestanden hatte.

Während seines Studiums war sein Umfeld toleranter

Später, als er Soziale Arbeit studierte, hat der Backnanger weniger Rassismus erlebt. „Ich war in einem Umfeld, in dem mir das nicht aufgefallen ist“, erzählt er. In dieser Zeit hat er sich ein Netzwerk aufgebaut mit vielen Frauen und Männern, die die gleichen toleranten Werte teilen wie er. Ein Netzwerk, in welchem er sich traut, über belastende Erfahrungen zu sprechen.

Als er vergangenes Jahr nach Backnang zurückkam, machte er aber wieder eine schlechte Erfahrung. Für eine Aktion für geflüchtete Menschen stand er mit Gutscheinmarken an der Supermarktkasse. Hinter ihm sagte jemand sinngemäß: „Schau mal, der Geflüchtete hat nicht einmal Bargeld.“

Ein wunder Punkt wurde getroffen

Burak hat diese Aussage enorm wütend gemacht. Da ist zum einen die Abfälligkeit in der Stimme gewesen. Und zum anderen treffen ebensolche Bemerkungen einen wunden Punkt bei ihm – aufgrund der vielen negativen Erfahrungen, die er in seiner Kindheit und Jugend bereits machen musste.

Dazu kommt, dass er auch in der Heimat seiner Mutter, in der Türkei, nicht als „richtiger Türke“ gesehen wird. „Das war immer ein Hin und Her für mich“, sagt er. Mittlerweile habe er zwar seine eigene Balance gefunden, aber wenn er so eine abfällige Bemerkung zu hören bekommt, dann ist das verletzender für ihn, als manch einer vermuten mag. „Solche Erfahrungen sind wie Mückenstiche“, ergänzt Nina Geldmacher vom Verein Zukunftswerkstatt Rückenwind (ZWR), welcher sich um Geflüchtete kümmert. Es seien kleine Stiche, die in der Summe aber höchst schmerzhaft sind.

Im Internet ist Burak besonders vorsichtig unterwegs

Auf besonders extreme Weise kommen rassistische Haltungen inzwischen im Internet zutage. Rechte Hetzkommentare dominieren die Sozialen Netzwerke. Deshalb hält sich Burak auf solchen Plattformen zurück, akzeptiert beispielsweise nur echte Freunde als Facebookfreunde. Dass die AfD immer mehr Zustimmung erfährt, macht ihm Angst. Was, wenn die AfD in Deutschland regieren würde? Über solche Szenarien sprechen Burak und seine Frau. Sie würden in einem solchen Fall in ein toleranteres Land auswandern. „Schottland vielleicht“, sagt Burak.

Und was würde er verändern, wenn er am Hebel sitzen würde? Besonders die Gleichberechtigung im Bereich Bildung ist dem Backnanger ein wichtiges Anliegen – auch weil er selbst erlebt hat, wie schnell Kinder ungerechtfertigt auf die Hauptschule geschickt werden. Außerdem brauche die Sozialarbeit mehr Geld. So könnten von Rassismus betroffene Kinder und Jugendliche, die wie Burak oft auch von Armut betroffen sind, positive Erfahrungen sammeln und andere Kinder kennenlernen, denen es ähnlich geht. „Das macht es leichter.“

Bis dahin findet er es gut, wenn über die Problematik gesprochen wird – damit mehr Menschen verstehen, warum manche Handlungen rassistisch sind, auch wenn sie einem harmlos erscheinen. „Es wäre cool, wenn sich in Backnang mehr Leute sensibilisieren. Damit meine ich nicht, dass hier viele Rechte leben, sondern, dass falls es irgendwann mal mehr werden, wir eine Gesellschaft haben, die aufsteht“, sagt Burak.

Banu hat ihr Leben lang Rassismus vonseiten des Staates erlebt

Gänzlich andere Erfahrungen bringt Banu (Name geändert) mit. Die junge Afghanin hat bereits mit einem Jahr Afghanistan verlassen, ihre Familie lebte danach 14 Jahre im Iran. „Ich habe mein ganzes Leben lang Rassismus erfahren, auch vonseiten der Regierung“, erzählt Banu. Als Jugendliche ist Banu nach Deutschland gekommen. „Ich habe nicht erwartet, dass das hier das Paradies ist“, sagt sie. Aber so viel Ablehnung von staatlichen Institutionen, das habe sie nicht für möglich gehalten. Sowohl bei der Ausländerbehörde als auch vor Gericht sei sie mit Herablassung behandelt worden. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, weil sie immer noch Angst davor hat, abgeschoben zu werden.

Als Banu ihr Erlebtes in flüssigem Deutsch erzählt, kommen ihr die Tränen. Sie und ihre drei Brüder seien immer ambitioniert gewesen in der Schule, aber das Lernen zu viert in einem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft sei schwierig gewesen. Eine Bekannte habe ein Haus gekauft und eine Wohnung an ihre Familie vermieten wollen. Das Landratsamt, das die Kosten übernimmt, habe dem Mietvertrag zugestimmt. Bei der Ausländerbehörde in Backnang sei es anders zugegangen: „So ein Luxushaus für Flüchtlinge. Wir arbeiten alle für euch, aber wegen euch geht unser halber Lohn weg“, habe Banu zu hören bekommen. Und: „Wieso gehst du nicht zurück nach Afghanistan?“ Die Wohnung sei schließlich nicht genehmigt worden.

Die Vorfälle wurden angesprochen

Ein Mitarbeiter des Vereins ZWR hatte sich damals an die Stadtverwaltung gewandt, um die diskriminierende Ansprache, auch in weiteren Fällen, zu thematisieren – Gesprächsbereitschaft bei der Stadt sei da gewesen, berichtet Nina Geldmacher.

Der Pressesprecher der Stadt Backnang bezieht im Namen der Stadtverwaltung folgendermaßen Stellung: „Ohne eine konkretere Schilderung des Sachverhalts lässt sich zum angeführten Vorfall nichts Näheres sagen. In der Ausländerbehörde haben aktuell fünf von acht Sachbearbeitern selbst einen Migrationshintergrund. Außerdem sind alle Mitarbeiter in interkultureller Kompetenz geschult und werden laufend fortgebildet. Vor diesem Hintergrund sind die angeblich getätigten Äußerungen nur schwer vorstellbar.“ Die Stadtverwaltung lehne jegliche Form der Diskriminierung ab.

Nicht westlich genug für Deutschland?

Ebenfalls Negatives erlebt habe Banu, als sie beim Gericht war, um einen dreijährigen Aufenthaltstitel zu erlangen. Die erste Frage der Richterin sei gewesen: „Betest du?“ Danach folgte, so erzählt sie: „Fastest du immer noch?“ „Liest du immer noch den Koran?“ Den Aufenthaltstitel habe die Abiturientin auch nach sieben Jahren in Deutschland damals nicht erhalten. Begründung der Richterin sei gewesen, dass sie nicht westlich genug ist. „Ich habe nicht diskutiert, weil ich Angst hatte, meinen Status zu verlieren“, sagt Banu. „Ich habe hier keine Meinungsfreiheit.“

Der Rassismus im Alltag sei zu verkraften, sagt Banu. „Es kommt immer wieder vor, dass jemand etwas sagt, aber ich sehe die Person nie wieder.“ Anders sei es bei Behörden oder bei Gericht. „Da weiß ich, die sind langfristig da und die haben Einfluss auf mein Leben. Ich bin abhängig von denen.“ Zur Ausländerbehörde in Backnang gehe sie nur noch selbst hin, wenn es dringend nötig ist. Die Anfang 20-Jährige hofft, irgendwann einen Aufenthaltstitel zu erlangen, mit dem sie ins Ausland reisen darf – um ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen und um ihren Berufswunsch Fluglotsin wahr werden zu lassen.