Razzia bei „Reichsbürgern“

Zwei Gruppen, dieselben Vorwürfe

Im Fall der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe S. werfen die Verteidiger dem Generalbundesanwalt schlampige Ermittlungen vor. Der Chefankläger wirft jetzt mutmaßlichen „Reichsbürgern“ ähnliche Taten vor. Laufen die Ermittlungen in diesem Fall besser?

Zwei Gruppen, dieselben Vorwürfe

Eine Beamtin der Bundespolizei vor der Wohnung eines vergangene Woche in Wörschbach (Landkreis Karlsruhe) verhafteten mutmaßlichen „Reichsbürgers“.

Von Franz Feyder

Am 7. Dezember verhafteten Spezialkräfte der Polizei 25 Menschen, denen der Generalbundesanwalt vorwirft, eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben. Im Februar 2020 wurden zwölf Männer ebenfalls festgenommen, denen der deutsche Chefankläger bis zu vielen Details dieselben Vorwürfen macht: Einer der Männer erhängte sich in der Untersuchungshaft, die restlichen der sogenannten Gruppe S. verantworten sich seit April vergangenen Jahres vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im derzeit größten deutschen Terrorismusverfahren.

Was haben die aktuellen Razzien gegen mutmaßliche „Reichsbürger“ mit dem Verfahren gegen die mutmaßliche Rechtsterrorgruppe S. zu tun, die im Februar 2020 festgenommen wurde?

Die Vorwürfe, die der Generalbundesanwalt gegen beide Gruppen erhebt, sind in weiten Bereichen identisch. Die höchsten deutschen Ankläger werfen beiden Gruppierungen vor, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben. Deren Ziel sei es gewesen, sich zu bewaffnen und die frei gewählte deutsche Regierung zu stürzen. Überschneidungen auch in Details der Tatvorwürfe: So sollen beide Gruppen geplant haben, das Parlament zu stürmen, Politiker zu ermorden und bis auf die regionale und lokale Ebene hinunter Milizen zu bilden, die Internierungslager für ausgemachte Gegner ihrer Umsturzpläne betreiben sollten. Der Gruppe S. wird unterscheidend vorgeworfen, dass sie durch Angriffe auf Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland auslösen wollte, der letztlich zum Sturz der Regierung führen sollte.

Was werfen Verteidiger im seit 110 Verhandlungstagen laufenden Verfahren um die Gruppe S. vor dem Oberlandesgericht Stuttgart dem Generalbundesanwalt vor?

Die 24 Verteidiger der zwölf Angeklagten sind sich weitgehend einig, dass die Ermittlungen in diesem Verfahren sowohl durch den Generalbundesanwalt wie auch durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg schlampig geführt wurden. So basierten die Ermittlungen bis zu ihrem Abschluss vor allem auf den Schilderungen eines zwielichtigen Informanten, der die Ermittlungen mit größtenteils erfundenen oder übertrieben dargestellten Geschichten auf jetzt mit ihm zusammen angeklagte Männer lenkte. Zu den schwierigsten Aufgaben der fünf Richter gehört es zu klären, ob der Spitzel für die Ermittlungsbehörden Beschuldigter war oder aber ein Informant, der mit Versprechungen und Privilegien dazu ermuntert wurde, immer neue, immer abenteuerlichere Details über eine mutmaßliche Terrorgruppe zu schildern. Zudem ist nicht geklärt, ob der Mann durch eigene Straftaten die Gruppe beeinflusste: So erschien er bewaffnet zu Treffen, brachte die Idee auf, Moscheen anzugreifen, präsentierte bei Facebook einen Ring mit SS-Totenkopf. Abgehörte Telefonate wurden schlampig verschriftet, Ermittler fuhren nur oberflächlich vorbereitet zu Durchsuchungen und Festnahmen. Anwalt Werner Siebers sagt: „Ich kann nur hoffen, dass der Generalbundesanwalt nicht wieder so unfassbare Amateurfehler begeht, wie in dem Gruppe-S.-Verfahren: Da wurden entscheidende Belehrungen ‚vergessen‘, mitgeschnittene Telefonate nicht miteinander abgeglichen und nur ungenügend verschriftet. Und man vertraute geradezu blind den Lügengeschichten eines verurteilten Schwerverbrechers.“

Welche Waffen hatte die Gruppe S.?

Das Waffenarsenal der Gruppe S. war ähnlich armselig wie das der aktuell im Fokus stehenden Gruppe. Gefunden wurde im Februar 2020 eine scharfe Pistole des jugoslawischen Typs M 57. Zudem sogenannte Slamguns, aus Rohren zusammengeschweißte Schießapparate, mit denen Schrotpatronen verschossen werden können. Außerdem zahlreiche Armbrüste, Messer und Beile.

Welche Waffen fand man bei den Razzien in der vergangenen Woche?

Den Mitgliedern des Innenausschusses des Bundestags wurde mitgeteilt, bei den Durchsuchungen seien 93 Waffen beschlagnahmt worden – darunter Pistolen, Revolver, Gewehre, Messer, Schwerter, Armbrüste und Beile. Unklar sind zwei Dinge: Wie viele der Waffen davon scharfe Waffen waren. Und: Wie viele Waffen die mutmaßlichen „Reichsbürger“ illegal besaßen. Denn: Unter den Verhafteten und Durchsuchten befinden sich auch Polizeibeamte, deren Dienstwaffen eingezogen wurden. Zudem besaß der mutmaßliche Kopf der Gruppe, Heinrich XIII. Prinz Reuß, offenbar eine Waffenerlaubnis für Jagdwaffen.