Zwei kommen frei, einer bleibt im Gefängnis

Urteilsspruch im Verfahren wegen räuberischer Erpressung gegen drei Brüder – Zwei Familien im Streit wegen 100 oder 200 Euro

Zwei kommen frei, einer bleibt im Gefängnis

Von Hans-Christoph Werner

STUTTGART/BACKNANG. Nach sechs Verhandlungstagen kommt die Vierte Große Strafkammer des Landgerichts zu einem eigens anberaumten Termin nochmals zusammen. Die Urteile werden verkündet. Der älteste der drei Brüder, der 25-jährige Samir (alle Namen geändert), wird zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Der Jüngste erhält ein Jahr und acht Monate Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Er wurde in Handschellen in den Gerichtssaal geführt und darf diesen als freier Mann verlassen. Das Verfahren gegen den mittleren der drei Brüder war schon zuvor eingestellt worden, da ihm keine Tatbeteiligung nachgewiesen werden konnte. Er hat die Urteilsverkündung als Zuschauer mitverfolgt.

Als die Vorsitzende Richterin mit ihren Ausführungen zu Ende ist, steht der mittlere Bruder auf und fordert, dass auch sein Bruder Samir freigelassen wird. Die Richterin weist ihn scharf zurecht. Ein zur Bewachung anwesender Justizbeamter fordert zwei Personen zur Verstärkung an, falls der Protestierer aus dem Saal gebracht werden muss. Vor sich hin schimpfend geht er dann freiwillig.

Die Vorsitzende fasst nochmals zusammen: Im Oktober 2015 kommen Ahmed und Yusuf nach Deutschland. Im Raum Backnang untergebracht, lernen sie dort eine andere syrische Familie kennen. Auch von dieser Familie ist erst ein Teil der Familienangehörigen in Deutschland angekommen. Ahmed bietet Hilfe an. Schließlich ist der älteste der drei Brüder noch auf der Flucht.

Zwei Söhne der anderen syrischen Familie gelangen wohlbehalten nach Deutschland. Aber die Flucht hat ihren Preis. Und der mittlere Bruder, Samir, war da irgendwie im Spiel. In Bosnien wurde Geld an Schleuser entrichtet, aber scheinbar blieb ein Betrag offen, 100 oder 200 Euro.

Als Samir dann auch in Deutschland ist, will man von der anderen syrischen Familie die offene Summe eintreiben. Die Vorsitzende Richterin betont, dass das ausstehende Geld „keine von der Rechtsordnung gebilligte Forderung sei“. Schleusertätigkeit wird in Deutschland bestraft und dies hätten auch die drei Brüder gewusst. Aber das hat sie offenbar nicht gekümmert.

Als die Brüder zum ersten Mal bei der anderen syrischen Familie wegen ihrer Forderungen vorstellig werden, kommt es zu einer hitzigen Debatte. Die Söhne der Familie erklären sich für zahlungsunfähig. Samir entschließt sich spontan, den Forderungen der drei Brüder Nachdruck zu verleihen, und schlägt einem Sohn der syrischen Familie ins Gesicht. Dabei hatte er seine Faust mit dem metallenen Armband seiner Uhr bewehrt.

Und 100 Stunden gemeinnützige Arbeit sind zu leisten

Der Geschlagene erleidet einen Nasenbeinbruch. Sicherlich, so sagt die Richterin, sei Samir unter Druck gestanden. Sicherlich sei er wütend gewesen und habe spontan reagiert. Die Geldforderung sei niedrig gewesen. Bei dem Geschlagenen seien keine Dauerschäden geblieben. Und dennoch habe sich der Angeklagte schwerster Straftaten schuldig gemacht: schwere räuberische Erpressung und gefährlich Körperverletzung.

Damit aber nicht genug. Zwei der drei Brüder ließen nicht locker. Es kam zu drei weiteren Begegnungen von Samir und Yusuf mit der Familie, bei denen sie wiederholt das ausstehende Geld forderten. Weil die Zahlung nicht erfolgte, traktierten sie Mitglieder der anderen syrischen Familie am helllichten Tag mit Schlägen und Tritten. Zeugenaussagen bestätigten das brutale Vorgehen.

Die betroffene Familie war schließlich ganz verängstigt und ist deshalb auch aus Backnang weggezogen. Die Richterin macht deutlich, dass Samir als auch Yusuf nur durch ihre wenn auch spät erfolgten Teilgeständnisse vor härteren Strafen bewahrt worden ist. Die gegen Samir ausgesprochene Gefängnisstrafe könne nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Auch bei Yusuf habe die Kammer lange mit sich gerungen, ob die Jugendstrafe auf Bewährung erteilt werden kann. Dies sei nur möglich gewesen, weil sie ihm eine „vorsichtig optimistische Sozialprognose“ ausstellten. Die Bewährungszeit erstrecke sich auf zwei Jahre. Ferner sei er einem Bewährungshelfer unterstellt. Und 100 Stunden gemeinnützige Arbeit habe er zu leisten.

Yusuf, der Handschellen ledig, ist sich nicht ganz schlüssig, was er machen soll. Schließlich hat er noch Sachen in Stammheim. Er könnte mit den Justizbeamten zurückfahren und diese holen. Aber schließlich entscheidet er sich dazu, seinem schmollend dasitzenden Bruder Ahmet beizustehen und mit ihm nach Backnang zurückzufahren.

Symbolfoto: BilderBox - Erwin Wodicka