16-Jähriger auf dem Weg zum Profi

Mike Neulinger aus Unterweissach ist amtierender Weltmeister im Mixed Martial Arts (MMA) und fiebert der nächsten WM voraussichtlich im Oktober in England entgegen. Dafür trainiert er in der Kampfsportschule Allerborn in Backnang emsig.

16-Jähriger auf dem Weg zum Profi

Kampfsportler Mike Neulinger fühlt sich im Ring beziehungsweise dem sogenannten Käfig wohl. Foto: A. Becher

Von Andreas Ziegele

Trainer Artur Allerborn zeigt sich eher zurückhaltend von den Plänen seines Schützlings. Er schätzt das Potenzial von Mike Neulinger so ein, dass für diesen perspektivisch der Weg zum Profi durchaus möglich ist. Er sieht alles andere als martialisch aus, wenn man Mike Neulinger gegenübersitzt. Zurückhaltend, fast schon schüchtern beantwortet er die ihm gestellten Fragen. Sobald der Kampfsportler allerdings in den Ring beziehungsweise den sogenannten Käfig steigt, ist die Zurückhaltung verschwunden und der Gegner wird mit Fäusten und Füßen bearbeitet.

Mixed Martial Art (MMA) ist immer noch eine stark umstrittene Kampfsportart, bei der sowohl geboxt, gerungen und der Gegner wie beispielsweise bei Judo geworfen wird. Die Free Fighter, wie sich die Kämpfer bezeichnen, sind vielen Vorurteilen ausgesetzt. Aber das alles ist Neulinger nicht so wichtig. Für ihn ist dieser Sport neben der Schule ein wesentlicher Inhalt seines Lebens.

Erst vor zwei Jahren, also mit 14, hat der Schüler des Bildungszentrums Weissacher Tal mit dem Kampfsport begonnen. „Es ist ein bisschen spät, was das Alter anbelangt“, sagt der Trainer Artur Allerborn. „Aber da er davor schon Fußball gespielt hat, war die sportliche Grundausbildung vorhanden. Der junge Mann war steif wie eine Eisenbahnschiene, als er hier ankam“, ergänzt der Trainer und meint damit die fehlende Dehn- und Spreizfähigkeit, die ein Athlet fürs MMA haben muss. Zwei weitere Voraussetzungen dafür nennt Allerborn auch: „Gute Laune und ordentliche Körperhygiene, weil wir uns sehr nah kommen.“

Die Statur von Neulinger nennt Allerborn „nahezu ideal“ fürs MMA. „Mike ist 1,85 Meter groß und wiegt 77 Kilogramm. Dazu kommen seine großen Gliedmaßen.“ Dadurch hält er seine Gegner auf Distanz. „Mit langen Kicks und Fauststößen kann er seine Gegner vor sich hertreiben“, erklärt Allerborn. Die Kämpfe selbst beschreibt der Trainer als „Schachspiele“ und meint damit die Fähigkeit, in den jeweiligen Situationen blitzschnell zu entscheiden, wie agiert werden muss. Das Verletzungsrisiko bewerten Trainer und Schützling nicht höher als bei allen anderen Kampfsportarten. „Die gefährlichsten Dinge, die gemacht werden, sind die Würfe“, erläutert Artur Allerborn. „Denn hier liegen dann unter Umständen rund 150 Kilogramm auf einem Knie oder Bein.“ Schläge an den Kopf gibt es in dieser Altersklasse nur im Leichtkontakt. Erst ab 18 Jahren ist dann der Vollkontakt erlaubt. „Die Kampfrichter achten beim Leichtkontakt sehr genau darauf, dass man den Gegner am Kopf nur berührt“, führt Neulinger aus, sonst kann es nämlich bis zu einer Disqualifikation gehen. Für den Fußball spielt er nicht mehr. „Ich trainiere hier täglich und da hab ich keine Zeit für andere Aktivitäten“, sagt Neulinger.

Dass dabei die Schule nicht zu kurz kommt, darauf achten die Eltern und der Trainer. „Mein Halbjahreszeugnis war gut“, sagt Neulinger. Über die Frage, wie er seine sportliche Zukunft sieht, denkt der Kampfsportler nicht lange nach: „Ich will Profi werden“, ist die knappe, aber klare Antwort. Er weiß allerdings auch, was das bedeutet: „Ich muss weiter und noch mehr trainieren, ich muss an großen Turnieren teilnehmen und weiter attraktiv kämpfen.“ Darüber hinaus soll er 18 Jahre alt werden, denn vorher ist es nicht gestattet, am professionellen MMA teilzunehmen. Auf die Frage, ob man von diesem Sport leben kann, antwortet sein Trainer Artur Allerborn: „Wenn man der Beste ist, bekommt man für einen Kampf schon mal 100 Millionen Dollar.“ Gemeint ist hier das Duell vom Free Fighter Conor McGregor gegen den Boxer Floyd Mayweather vor zwei Jahren, bei dem es für beide diese Garantiesumme gab. Viele Profis gibt es in Deutschland allerdings nicht. „Ich schätze mal keine zwei Hände voll“, sagt Allerborn. Deshalb gibt sich der Trainer auch zurückhaltend, was die Profipläne von Mike Neulinger angeht: „Wir planen beide, dass wir erfolgreich werden, aber die Schule oder Ausbildung hat absolute Priorität.“ Eine Chance sieht er aber auf jeden Fall. „Ich hatte selten einen Athleten, der mit so ungünstigen Voraussetzungen begonnen hat und der so schnell und so gut geworden ist wie Mike. Er übt wie ein Irrsinniger und den Rest werden wir sehen“, gibt sich Coach Allerborn gelassen.

Im Training in der Kampfsportschule in Backnang trainiert Mike Neulinger nicht nur mit seinem Trainer, sondern mit wechselnden Sparringspartnern. Einer davon ist Marius Werner. Wie dieser die Stärke seines Klubkollegen einschätzt, zeigt sich, nachdem Trainer Allerborn ihn bittet, mit Neulinger in den Käfig zu gehen. „Eigentlich wollte ich heute Abend trainieren. Aber okay, dann lass ich mich halt verprügeln“, sagt er und meint das sicher nicht ganz ernst.

Für die nächste Weltmeisterschaft voraussichtlich im Oktober dieses Jahres in England ist Mike Neulinger als Titelträger bereits qualifiziert. Dort würde er dann zwar in einer anderen Altersklasse starten, aber mit demselben Ehrgeiz, um möglicherweise wieder als Weltmeister nach Hause zu kommen. Und sein persönliches Motto steht auf seinem schwarzen T-Shirt bei den Übungsstunden in Backnang: „...und ob ich wanderte im finsteren Tal, fürchtete ich kein Unglück – denn ich war ein Free Fighter!“