Bei den Kraftsportlern der TSG Backnang eine zweite Heimat gefunden

Mit ihrem Partner Vitaliy Strykulist floh Kateryna Pinionzh von Mariupol nach Deutschland. Hier feiert die 24-Jährige als Kraftsportlerin in den Reihen des Vereins aus dem Murrtal bei Meisterschaften Erfolge. In der Ukraine studiert sie mithilfe von Online-Vorlesungen weiter Medizin.

Bei den Kraftsportlern der TSG Backnang eine zweite Heimat gefunden

Kateryna Pinionzh stemmt in ihrem Leben einiges. Nach ihrer Flucht aus der Ukraine legt sie sich nun bei der TSG ins Zeug. Foto: Tobias Sellmaier

Von Katharina Riener

Voller Power, das ist Kateryna Pinionzh aus Mariupol. Die 24-Jährige ist vierfache ukrainische Meisterin im Kraftdreikampf. Doch ihr Ehrgeiz geht weit über den Sport hinaus: Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester begann Pinionzh ihr Medizinstudium in Donezk, an der höchstrangigen medizinischen Fakultät des Landes. Nebenher arbeitete sie als Trainerin für Fitnessstudios. Derzeit kämpft sie aber weit weg von der Heimat darum, in Backnang ein weitgehend normales Leben führen zu können. Eine große Stütze sind ihr und ihrem Lebensgefährten Vitaliy Strykulist dabei die Kraftsportler der TSG Schwerathletik.

Im Alter von 16 Jahren kam Pinionzh über ein Fitnessstudio zum Kraftdreikampf, auch Powerlifting genannt. Eigentlich wollte sie sich dort einfach ein bisschen in Form bringen. Bis ein Trainer auf ihre Fähigkeiten aufmerksam wurde und sie dazu ermutigte, mit Powerlifting anzufangen. Sie sei da einfach reingerutscht. Das aber keineswegs planlos, im Gegenteil. Noch ehe Pinionzh selbst anfing, kannte sie sich mit den Grundlagen bereits gut aus, denn: „Besonders in Mariupol ist Powerlifting sehr bekannt und genießt einen hohen Status.“ Das gilt vor allem für die Jugend. Mit 16 hatte sie viele Bekannte, die den Sport betrieben.

Den Ball aus der Hand gelegt und zur Hantel gegriffen

Sie hatte zuvor Volley- und Basketball gespielt, aber nur hobbymäßig. Beim Powerlifting war es anders. Schon zwei Monate nach Trainingsbeginn trat Pinionzh zu ihrem ersten Wettkampf an. Für sie steht fest: „Wettkämpfe sind das, was mir mit am meisten Spaß macht. Der Vergleich mit anderen motiviert mich, immer besser zu werden.“ Und das vor allem, weil das Kräftemessen beim Powerlifting besonders fair ablaufe: „Es gibt immer nur einen Gegner, die Schwerkraft. Um die zu besiegen, muss man sich nicht auf andere verlassen, es kommt nur auf dich und deine Leistung an.“

Insgesamt durfte sie bei fünf internationalen Turnieren für die Ukraine starten. 2021 belegte Pinionzh den dritten Platz bei der Europameisterschaft. 2022 den vierten. Zwar stemmte sie genauso viel Gewicht wie die Drittplatzierte, musste die Platzierung aber an die leichtere Kontrahentin abgeben.

Auch Vitaliy Strykulist lernte sie im Sport bei einem Wettkampf kennen. Bis zum Überfall durch die russische Armee vor einem Jahr lebte das Paar in Mariupol. Im Juni machten sich Pinionzh und Strykulist auf die Flucht. Erst mal aber nicht nach Westen, sondern in Richtung Angreifer. „Von Mariupol war es für uns leichter, nach Russland zu gehen als davon weg. In die andere Richtung wäre es viel schwerer gewesen, aus der Ukraine rauszukommen“, erklärt Pinionzh. Von Russland aus ging es dann über die baltischen Staaten nach Polen. Am 1. August 2022 kamen die beiden nach fast zwei Monaten auf der Flucht in Berlin an. Eine Erleichterung, aber ganz war die Reise noch nicht vorbei. Von Berlin aus wurden Pinionzh und Strykulist wie die anderen Geflüchteten dorthin verteilt, wo es Platz hat. Den gab es erst in Stuttgart, dann in Sindelfingen und schließlich in Allmersbach im Tal – alles innerhalb eines Monats.

Unweit vom Übungsraum in der Seminarhalle untergebracht

Im Täle angekommen suchte Pinionzh übers Internet nach Powerlifting-Vereinen in der Nähe und kam so mit Christian Rupp, Kraftdreikämpfer und Sohn des Backnanger Trainers Waldemar Rupp, in Kontakt. Im September kamen Pinionzh und Strykulist das erste Mal ins Training und sind inzwischen Mitglieder der TSG. Derzeitige Adresse ist vorerst ein Zimmer in Backnang, unweit vom Übungsraum in der Seminarhalle. „Das ist ganz praktisch, so können sie immer ins Training laufen“, weiß Rupp.

Dass sie zu den Kraftdreikämpfern im Murrtal gefunden haben, ist für Pinionzh „ein unwahrscheinlicher Glücksfall“. Auch die Vereinskameraden sind froh, das Paar aus der Ukraine bei sich zu haben. „Vor allem der Austausch der Trainingsmethoden ist wichtig. Wir lernen von ihnen, sie lernen von uns und das ist auch gut so“, erklärt Trainer Waldemar Rupp. Der größte Unterschied: Hierzulande wird viel mehr klassisches Powerlifting betrieben als in der Ukraine. Das bedeutet, dass deutsche Athleten im Wettkampf in der Regel kein unterstützendes Equipment benutzen.

Besonders deutlich wurde dies bei der baden-württembergischen Meisterschaft, an der Pinionzh Ende vergangenen Jahres teilnahm. „Es hat mich sehr beeindruckt, was die Frauen da im klassischen Powerlifting für starke Leistungen gebracht haben.“ Sich dort zu beweisen war für sie zwar eine Herausforderung, dem Ergebnis nach wohl aber keine zu große. Die Ukrainerin wurde im Dreikampf der Klasse bis 69 Kilogramm Zweite. Sie hob insgesamt 347,5 Kilo, stellte in allen drei Disziplinen (Kniebeugen 120 Kilo, Bankdrücken 82,5 Kilo, Kreuzheben 145 Kilo) eine neue Bestleistung auf und qualifizierte sich für die deutsche Meisterschaft im März. Auch da muss sie im klassischen Stil antreten. „Das ist nicht meine Stärke“, gesteht Pinionzh und legt sich deswegen auf kein genaues Ziel fest. Die Leistungen von der Landesmeisterschaft möchte sie aber schon steigern. Waldemar Rupp ist zuversichtlich: „Besonders im Bankdrücken ist Kateryna auch ohne Equipment stark, da wird sie Akzente setzen können.“

Die Powerfrau aus der Ukraine zeigt beruflich und sportlich großen Ehrgeiz

Im Mai steht dann die Europameisterschaft an, bei der die Sportlerin in Topform sein will. Auch abseits des Sports hat sich Pinionzh viel vorgenommen. Sie führt ihr Medizinstudium mithilfe von Online-Vorlesungen ihrer Uni weiter. Beruflich „ist es mein Traum, Leistungssportler medizinisch zu betreuen. Zum Beispiel bei der Regeneration, also der Erholungsfähigkeit des Körpers nach sportlicher Belastung. Wenn ich wieder in der Ukraine bin, will ich das machen.“