Bremer Lichtgestalt

Trainer Florian Kohfeldt hat den SV Werder wachgeküsst – und will nun den FC Bayern im DFB-Pokal-Halbfinale besiegen

Von Frank Hellmann

DFB-Pokal - 100 Stunden nach dem Liga-Duell geht der Klassiker FC Bayern gegen Werder in Runde zwei. Bremen hofft aufs erste Pokalfinale seit Langem – im Fokus steht der Erfolgscoach Florian Kohfeldt.

Bremen Die Kaugummis sind in seiner Hosentasche immer griffbereit. Florian Kohfeldt hat sie noch nie vergessen. „Ich habe schon mal probiert, sie wegzulassen, aber ohne geht es einfach nicht“, sagte der Trainer des SV Werder einmal. Der Mann braucht etwas zwischen den Zähnen, um den Stress eines Spiels zu verarbeiten. Fast alle fünf Minuten schiebt er sich frische Kaumasse in den Mund, denn in 90 Minuten gehen locker zwei Packungen zu je zwölf Stück drauf. Je nach Anspannung. Insofern steht Kohfeldts Gebiss nun echte Schwerstarbeit bevor – denn mit dem DFB-Pokal-Halbfinale gegen den FC Bayern München an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ARD) wartet eine Hürde von besonderer Bedeutung: der Härtetest für die Bremer Europapokalträume.

Die Grün-Weißen waren ja bis zum 0:1 in München am vergangenen Samstag als einziges Team aus den europäischen Topligen in Pflichtspielen in diesem Jahr ungeschlagen, hatten in jeder Bundesliga-Partie getroffen und bestreiten nebenbei ihre beste Rückrunde seit 15 Jahren: Achter in der Liga, unter den letzten Vier im Pokal.

Vor allem auf den Pokalabend, gesteht Kohfeldt, „freue ich mich wie ein kleines Kind.“ Nur: Ungeachtet aller fußballerischen Fortschritte begegnen die Norddeutschen ihrem einstigen Rivalen aus dem Süden nicht mehr auf Augenhöhe. Wirtschaftlich sind die Dimensionen entrückt: Was die Bremer zuletzt an Gesamtumsatz verbuchten (118 Millionen Euro), taucht bei den Bayern ungefähr als Einzelposten aus dem Merchandising in der Bilanz auf.

Umso erstaunlicher ist es ja, welche Annäherung die Grün-Weißen seit Kohfeldts Amtsübernahme im Herbst 2017 wieder geschafft haben. „Es geht alles sehr schnell. Vor anderthalb Jahren waren wir noch ein glasklarer Abstiegskandidat, jetzt spielen wir in zwei Wettbewerben um Europa“, sagt der 36-Jährige. Die vergangenen Jahre hätte der Verein immer zwischen Platz 14 und 18 gestanden, „jetzt haben wir nicht mehr das Messer am Hals.“ Dank dem Bessermacher auf der Bank, der dabei ist, dem Standort das alte Selbstverständnis zurückzugeben und dabei den Werder-Weg beschreitet. Schon in dem Lied „Wir sind Werder Bremen“ heißt es ja: „Kein Geld der Welt wird hier verschenkt, verpfändet oder falsch gelenkt, hier werden Stars gemacht und nicht gekauft.“

Beim bereits seit seiner Abiturzeit 2001 beim SV Werder aktiven Kohfeldt tun sich Parallelen zur Identifikationsfigur Thomas Schaaf auf, der dem Verein seit dem Kindesalter angehörte, zwischen 1999 und 2013 eine erfolgreiche Epoche prägte und im Hintergrund wieder als Technischer Direktor arbeitet. Bei der Würdigung von dessen Lebensleistung, gekrönt mit dem Double 2004, vergessen viele Werder-Fans, dass es bei Schaaf in seiner Endphase (und später auch in Frankfurt und Hannover) in der Kommunikation mit der neuen Spielergeneration und den Medien mächtig hakte. Kohfeldt ist bei näherer Betrachtung der Gegenentwurf – und vielleicht auch deshalb so erfolgreich. Mit seinem empathischen und authentischen Ansatz nimmt er seine Mannschaft mit, mit seinem rhetorisch geschickten Auftreten und sympathischen Umgangsformen zieht er die Öffentlichkeit auf seine Seite.

Und dass dieser Fußballlehrer mehr einbringt, als seine Vorgänger Viktor Skripnik und Alexander Nouri, ist verbürgt. Sonst hätte Geschäftsführer Frank Baumann den Jahrgangsbesten des Fußballlehrer-Lehrgangs 2015 nicht vorübergehend bei der zweiten Mannschaft geparkt, um ihm dann in prekärer Lage als siegloser Vorletzter das Vertrauen für die Bundesliga zu übertragen. Der Plan ging voll auf.

Dass Kohfeldt keine eigene Vergangenheit als Profi aufweist, sondern es auf überschaubarem Amateurniveau nur zum Torwart bis in die Bremen-Liga brachte, erwies sich nicht als Nachteil. Im Gegenteil: Als Kohfeldt kürzlich mit dem „Trainerpreis des deutschen Fußballs 2018“ ausgezeichnet wurde, pries ihn DFB-Direktor Oliver Bierhoff als „Glücksfall und Sympathieträger für Werder Bremen“. Der prägnanteste Spruch fiel Werders Aufsichtsratschef Marco Bode ein: „Didi Hamann lobt ihn, meine Frau mag ihn – er muss ein Guter sein.“ Kohfeldt selbst mag das Ballyhoo gar nicht so sehr. Der mit einer Engländerin verheiratete Familienvater wehrt sich auch dagegen, dass die Vertragsverlängerung der Brüder Maximilian und Johannes Eggestein zu sehr mit seiner Person in Verbindung gebracht wird.

Die zwischenmenschliche Komponente zu seinen Akteuren ist dennoch nicht zu vernachlässigen. Max Kruse hat anfangs ja gar keinen Hehl draus gemacht, dass er den unerfahrenen Trainer mit einiger Skepsis empfing. Inzwischen zahlt der Kapitän die eingeräumten Freiheiten doppelt und dreifach zurück und gilt als wichtigste Bezugsperson für den gesamten Trainerstab.

Kohfeldt ist zwar in Siegen geboren, aber in Delmenhorst vor den Toren der Stadt aufgewachsen. Verbrieft ist die Episode bei seinem Heimatverein TV Jahn Delmenhorst, dass er als zwölfjähriger Torwart nach einer 0:5-Niederlage die Handschuhe auf den Boden warf, den Platz verließ, sich dann später hinsetzte, um seinem Trainer auf neun handgeschriebenen Seiten detailliert darzulegen, was alles besser gemacht werden müsste, um nicht immer den Kasten vollzubekommen.

Früh hat er gewusst, dass er Trainer werden wollte. „Aber ich habe nie an die Bundesliga gedacht“, erzählte er. „Als ich die U 15 trainiert habe, habe ich gedacht: Das ist mein Traumjob. Jetzt sind noch ein paar Traumjobs dazugekommen.“