Der Lausbub sagt Servus

Skirennläufer Neureuther hört auf – Fokus aufs Private

Von Dominik Ignée

Mit 34 Jahren und nach zahlreichen Verletzungen beendet Felix Neureuther seine sportliche Laufbahn. Fans und Konkurrenten werden ihn vermissen – vor allem als Menschen.

Stuttgart Wenn große Sportler ihre Karriere beenden, werden Salven von Lobeshymnen abgefeuert, die dem Abtrünnigen oft fast schon peinlich sind. Wohltuend anders kommentierte die kesse Skirennläuferin Viktoria Rebensburg den Abschied ihres langjährigen Teamkameraden mit einer Frage, die an die Zukunft gerichtet ist. „Wer macht jetzt die lustigen TV-Interviews, wenn du nicht mehr da bist, Felix Neureu­ther?“ Tja, wer denn? Die banale Frage von Rebensburg bringt die Sache auf den Punkt.

Felix Neureuther hat sich beim Weltcup-Finale in Andorra aus dem Profisport verabschiedet. Ein hochbegabter, sportlich nicht immer vom Glück geküsster Slalomläufer sagt Servus – und vor allem: eine Figur, ein Mensch, ein sympathischer, unverbogener Zeitgenosse, der mehr als 15 Jahre lang das Publikum für sich gewann und verzückte. Nicht mit mehrfachem Olympia-Gold, fünf WM-Titeln und 50 Weltcup-Siegen wie die Topleute der Ranglisten – sondern kraft seiner Persönlichkeit, die er nie zur Schau stellte, weil Felix Neureuther als Sportler immer nur eines war: Felix Neureuther. Ein humorvoller Bayer mit dem Herz am rechten Fleck. Einer, der in seinen Urteilen kritisch und stets geradeaus ist, aber vor allem auch eine ehrliche Haut.

„Wenn ich kein Skirennläufer geworden wäre und nur Zuschauer, dann wäre ich ein Fan vom Felix“, sagt die mit Medaillen überhäufte Siegmaschine Marcel Hirscher – ein größeres Kompliment kann es von einem sehr viel erfolgreicheren Rivalen nicht geben. Die Österreicher sind stolz auf ihren Rekordhelden Hirscher, aber sie hätten am liebsten Neureuther adoptiert, auch das ist die Wahrheit. Ein bisserl auch weil der Felix der Sohn von Rosi Mittermaier und Christian Neureuther ist, aber vor allem, weil er wegen seines aufgeweckten Charakters lässig herausspringen konnte aus dem Schatten der „Gold-Rosi“. Neureuther hat sein eigenes Profil entwickelt. Ohne sich Mühe zu geben. Er ist so.

Jetzt mag er nicht mehr, aber darauf konnten sich die Fans und Funktionäre des Deutschen Skiverbands (DSV) einstellen. „Ich habe gemerkt, dass es an der Zeit ist, einen Strich drunter zu machen, und das Schöne daran ist, dass ich mit einem Lächeln auf meine Karriere zurückblicken kann“, sagt Neureuther zu der Entscheidung, mit immerhin auch schon 34 Jahren die Bretter in den Keller zu stellen. Schon über einen sehr langen Zeitraum hinweg sei dieser Entschluss gereift, obwohl er sich bis zuletzt nicht wirklich im Klaren darüber war, was er tatsächlich will, weil der schneidige Schwung durch die Slalomtore sein Leben war. Doch dann kam das vorletzte Rennwochenende in Kranjska Gora – und brachte Ordnung in den Prozess des Grübelns. „Als ich nach Hause gekommen bin, war das Knie dick, und der Rücken hat wehgetan, ja, eigentlich hat mir alles wehgetan“, sagt Neureuther. Dann blickte er zu seinem Töchterchen und wusste: „Die Matilda ist sicher froh, wenn sie den Papa jetzt jeden Morgen wecken kann – und nicht nur, wenn er mal da ist.“

Neureuther schwingt nicht mehr ab – sondern über einen Ziehweg neben der Piste hinüber „in ein neues Leben“, so nennt er es. Seine Laufbahn war geprägt von wunderbaren Siegen in Kitzbühel, aber vor allem auch von zahlreichen Böcken am Anfang seiner Karriere, in der er oft hinfiel, weil er erst noch die Balance zwischen Risiko und Sicherheit finden musste. Doch in der Niederlage zeigte sich oft seine Fähigkeit zu großem Entertainment, denn das Leben nicht allzu ernst zu nehmen, auch das gehört zu seinen Prinzipien. Unvergessen ist die Ski-WM 2007 in Are: Als Zweiter des ersten Durchgangs lag der damals noch junge Bursche auf Medaillenkurs. Im zweiten Lauf lupfte es ihn dann jedoch schon sehr weit oben aus der Spur. Nachdem er abgeschwungen hatte, verließ der den Zielraum allerdings nicht geknickt – und schon gar nicht fluchtartig. Er setzte stattdessen zur Flucht nach vorne an, kletterte die Tribüne zur schwedischen Kronprinzessin Viktoria hoch – und überreichte ihr feierlich sein Nummern-Hemd.

So hat sich noch nie ein Verlierer präsentiert, Neureuther, der konnte das. Mit dem extrem eleganten Skifahrer mitzufiebern bedeutete ohnehin sehr oft, leidensfähig zu sein. 13 Weltcup-Siege, bei Weltmeisterschaften einmal Teamgold, einmal Silber und dreimal Bronze (bei Olympia holte er keine Medaille) bereiteten seinen Fans zwar ungebremste Freude. Doch häufig lösten Neureuthers Auftritte auch den Reflex des Mitleids aus, weil er einfädelte, Pech hatte, die Nerven verlor, übermütig wurde – aber vor allem vom Verletzungen geplagt war. „Seit meinem Kreuzbandriss vor eineinhalb Jahren habe ich über diesen Schritt nachgedacht“, sagt Neureuther, der am Sonntag in seinem letzten Slalom Siebter wurde und im Zielraum von Konkurrenten – und natürlich auch Viktoria Rebensburg – zum Abschied mit Sekt besprüht und gefeiert wurde. Dieses Szenario rührte ihn fast zu Tränen.

Die Tränen konnten den Beobachtern aber auch kommen, als er 2014 den möglichen Olympiasieg wegwarf. Auf dem Weg zum Münchner Flughafen rutschte sein Auto am frühen Morgen auf Glatteis gegen die Leitplanke. Statt in den Flieger ging es zum Arzt – Schleudertrauma. Mit Verspätung in Sotschi angekommen, verkündete Neureu­ther mit Halskrause und dem Bewegungsradius eines Hundertjährigen: „Es geht scho, i foahr.“ Es war unvorstellbar, dass dieser Mann im Slalom starten könnte – aber er tat es. Er schied zwar aus, doch zuvor wurde er im Riesentorlauf immerhin Achter. Warum war er so unvernünftig, sich nicht schon am Vorabend des Abflugs ein Hotelzimmer am Münchner Airport zu nehmen?

Schnee von gestern. Heute muss die Sportwelt damit leben, das Neureuther nicht mehr mitmacht. „Mit ihm geht Sportdeutschland eines der prägenden Gesichter als Athlet verloren“, sagt Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds, während der Alpin-Direktor Wolfgang Maier Neureuther als „Skigenie und etwas ganz Besonderes“ bezeichnete. „Danke für die vielen großartigen Momente, Felix“ – das wiederum sagte der Fußball-weltmeister Thomas Müller von den Bayern.

Und was fängt Felix Neureuther mit diesen Aussagen jetzt an? Sie rühren ihn – sind ihm aber auch ein bisschen peinlich.