Die neue Generation

Buchmann, Ackermann und Schachmann sind die Zukunft des deutschen Radsports

Von Jochen Klingovsky

Radsport - Für den Rennstall Bora-hansgrohe fährt nicht nur Peter Sagan, der populärste Pedaleur der Welt, sondern auch ein Trio, von dem Teamchef Ralph Denk ziemlich viel erwartet: die Wachablösung im deutschen Radsport.

Stuttgart Wohl nirgendwo sonst wird so gerne, so oft und so ausführlich über die „neue Generation“ gesprochen wie im Radsport. Fast immer geht es dabei ums Thema Doping. Und stets um den Wunsch, die nachwachsenden Profis mögen aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt haben – und den Erfolg nicht mehr mit allen Mitteln suchen, sondern nur noch mit erlaubten. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass diese Hoffnung trügerisch sein kann. Aktuell fürchten alle, die es gut meinen mit dem schwarz-rot-goldenen Radsport, dass einige der Blutbeutel, die Dopingarzt Mark Schmidt im Tiefkühlschrank liegen hatte, von deutschen Profis stammen. Weil dann niemand mehr von der neuen Generation reden würde, die es angeblich anders macht – sauberer, glaubwürdiger, ehrlicher. Es wäre ein Desaster, und dies gerade jetzt, in einer Zeit, die nicht nur wegen des Erfurter Dopingskandals spannend ist, sondern auch sportlich gesehen.

Jahrelang haben Marcel Kittel (30), Tony Martin (33), André Greipel (36), John Degenkolb (30) und Simon Geschke (33) Schlagzeilen produziert. Bei der Tour de France und anderen Etappenrennen, bei Klassikern, in Zeitfahren. Nun sollte zwar niemand den Fehler machen, der alten Garde nichts mehr zuzutrauen, aber der Start in die neue Saison war nicht gerade vielversprechend.

Kittel fährt regelmäßig weit hinterher („Es ist eine schwierige Zeit“), Greipel stieg zuletzt bei der Katalonien-Rundfahrt frustriert aus, Geschke hat schon zwei schwere Stürze hinter sich („Es kann nur besser werden“), und Martin trat noch gar nicht in Erscheinung („Mein Ziel ist die Zeitfahr-WM“). Klar am besten in Form ist John Degenkolb, der jedoch in zwei wichtigen Momenten Pech hatte: Bei Mailand–Sanremo sprang dem Sieganwärter kurz vor dem Ziel die Kette herunter, bei Gent–Wevelgem war im Schlusssprint der Norweger Alexander Kristoff noch stärker. „Es wäre völlig falsch, die Jungs vorschnell abzuschreiben“, sagt Ralph Denk, „allerdings scheint der eine oder andere seinen Zenit etwas überschritten zu haben. Die Wachablösung steht kurz bevor.“ Und daran ist der Chef des besten deutschen Rennstalls nicht ganz unbeteiligt.

Beim oberbayerischen Team Bora-hansgrohe fährt ein Trio, das aus Sicht vieler Experten für die Zukunft des deutschen Radsports steht. Emanuel Buchmann (26) ist der Rundfahrer, Pascal Ackermann (25) der Sprinter, Maximilian Schachmann (25) der Allrounder. „Wir haben die drei größten Talente unseres Landes im Team, und darauf sind wir stolz“, sagt Denk, „sie werden irgendwann für den Umbruch sorgen.“ Fragt sich nur: wann? Denk hätte nichts dagegen, wenn sein Trio die Antwort schon diese Saison liefert. Ausgeschlossen ist das nicht.

Emanuel Buchmann hat viel gelernt, während er 2018 die Vuelta in Spanien als Kapitän des Bora-Teams bestritt. Er ist reifer geworden, und sein Jahresauftakt war diesmal so gut wie noch nie. Unter anderem gewann er eine Etappe der Mallorca-Challenge. Bleibt er gesund und in Form, wird er sein Team bei der Tour de France als Chef anführen. Ziel wäre dann ein Platz unter den besten zehn der Gesamtwertung.

Der Höhepunkt von Pascal Ackermann soll der Giro d’Italia sein. Zwei Siege hat er 2019 bereits eingefahren, nun geht es um die ersten Erfolge bei einem großen Etappenrennen. „Er hat seine Standfestigkeit im Spurt verbessert“, sagt Teamchef Denk, „aus unserer Sicht liegt er voll im Plan.“

Das gilt erst recht für Maximilian Schachmann. Weil eine Metallplatte entfernt werden musste, die seit einem schweren Sturz im August 2017 bei der Polen-Rundfahrt seinen mehrfach gebrochenen rechten Fuß stabilisiert hat, stieg er später ins Training ein. Trotzdem gewann er zuletzt eine Etappe bei der Katalonien-Rundfahrt und zeigte auch sonst starke Leistungen. „Er kann verdammt viel, und er besitzt die Chuzpe, auch mal was zu riskieren“, sagt Hans-Michel Holczer, der ehemalige Chef des Gerolsteiner-Teams, der die Szene immer noch genau beobachtet, „er hat das Zeug, um die neue Galionsfigur des deutschen Radsports zu werden.“

Ralph Denk hätte nichts dagegen. Weil der Plan, seinem Team eine schwarz-rot-goldene Identität zu verpassen, spätestens dann komplett aufgegangen wäre. „Schon jetzt kann ich sagen, dass wir ein ganz gutes Gespür gehabt haben“, sagt der Chef des Rennstalls aus Raubling, der aber auch einräumt: „Ein bisschen sind wir zu unserem Glück gezwungen worden.“ Gerne hätte Denk in den vergangenen Jahren einen Martin, Kittel, Greipel oder Degenkolb verpflichtet, doch keiner wollte zu dem aufstrebenden Team: „In die Position, drei Top-Talente verpflichten und entwickeln zu können, wären wir nie gekommen, wenn einer der großen Deutschen Interesse an unserem Projekt gehabt hätte“, meint Denk, „aktuell bin ich sehr glücklich mit meinem Kader.“ Zu dem ja auch noch Peter Sagan gehört.

Der Slowake ist dreimaliger Weltmeister und der Superstar des Radsports. Er garantiert Siege, Spektakel, Sponsorengelder – und sorgt so dafür, dass sich in seinem Windschatten aufstrebende Fahrer etwas leichtertun. Das ist eine Zeit lang angenehm, ändert allerdings nichts daran, dass sich jedes Talent weiterentwickeln muss, um im Rennen zu bleiben, und dass irgendwann die Erwartungshaltung steigt. Denk träumt nicht nur von einem Top-Ten-Platz und einem Etappensieg seiner deutschen Profis bei der Tour, sondern auch vom Trikot des Führenden. „Wenn einer wie 1977 Dietrich Thurau 15 Tage lang in Gelb fährt und die Titelseiten füllt, ist das ein wichtigerer Impuls für den deutschen Radsport, als wenn Marcel Kittel fünf Etappensiege holt“, sagt der ehrgeizige Bora-Teamchef, „natürlich gehört da auch viel Glück dazu, man holt das Gelbe Trikot nicht auf Ansage. Aber das nötige Potenzial haben Buchmann und Schachmann.“

Das sind fraglos positive Aussichten, die zudem untermauern, dass der Radsport gerade spannende Zeiten erlebt. Wegen der Blutbeutel aus dem Tiefkühlschrank in Erfurt, die noch keinem Besitzer zugeordnet sind, aber nicht nur deshalb.