Die Siebenkämpferin Nafi Thiam weigert sich, einen strengen Verhaltenskodex des belgischen Verbandes zu unterschreiben. Das könnte sie die Weltmeisterschaft kosten.
Die Teilnahme der belgischen Siebenkämpferin Nafi Thiam an den Weltmeisterschaften in Japan steht auf der Kippe.
Von Knut Krohn
Eine Weltmeisterschaft ohne Nafi Thiam? In der Welt der Leichtathletik eine fast undenkbare Vorstellung. Seit Jahren dominiert die dreifache Olympiasiegerin, zweifache Weltmeisterin sowie dreifache Europameisterin den Siebenkampf der Frauen. Doch nun steht hinter dem Start der Belgierin bei den Weltmeisterschaften in Tokio (13.–21. September) ein dickes Fragezeichen – was allerdings nichts mit ihrer sportlichen Leistung zu tun hat. Die 30-Jährige könnte allerdings über ein neues Reglement ihres eigenen Leichtathletikverbandes stolpern.
Sehr strenge Regeln für die Topathletin
Die belgischen Funktionäre kamen nämlich auf die Idee, den Athleten und Athletinnen einen Verhaltenskodex vorzulegen, den diese vor der WM in Japan unterzeichnen müssen. Geschuldet ist das den neuen Sponsoren des Teams. Nach dem Versicherer Allianz, Lotto und dem Van Damme Memorial war zuletzt auch der Ausrüster Asics neu als Partner des Verbandes gewonnen worden. Doch die Geldgeber fordern auch, dass sich vor allem die Topathleten an einige strenge Regeln halten sollen. So werden sie bei großen Meisterschaften wie der WM zum Tragen der offiziellen Ausrüstung verpflichtet. Das gilt für das Training, Medientermine oder auch in den Unterkünften. Werden diese Vorgaben nicht befolgt, können Geldstrafen verhängt werden und der Verband kann die Athleten aus dem Team ausschließen.
Doch damit nicht genug. Wie die Tageszeitung „Le soir“ schreibt, müssen sich die Topathleten nach dem Willen des Verbandes zudem „jeder Äußerung enthalten, die dem Ruf unserer kommerziellen Partner schaden könnte“, und müssen darauf achten, soziale Medien, Websites oder Blogs positiv und umsichtig zu nutzen, „ohne Marken zu vertreten oder zu veröffentlichen, die keine kommerziellen Partner des belgischen Verbandes sind“.
Streit um das Recht am eigenen Bild
Die Weltklasseathletin Nafi Thiam stört sich offenbar besonders daran, dass sie mit der Unterschrift unter dem Verhaltenskodex auch viele Bildrechte an den belgischen Leichtathletikverband abgeben würde. Für sie wäre das vertraglich heikel, da die Siebenkämpferin damit in Konflikt mit ihren eigenen Sponsoren kommen könnte. Dazu gehören etwa AXA und Nike – direkte Konkurrenten von Allianz und Asics. Würde sie der Forderung des Verbandes nachgeben, könnte das als Vertragsbruch interpretiert werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Spitzensportlerin Ärger mit ihrem Verband hat. Bei den Europameisterschaften 2018 in Berlin trug sie – offensichtlich aus Versehen – am ersten Tag des Siebenkampfes ein altes belgisches Trikot mit einem Partner, dessen Vertrag ausgelaufen war. Die damalige Verbandsführung drohte, sie am zweiten Tag vom Wettkampf auszuschließen. Die Lösung war denkbar einfach, Nafi Thiam streifte sich das neue Trikot über und gewann die Goldmedaille.
Sprachlosigkeit zwischen Verband und Athletin
Erstaunlich ist, dass es bisher offensichtlich keine wirklichen Gespräche zwischen Nafi Thiam und dem Verband zu dem umstrittenen Thema gegeben hat. Beide Seiten haben nun aber zugesagt, sich in diesen Tagen an einen Tisch setzen zu wollen, um nach einer Lösung zu suchen.
Bei Louis Derwa, einem auf Sportrecht spezialisierten Anwalt, stößt vor allem das Vorgehen des Verbandes auf einiges Unverständnis. Gegenüber „Le soir“ betonte er, dass solche Probleme angesichts der Bedeutung von Nafi Thiam vorhersehbar gewesen seien. Das hätte schon im Vorfeld mit der Athletin geklärt werden können. In seinen Augen wäre es noch besser gewesen, den Verhaltenskodex zusammen mit den Athleten auszuarbeiten, wie das der belgische Fußballverband im Fall der Nationalmannschaft gemacht habe. Dieses Vorgehen hätte auf jeden Fall allen Seiten einige unangenehme Überraschungen erspart.