„Frage der Ehre“ - Sportler in Belarus gegen Lukaschenko

Von Von Ulf Mauder, dpa

dpa Minsk. Als Machthaber von Belarus benutzt Alexander Lukaschenko besonders den Sport, um sich international zu präsentieren. Doch immer mehr Sportler wenden sich in der Revolution ab von ihm. Fraglich ist auch, ob „Europas letzte Diktatur“ die Eishockey-WM 2021 ausrichten kann.

„Frage der Ehre“ - Sportler in Belarus gegen Lukaschenko

Belarus-Präsident Alexander Lukaschenko zeigt sich gerne als Eishockeyspieler. Foto: Andrei Pokumeiko/POOL BelTa/AP/dpa

Der begeisterte Eishockey-Hobbyspieler Alexander Lukaschenko zeigt sich in Belarus (Weißrussland) nur zu gern im Kreis von Profis in voller Montur auf dem Eis. Sport und Politik sind bei dem 66-Jährigen von jeher eins.

Doch seit er sich zum sechsten Mal zum Präsidenten erklären ließ, seine Gegner verprügeln und einsperren lässt, reißt immer mehr linientreuen Sportlern die Geduld. Fußballer treten mit Botschaften gegen Gewalt auf ihren Trikots aufs Spielfeld. Athleten kritisieren in einem Video offen Repressionen. Hunderte haben einen offenen Brief unterschrieben gegen den „letzten Diktator Europas“, wie Gegner Lukaschenko nennen.

„Es ist unmöglich, sich jeden Tag diese Ungerechtigkeit anzusehen“, sagte die Star-Basketballspielerin Jelena Lewtschenko vor ihrer Festnahme in der vergangenen Woche. Sie sitzt gerade eine 15-tägige Arreststrafe ab, weil sie an nicht genehmigten Massenprotesten gegen Lukaschenko teilgenommen hat.

Auch die Exekutive des Internationalen Olympische Komitees beschäftigte sich mit ihrem Fall. IOC-Präsident Thomas Bach erklärte am Mittwoch, das Nationale Olympische Komitee habe auf eine IOC-Anfrage betont, die Verurteilung der zweimaligen Olympia-Teilnehmerin sei im Einklang mit geltenden Gesetzen erfolgt. Bach wollte die politische Situation zwar nicht kommentieren, nannte Berichte belarussischer Sportler und von Medien aber besorgniserregend und verlangte mit Hinweis auf die Olympische Charta, Sportler und Sportlerinnen dürften nicht aufgrund ihrer politischen Ansichten diskriminiert werden.

Seit der Präsidentenwahl am 9. August, die etwa Deutschland und andere EU-Staaten nicht anerkannt haben, kommt es täglich zu Protesten in der Ex-Sowjetrepublik. Die Menschen fordern ein Ende der Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten, die Freilassung politscher Gefangener und Neuwahlen ohne Lukaschenko. Wer gegen Lukaschenko ist, das hat er selbst immer wieder gesagt, soll kein Auskommen mehr haben. Reihenweise verlieren deshalb inzwischen nicht zuletzt Sportler und Trainer ihre Jobs - und Einkommen. „Selbst die unpolitischsten Leute reden nun“, sagte die Leichtathletin Swetlana Kudelitsch, die ihre Anstellung im Zivilschutzministerium verlor, der russischen Boulevardzeitung „MK“.

Viele Sportlerinnen wie sie folgen ihrem Gewissen und erklären, dass sie ja selbst für einen fairen Wettkampf im Sport stehen, aber nicht zusehen wollen, wie der Staatschef selbst sich keinem politischen Wettbewerb stellt und seine Gegner bei Wahlen gezielt ausschaltet. „Bin ich würdig, die Ehre meines Landes zu vertreten, wenn ich nicht einmal meine eigene Ehre verteidige?“, fragt die Freie Vereinigung der Sportler von Belarus. Dem Zusammenschluss sos_by_2020 folgen allein bei Instagram mehr als 14.000 Menschen.

Die Sportler beklagen Druck von Sportfunktionären auf sich selbst und ihre Familien, sie mögen sich abwenden von der Protestbewegung. Die Ski-Freestyle-Weltmeisterin, Alexandra Romanowskaja, Sportlerin des Jahres 2019 in Belarus, sagte, dass sie die „Lügen“ des Systems satt habe. Die vierfache Biathlon-Olympiasiegerin Darja Domratschewa zeigte sich gleich in den ersten Tagen nach der Wahl bestürzt bei Instagram angesichts des brutalen Vorgehens der Polizei mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen friedliche Demonstranten. Sie appellierte an die Sonderpolizei OMON, die Gewalt zu beenden. „Lasst nicht weiter diesen ungerechten Horror auf den Straßen zu“, schrieb sie. Der Konflikt lasse sich friedlich lösen.

Der Trainer der Eishockey-Junioren, Alexander Rummo, trat zurück, weil ihm der Verband klar gemacht habe, dass er nur arbeiten könne, wenn er die Staatsführung - also Lukaschenko - unterstütze. „Unterstütze ich nicht und verheimliche das auch nicht“, teilte er mit. Ersatz findet sich jeweils schnell. Vor der geplanten Eishockey-WM in Minsk im Mai 2021, die Belarus gemeinsam mit der Stadt Riga im EU-Nachbarland Lettland ausrichten will, wechselte auch die Führung des Eishockeyverbandes selbst. Der glühende Lukaschenko-Unterstützer Dmitri Baskow, Generaldirektor von Dynamo Minsk, löste den ohne Erklärung zurückgetretenen Gennadi Sawilow ab.

Doch ob das autoritär regierte Land überhaupt Gastgeber der WM sein kann, wird aktuell heiß diskutiert. Diskussionen auch um einen möglichen Boykott gab es bereits vor den zweiten Europaspielen in Minsk im vergangenen Jahr. Doch jetzt hat Machthaber Lukaschenko deutlich mehr Legitimationsprobleme. Ihm werden Wahlbetrug und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. In einem Eisstadion redete er in diesem Jahr auch die Corona-Pandemie klein - und bezeichnete sie einmal als „Psychose“. Viele Sportfans ärgerte der laxe Umgang mit dem Virus.

Die in der Freien Vereinigung organisierten Sportler in Belarus erstellen bereits eine Liste mit Namen von Funktionären, die als Unterstützer Lukaschenkos mit Sanktionen der EU belegt werden sollten. 40 Namen hatte die EU zuletzt schon auf die Liste mit Einreise- und Kontosperren gesetzt. Ein heißer Kandidat etwa ist Sportminister Sergej Kowaltschuk, der Andersdenkende als „Verirrte“ und „zerstörerische und extremistische Kräfte“ bezeichnete und die Sportler aufforderte, sich von ihnen fernzuhalten.

Lukaschenko schere sich, wie Sportkommentatoren bei den unabhängigen belarussischen Nachrichtenportal „tut.by“ feststellen, mehr um die eigene Macht als um das Ansehen der stolzen Sportnation. Der lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins bat die Internationale Eishockey-Föderation IIHF im September darum, das Turnier aus politischen Gründen nicht mehr mit Minsk gemeinsam auszutragen.

Zwar hatte IIHF-Präsident René Fasel gesagt, dass der Verband besorgt sei wegen der Ereignisse in Minsk. Der Verband sei aber keine politische Organisation und könne deshalb den Austragungsort Minsk nicht aus politischen Gründen verlegen. Trotzdem gebe es zum ersten Mal einen Vorstoß wie den der lettischen Regierung. Eine Expertengruppe soll nun darüber beraten und beim nächsten Treffen des IIHF-Council im November ein klares Bild präsentieren.

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