Gute Geschichte

Gute Geschichte

Eines Tages, als Gianni Agnelli in Turin noch Juventus und Fiat regierte, rief er seine Manager und sagte: „Wir haben bei Fiat Tausende von Mitarbeitern aus dem Süden des Landes. Sie kamen hierher, um der Armut zu entgehen, sie arbeiten hart für ihr Geld. Aber in unserer Mannschaft von Juventus haben wir nicht einen Spieler aus dieser Region. Ändert das und gebt unseren Mitarbeitern ihre Helden.“ Die Späher zogen los, und in der sizilianischen Hafenstadt Messina sahen sie einen Stürmer. Er war schon 25, schoss Tore in der dritten Liga – und schien wenigstens einen Versuch wert.

Im Sommer 1988 kam Salvatore Schillaci nach Turin. Die Menschen liebten ihn. Sie riefen ihn „Toto“, und Toto konnte sein Glück kaum fassen. Er dankte es Juve Tor um Tor. Schon bei der WM 1990 im eigenen Land spielte er für Italien. Er sicherte den Azzurri mit dem 2:1-Siegtreffer gegen England den dritten Platz, wurde mit sechs Treffern Torschützenkönig und zum besten Spieler des Turniers gewählt.

Schillaci hat seine Karriere stets als „Märchen“ bezeichnet. Sie endete jedoch wenig spektakulär in Japan. Agnelli dagegen würde man heute vermutlich einen Award für die erfolgreichste Kundenbindungsmaßnahme überreichen. Und mit der Kundenbindung hapert es ja gerade gewaltig im Fußball. So herrschte am Wochenende eine Halbzeit lang eisiges Schweigen in den Fankurven der Bundesliga. Der stille Protest richtete sich gegen die ungeliebten Montagsspiele. Aber eigentlich geht es darum: Die Stimmung ist mies, der Fußball entfernt sich mehr und mehr von seinen Anhängern.

Den Gipfel der Beziehungskrise bilden die Pläne für eine Europäische Super League. Die weltweit beliebtesten Clubs von Madrid bis Turin und von München bis Manchester arbeiten mit Nachdruck daran, zum Feindbild zu werden. Sie wollen den lästigen Alltag hinter sich lassen und als geschlossene Gesellschaft mehr denn je dem Ruf des Geldes folgen. Noch war es nur eine Drohung, um dem ebenfalls gierigen Verband Uefa auf Kosten der kleineren Vereine für die Teilnahme an der Champions League noch mehr Kohle abzupressen. „Wir wollten der Uefa nur mal zeigen, dass wir sie nicht brauchen“, sagte Bayerns Direktor für Recht, Michael Gerlinger.

Gerlinger machte dabei ein Gesicht wie einst Caligula, als er sein Pferd zum Statthalter machte. Die Sache wird irre. Allerdings hatte der römische Kaiser vielleicht nicht alle im Tee, aber er hat Incitatus nie die Konsulwürde verliehen. Es ist nur eine schöne Geschichte, eine Legende. Und vielleicht ist das Märchen von Schillaci und Agnelli auch nur die halbe Wahrheit. Wir Menschen lieben solche Geschichten, im Fußball ganz besonders. Sie gehören zum Spiel. Am 22. Dezember wird der VfB gegen den FC Schalke in historischen Trikots auflaufen, eine Verbeugung vor der guten alten Zeit. Dabei waren die 20er Jahre alles andere als golden für den VfB und im Grunde nicht der Rede wert.

Aber das spielt keine Rolle. Es zeigt vielmehr, dass es den Fans um das Spiel an sich geht und weniger um die Attraktivität teurer Superstars. Schlechte Spiele, und davon gibt es jede Menge, werden eben mit guten Geschichten kaschiert. Sie halten das öffentliche Interesse am Leben. Deshalb ist es zwar gut, wenn die Clubs wirtschaftlich sauber geführt werden. Aber die Vereine unterliegen einem Irrtum, wenn sie glauben, dass sie ausschließlich von der Wirtschaft und vom Fernsehen leben. Denn Wirtschaft und Fernsehen zahlen nur, wenn ein großes, positives öffentliches Interesse besteht. Von Turin bis Madrid und von Manchester bis München kann man den Vereinen deshalb nur raten, nicht weiter abzuheben, sondern wieder runterzukommen. Es sich ausgerechnet mit denen zu verscherzen, die den Fußball lieben und ihn groß gemacht haben, ist keine gute Idee. Es gibt keine gute Geschichte her. Und ohne gute Geschichten kann der Fußball nicht leben.