Robin Gosens im Interview

„Ich hasse es, wenn ich über andere gestellt werde“

Robin Gosens ist kein Fußballprofi wie jeder andere, vielmehr ein nachdenklicher Typ. Im Interview spricht er über mentale Gesundheit und seinen Umgang mit der Popularität.

„Ich hasse es, wenn ich über andere gestellt werde“

Der Nationalspieler Robin Gosens bezeichnet sich selbst als nachdenklichen Menschen.

Von Carlos Ubina

Robin Gosens gehört wieder zur Nationalmannschaft. Das gibt dem 30-Jährigen viel, aber der Profifußball raubt ihm auch Energie, wie er im Gespräch während der Nations-League-Tage in Herzogenaurach zugibt. Auch ansonsten hat der Linksverteidiger vom AC Florenz im Interview einiges zu sagen. Nicht nur über seinen Podcast, der sich mit mentaler Gesundheit beschäftigt.

Herr Gosens, zum Auftakt ganz im Sinne Ihres Podcasts: Wie geht’s?

Mir geht es gut, sogar sehr gut. Vor allem auch deshalb, weil ich gerade hier bei der Nationalmannschaft sein darf. Das ist für mich das Größte. Als der Anruf von Julian Nagelsmann kam, habe ich mich wie ein Baby über eine Belohnung gefreut. Die Nationalmannschaft wird für mich nie eine Selbstverständlichkeit sein.

Und die kindliche Vorfreude überstrahlt auch, dass die Saison noch andauert und Sie von Frau und zwei kleinen Kindern fast zwei Wochen länger getrennt sind?

Auf jeden Fall. Meine Frau weiß, dass ich auf diese Momente hinarbeite.

Zieht der Profifußball denn mehr Energie ab oder pumpt er Sie mit noch mehr Energie auf?

Der Fußball ist sicher auch energiefressend. Für mich ist es aber ein Geben und Nehmen. Die Glücksgefühle, dass ich hier nochmal aufdribbeln darf, geben unglaublich viel Energie. Energie, die ich brauche, um hier noch einmal zehn Tage Vollgas zu geben. Es gibt aber auch viele Momente, in denen der Fußball Energie raubt. Gerade, wenn es um die Familie geht. Wenn man allein im Hotelzimmer hockt.

Der frühere DFB-Manager Oliver Bierhoff hat mal gesagt, er könne nachvollziehen, dass Rockstars Drogen nehmen. Mit der Einsamkeit im Hotelzimmer, wenn man zuvor von 80 000 Fans bejubelt wurde, sei schwer klarzukommen. Wie geht es Ihnen damit?

Ich kann das verstehen. Ich habe in meinem Podcast über mentale Gesundheit genau über dieses Thema mit Paula Hartmann und Tim Bendzko gesprochen. Das ist ein sehr präsentes Thema. Das Spotlight ist bei Musikern ja noch viel krasser auf eine Person gerichtet. Ich habe mit der Zeit gelernt, ein Ventil zu finden. Etwas, das mich erdet.

Was war dieses Ventil?

Das Studium hat mir wirklich sehr geholfen. Ich konnte so verhindern, mich in Gedanken zu verlieren. Stattdessen habe ich mich fortgebildet. Das war mein Ventil, um die krassen Extreme in meiner Realität abzufedern.

Das Psychologie-Studium haben Sie mittlerweile abgeschlossen. Was ist jetzt das Ventil?

Erst die Stiftung für benachteiligte Kinder, um die ich mich sehr gekümmert habe, jetzt der Podcast, auf den ich mich ja immer wieder auch intensiv vorbereiten muss. Das hilft mir, die Einsamkeit, die sich auf Reisen einstellen kann, zu überwinden. Ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch, der immer wieder in sich hineinhorcht. Wenn ich keine Aufgabe habe, dann beginnt das Gedankenkarussell. Darin kann ich mich verlieren. Das tut mir nicht gut.

Der Ausgleich ist wichtig für Kopf und Beine?

Die geistige Balance ist sehr wichtig für mich. Ich brauche dieses Herauszoomen, um nicht nur an Fußball zu denken. Auch wenn ich körperlich teilweise bei zwei Spielen pro Woche am Limit bin, nehme ich mir diese Zeit für den Kopf.

Da könnte schnell der Vorwurf kommen, Robin Gosens konzentriert sich nicht genug auf das Wesentliche, den Profifußball beim AC Florenz und in der Nationalmannschaft.

Ja, ich kenne solche Vorwürfe. Aber ich brauche diese Momente. Denn ich bin ein Mensch, der mit inzwischen 30 Jahren nicht nur an das Hier und Jetzt denken kann, sondern auch daran, was im Leben danach passiert. Mich darauf vorzubereiten, hilft mir, die Gegenwart noch mehr zu genießen. Denn ich weiß, wie Besonders das ist und schätze es entsprechend.

Sie sind auffällig stark an anderen Menschen interessiert. Das ist ungewöhnlich für einen Fußballprofi, an dem vornehmlich andere interessiert sind.

Stimmt, aber für mich ist das total normal. Ich habe mich schon immer für meine Mitmenschen interessiert. Mir ist es unangenehm, dass viele Leute etwas von mir wollen. Ich kompensiere das, indem ich mich für andere Menschen interessiere. Ich hasse es, wenn ich über andere gestellt werde.

Wann zum Beispiel?

Etwa, wenn ein Restaurant eigentlich voll besetzt ist, Gäste abgewiesen werden und Robin Gosens dann dennoch einen Tisch zugewiesen bekommt.

Mal ehrlich. Den Tisch haben Sie schon auch mal angenommen?

Ich würde lügen, wenn ich das jetzt dementieren würde (lacht). Das ist leider menschlich. Ich möchte aber nicht, dass Menschen gewichtet werden.

Wie gewichten Sie sich selbst?

Ich bin ein positiver Typ, der versucht, anderen Energie zu geben. Ich zünde eine Mannschaft gerne an, ich reiße auch meine Familie und Freunde gerne mit. Das wird hier, glaube ich, auch ein Stück weit von mir erwartet.

Es gibt also nur den Hundert-Prozent-Gosens?

Ja, es gibt nur einen Robin Gosens. Nur den in der reinsten Form.

Wir möchten ein bisschen widersprechen. Es gab den Robin Gosens vor dem EM-Spiel 2021 gegen Portugal, eine Randfigur, die hierzulande kaum jemand kannte, und es gibt den Robin Gosens nach dem grandiosen 4:2-Sieg. Sie wurden binnen 90 Minuten zum Deutschland-Star. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Da ist in der Tat sehr viel passiert um meine Person herum. In Deutschland hat mich dieses Spiel bekannt gemacht. Dennoch bin ich in Italien deutlich bekannter als hierzulande. Was natürlich daran liegt, dass meine Erfolge in Vereinen dort stattgefunden haben und meine einjährige Episode bei Union Berlin wahrlich nicht von Erfolg gekrönt war.

Welche Konsequenz haben Sie daraus gezogen?

Mir ist klar geworden, dass es offenbar Städte gibt, die nicht zu mir passen. Zudem ist mir mit dem Wechsel zum AC Florenz klar geworden, dass in Italien sowohl meine sportliche als auch meine familiäre Wahlheimat liegt. Meine Spielweise passt nach Italien, meine Familie ist wie ausgewechselt. Ich bin auf allen Ebenen glücklich – und das zeigt sich auf dem Platz.

Mit acht Toren und neun Torvorlagen bieten Sie starke Zahlen für einen Außenverteidiger.

Ja, aber es geht nicht nur darum. Es geht darum, einen Ort für sich zu finden, an dem man sich rundum wohl fühlt, um auch gute Leistungen zu bringen.

Ihre gute Saison hat Sie zurück in die Nationalmannschaft gebracht. Wie nehmen Sie im Vergleich zu Italien die Stimmung in der Bevölkerung rund um das DFB-Team wahr?

Sehr positiv wieder. Die deutschen Fans sind ebenso verrückt wie die italienischen, wenn es um ihre Nationalmannschaft geht. Bei den Italienern steckt ja sehr viel Liebe und Leidenschaft drin. Da nimmt man sich an einem Spieltag nichts vor. Die Partie ist dann der Höhepunkt des Wochenendes. Da wird gemeinsam geschaut. In Deutschland ist es seit der EM im eigenen Land vor einem Jahr vergleichbar. Die Stimmung rund um die Nationalmannschaft ist euphorisch.

Was macht das mit einem erfahrenen Profi?

Das ist natürlich ein wunderschönes Gefühl. Es beflügelt einen, wenn du merkst, dass die ganze Nation plötzlich hinter dir steht.

Dann rennt man schon mal schneller?

Nee, das nicht. Ich kann dann nicht schneller laufen, aber auf der emotionalen Ebene gibt es mir ein paar Prozente mehr an Energie und Motivation. Die braucht es dann vielleicht, um ein enges Spiel zu gewinnen.

Wird Sie dieses gute Gefühl nun durch die Nations League tragen?

Davon bin ich überzeugt – und es wird uns den Titel bescheren.

Zum Abschluss noch eine Kopffrage: Vermutlich sind Sie der kopfballstärkste Linksverteidiger der Welt. Wie haben Sie das hinbekommen?

Ob ich das wirklich bin? Hmm. Was ich aber sagen kann: Mein ehemaliger Trainer bei Atalanta Bergamo, Gian Piero Gasperini, hat einen großen Anteil. Wir haben stundenlang daran gearbeitet. Er hat immer betont, dass ich kopfballstark bin. Er hat aber auch mein Problem analysiert: das Timing. Ich habe es lange nicht geschafft, per Kopf torgefährlich zu sein. Dann kamen die Videoanalysen und das Üben. Ich habe Schweiß und Tränen auf dem Trainingsplatz vergossen, um es besser zu machen. Jetzt bin ich Gasperini unendlich dankbar, weil diese Kopfballstärke eines meiner Merkmale ist.