„Ich muss die WM erst mal sacken lassen“

Das Interview: Kunstradfahrerin Viola Brand vom RSV Unterweissach hat auch abseits der Sporthallen eine ganze Menge zu tun

Dreimalige Vizeweltmeisterin im Einer- Kunstradfahren, Social-Media-Star mit 233000 Followern allein bei Instagram, Ernährungsmanagement-Studentin und in Kürze auf Deutschlandtournee mit dem „Feuerwerk der Turnkunst“: Viola Brand hat viele Talente. Im Interview spricht die 25-Jährige vom RSV Unterweissach darüber und verrät, wie sie bislang alles unter einen Hut bekommt.

„Ich muss die WM erst mal sacken lassen“

Silber gewonnen, nicht Gold verloren: Viola Brand ist mit der WM in Basel zufrieden. Foto: O. Stoll

Von Steffen Grün
Sie hätten „nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen“, sagte Ihre Mutter und Trainerin Heike Brand nach der WM in Basel am vergangenen Samstag. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja, auf jeden Fall. Es ist zwar irgendwie schade, weil 185,14 Punkte außer im vergangenen Jahr, als Iris Schwarzhaupt allerdings auch nur 0,3 Zähler mehr hatte, stets für den WM-Titel gereicht und vor wenigen Jahren noch Weltrekord bedeutet hätten, aber ich habe alles gegeben und kann mir nichts vorwerfen. Die Enttäuschung war deshalb von kurzer Dauer. Ich bin stolz auf meine Leistung, Silber gewinnt man auch nicht alle Tage.

Im WM-Finale hat der spektakuläre Maute-Sprung geklappt, die Lenkerstanddrehung dagegen nicht. Dazu kamen noch einige kleinere Fehler. Ist das nicht umso ärgerlicher?

Das ist schon schade, denn gerade diese Lenkerstanddrehung beherrsche ich eigentlich sehr gut. Wenn sie mal schiefgegangen ist, dann war es immer bei einer WM oder EM. Ich kann auch nicht genau sagen, wo der Fehler lag und warum das passiert ist. Manchmal ist es einfach nur Pech, dass man das Rad zum Beispiel ein kleines bisschen anders kippt als sonst.

Sie sagten selbst, Sie hätten Ihr Maximum im Finale nicht erreicht. Hätte Ihr Maximum automatisch die Goldmedaille bedeutet oder wäre Milena Slupina mit ihren 189,73 Punkten sowieso nicht zu schlagen gewesen?

Es hätte schon gereicht. Der Abgang bei der Lenkerstanddrehung hat mich etwa drei Punkte gekostet, für eine Drehung habe ich noch 50 Prozent Abzug kassiert. Die zwei Dinge eingerechnet, wäre es ein Ergebnis von über 190 Punkten gewesen – so rechne ich aber nicht, das frustriert einen nur. Meine Bestleistung liegt bei 194 Punkten, auch das hätte jedoch nicht zwingend zum Sieg gereicht. Es hätte ja auch sein können, dass Milena nach mir noch einen Weltrekord aufgestellt hätte.

Sie haben fünf Weltmeisterschaften erlebt, nach zwei bitteren Enttäuschungen holten Sie zuletzt dreimal Silber. Gibt es 2020 den sechsten Anlauf auf den ersten WM-Sieg?

Es gibt nicht viele Kunstradfahrerinnen, die bereits bei fünf Welt- und dazu noch bei vier Europameisterschaften gestartet sind. Ich zähle seit 2010 zur internationalen Spitze – das ist ein Erfolg, obwohl es nie zu WM-Gold gereicht hat. Es können nicht viele von sich behaupten, dass sie so lange so konstant dabei waren. Ich muss die WM nun erst einmal sacken lassen und dann sehen, wie es weitergeht.

Spielt es eine Rolle und übt es einen besonderen Reiz aus, dass die Titelkämpfe nächstes Jahr wie schon 2016 in Stuttgart stattfinden?

Dadurch, dass ich schon vor drei Jahren dabei war und meine Heim-WM hatte, ist der Reiz für mich auch nicht größer, als wenn diese WM woanders wäre.

Ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, sich aufs Berufsleben zu konzentrieren, zumal das Kunstradfahren selbst für eine Weltklasseathletin wie Sie ein Zuschussgeschäft ist?

So langsam wird es ernst mit dem Beruf (lacht). Ich habe den Bachelor in Ernährungsmanagement und will Ende nächsten Jahres den Master abschließen. Natürlich stellt sich da auch die Frage, inwieweit sich Beruf und Sport dann noch vereinbaren lassen. Profis, die mit ihrem Sport ihr Geld verdienen, können sich ganz anders darauf fokussieren und die Belastung ist dann längst nicht so hoch wie zum Beispiel in meinem Fall, weil ich eigentlich drei Dinge gleichzeitig mache: Ich habe mein Studium, meine Social-Media-Aktivitäten und meinen Sport.

Sie werben für Ihren Sport, indem Sie eine Vielzahl von Fotos und Videos auf Facebook und auf Instagram posten, die Sie mit dem Kunstrad in der Halle und oftmals auch abseits davon zeigen. Wie kam es dazu?

Eine Freundin sagte 2017 zu mir: Mensch, melde dich da doch mal an. Das habe ich dann auch getan und dachte mir, Hallen sind eher langweilig, geh doch lieber mal raus und schaue, was da so möglich ist. Ich habe dann die ersten Videos und Fotos hochgeladen und weil es eine sehr unbekannte Sportart ist, war die Neugierde riesig und es ist recht rasch durch die Decke gegangen. Andere Seiten wurden auf mich aufmerksam und haben meine Seite geteilt, dadurch stieg die Reichweite.

Inzwischen haben Sie alleine bei Instagram bereits über 231000 Follower...

...ich glaube, mittlerweile sind es nach der WM sogar 233000 Follower (lacht).

In der SWR-Fernsehsendung Sport im Dritten bezeichnete Sie Moderator Michael Antwerpes am Sonntagabend als „Influencerin“. Sehen Sie sich selbst auch als eine solche?

Influencerin bedeutet ja erst einmal nur, dass man Einfluss auf andere Leute hat – und zwar über die Reichweite in den sozialen Medien, und die habe ich natürlich. Daher trifft der Begriff auf mich zu. Wenn ich also das eine oder andere Produkt bewerbe, dann habe ich auch eine Verantwortung, weil ich das empfehle und mit meinem Namen dahinterstehe.

Für welche Produkte werben Sie und verdienen Sie Geld damit? Weil wir es vorher vom Kunstradfahren als Zuschussgeschäft hatten.

Es gibt sehr, sehr viele Influencer, die bereits mit einer deutlich geringeren Followerzahl als ich sie habe davon leben können. Es lässt sich einiges damit verdienen, aber es gibt eine Problematik mit meinem Account: Zwar kommen etwa 25 Prozent der Follower aus den USA, aber der Rest ist komplett auf der Welt verstreut. Daher macht es für mich nur Sinn, für Marken und Firmen zu werben, die ihre Produkte international vertreiben. Die sind aber in der Regel sehr groß und dafür ist meine Followerzahl wiederum zu klein. Schließlich können sich diese Firmen die großen Stars mit Millionen an Followern leisten.

Sehen Sie Ihre berufliche Zukunft als Influencerin oder im Bereich, in dem Sie studieren?

Ich will die Social-Media-Auftritte nutzen, so lange es geht, aber es ist nicht so, dass ich mich komplett darauf ausruhe. Ich möchte das Studium gut abschließen und dann schauen, ob ich Social Media noch ein bisschen forciere und nebenher erst einmal nur ein bisschen arbeite oder ob ich sofort voll in den Beruf einsteige.

Wie viel Zeit beansprucht Social Media?

Im Durchschnitt sind das schon so etwa zwei bis drei Stunden pro Tag.

Nur um einen Vergleich zu haben: Wie viele Stunden pro Woche trainieren Sie?

Das sind etwa 20 Stunden.

Unmittelbar nach Weihnachten gehen Sie mit dem „Feuerwerk der Turnkunst“ auf Tour. Wie läuft das ab und was reizt Sie daran?

Wir treten fast jeden Tag in einer anderen deutschen Stadt auf und füllen große Hallen wie zum Beispiel die Olympiahalle in München mit etwa 12000 Zuschauern. Ich freue mich wahnsinnig auf diese Tour, weil es eben nicht der strenge Wettkampfsport ist, in dem man sofort für jeden noch so kleinen Fehler bestraft wird. Es ist eine Show, die Leute in den Hallen feiern die Kunst am Kunstradfahren und ich kann es einfach genießen, ohne den ganz großen Leistungsdruck zu haben.

Auch diese Tour ist Werbung fürs Kunstradfahren. Glauben Sie daran, dass die Sportart wie erhofft irgendwann olympisch wird, und spielt es für Sie persönlich noch eine Rolle?

Bis es olympisch wird, vergehen mit Sicherheit noch über zehn Jahre. Deshalb wird das für mich als aktive Sportlerin auf jeden Fall nichts mehr. Wir bräuchten mehr internationale Konkurrenz – daran fehlt es und ich glaube, dass ich hier mit Social Media einen großen Effekt erziele. Viele Leute lernen den Sport durch mich kennen. Bei der WM kam eine Peruanerin zu mir und meinte, sie habe einst ein Foto von mir zu Hause in einer Fahrradzeitschrift gesehen. Jetzt kommt sie nach Deutschland und trainiert hier, mit ihr gibt’s eine neue Nation im Kunstradfahren. Diese Nachwuchsarbeit dauert aber lange und es ist deshalb noch ein weiter Weg, bis unser Sport olympisch wird.

Das Feuerwerk der Turnkunst besteht aus 35 Shows, die von 28. Dezember bis 26. Januar in 22 deutschen Städten über die Bühne gehen. Alle Infos und Tickets im Internet unter www.feuerwerkderturnkunst.de.

Zur Person
Viola Brand

1994 kommt Viola Brand am 28. Juni in Backnang zur Welt. Sie wächst in Miedelsbach auf und lebt bis heute in dem Schorndorfer Stadtteil (etwa 2100 Einwohner).

2000 beginnt sie beim RSV Unterweissach mit dem Kunstradsport und tritt damit in die Fußstapfen ihrer älteren Brüder Manuel und Jonathan. Trainerin ist Mutter Heike Brand. Bald feiert das Talent erste Erfolge auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene.

2009 wird Viola Brand in den Junioren-Bundeskader berufen, hier sind der deutsche Meistertitel 2011 und EM-Gold 2012 die größten Erfolge. Der Sprung in den Elite-Nationalkader klappt nahtlos, die ersten zwei WM-Starts enden aber enttäuschend.

2016 und 2017 holt sie ebenso WM-Silber wie nun in Basel, 2018 wird sie zudem Europameisterin. Die BKZ-Leser wählen Viola Brand viermal zur Sportlerin des Jahres.