Im Spätherbst der Karriere

Isabell Werth und Ludger Beerbaum wissen sehr wohl, dass sie nicht ewig im Sattel sitzen können

Von Thomas Borgmann

Stuttgart Wenn Isabell Werth ins Scandinavium einreitet, empfangen sie die zehntausend in der ausverkauften Arena mit rhythmischem Klatschen. Dann zelebriert die 49-Jährige ihre überragende Reitkunst, feiert ausgelassen die Champagnerdusche, und auf der Ehrenrunde wirft sie den ebenso obligaten Blumenstrauß im hohen Bogen ins Publikum. Dafür lieben sie ihre Fans, gerade in Göteborg. Sie sagt: „Ich habe hier so viele magische Momente erlebt – hier reite ich besonders gern.“

Was für ein Kunststück: 1992 gewann sie in dieser legendären Halle auf der Stute Fabienne ihr erstes Weltcup-Finale. Am Samstag siegte sie auf der 14-jährigen Oldenburgerin Weihegold – es war, trotz eines Patzers in den Galoppwechseln, ihr fünfter Sieg in einem Cupfinale, zugleich ihr dritter Sieg in Folge. Die US-Frauen waren einmal mehr chancenlos.

Wenn Ludger Beerbaum, der im Finalparcours nach einem Patzer seines Casello aufgeben musste, ins Scandinavium einreitet, empfangen ihn vierzehn kreischende schwedische Mädchen, die T-Shirts mit seinem Namen tragen. Dazu wedeln sie mit einem Transparent, das ihrem Idol gewidmet ist. Fast hätten sie den 56-jährigen Altmeister der Springreiter dadurch in „Wohnungsnot“ gebracht – sein Wallach Cool Feeling scheute so heftig, dass der Meister fast aus dem Sattel gerutscht wäre. Vor genau vierzig Jahren gewann der unverwüstliche Hugo Simon an gleicher Stelle das allererste Weltcup-Finale; seinen Fanclub, damals gegründet von den Müttern und Großmüttern der heutigen Beerbaum-Fans, es gibt ihn noch immer.

Und Ludger Beerbaum? Der sagt nachdenklich: „Ich frage mich oft: Wann ist der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören? Ich bin jetzt 56, mit sechzig möchte ich keine Turniere mehr bestreiten.“

Nach der Bronzemedaille von Rio mit seiner Equipe hatte Beerbaum seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärt. Jetzt sagt seine Frau, die Engländerin Arundell Davison: „Solange Ludger Spaß daran hat, soll er weiter auf die Turniere gehen.“ Fast wäre im Frühjahr 2018 Schluss gewesen mit der großartigen Karriere des reitenden Geschäftsmanns aus dem westfälischen Riesenbeck: Mit seinem Cool Feeling stürzte er zu Weihnachten 2017 schwer beim Turnier in Mechelen, seine Schulter brach in 15 Stücke, drei Monate lang musste er pausieren, brachte schließlich doch alles wieder in die Reihe: „Damals habe ich ernsthaft überlegt, ob es das war mit der Karriere, ob das mit dem Reiten überhaupt noch geht.“ Aber so leicht gibt ein Beerbaum nicht auf.

Isabell Werth und Ludger Beerbaum – zwei Stars des internationalen Reitsports, die vieles gemeinsam haben: Da ist zu allererst die 77-jährige Madeleine Winter-Schulze. Die wohlhabende Berlinerin mit dem typischen Humor der einstigen Mauerstadt ist für beide Mäzenin, Sponsorin und mütterliche Freundin. Fast alle Spitzenpferde von Werth und Beerbaum gehören Madeleine Winter-Schulze, die bei Hannover lebt, auf dem ehemaligen Reiterhof des einstigen Topreiters Hermann Schridde. Nur Werths Weltcup-Siegerin Weihegold gehört nicht in den Stall Winter-Schulze – allerdings bezahlt die Millionärin einen gut Teil der Leasinggebühr in markanter sechsstelliger Höhe. Isabell Werth sagt: „Ohne Madeleine und ihre Großzügigkeit müssten Ludger und ich weitaus kleinere Brötchen backen. Wir beide sind ihr unendlich dankbar.“ Und was sagt die Gönnerin selbst? „Ich tue alles für meine Jockeys. Wir sind eine Familie.“

Werth und Beerbaum – zwei Ikonen im Herbst ihrer Karrieren. Ludger Beerbaum, jetzt im Scandinavium einmal mehr umjubelt, sucht nach dem passenden Moment, um seine Turnierstiefel in die Sattelkammer zu stellen. Isabell Werth, die im Juli fünfzig wird, denkt wohl auch über den passenden Zeitpunkt nach, ihre einmalige Karriere zu beenden und ihren Turnierstall in Rheinberg in jüngere Hände zu geben. Darüber reden mag sie (noch) nicht: „Ich habe eine siebenjährige Stute im Stall, auf die ich große Hoffnungen setze.“ Soll heißen, die junge Garde, die die „Dressurkönigin“ gerne vom Thron stoßen würde, muss sich gedulden.