Himmel keine Grenze für Hamilton: Konkurrenz verneigt sich

Von Von Jens Marx, dpa

dpa Portimão. Es gibt anscheinend keine Grenzen für ihn. Schon in drei Wochen kann Lewis Hamilton auch noch Michael Schumachers Titelrekord in der Formel 1 einstellen. Epochal - das wissen auch die, die es hautnah miterleben und von ihm geschlagen werden.

Himmel keine Grenze für Hamilton: Konkurrenz verneigt sich

Weltmeister Lewis Hamilton vom Team Mercedes jubelt über seinen 92. Karrieresieg. Foto: Jose Sena Goulao/EPA Pool/AP/dpa

Als Lewis Hamilton die Stätte seines historischen Triumphs verließ, dachte er voller Ergriffenheit auch an Michael Schumacher.

„Ich werde für immer die größte Bewunderung und den größten Respekt empfinden, es ist eine wahrhaftige Ehre, mit Dir in einem Satz genannt zu werden“, beteuerte der 35 Jahre alte Brite.

Hamilton ist seit Sonntag der alleinige Grand-Prix-Gewinner-Maßstab. Die Marke der sieben WM-Wunder Schumachers kann er schon im übernächsten Rennen in drei Wochen in der Türkei einstellen. „Jedes Rennen fühlt sich wie das erste an“, sagte Hamilton in Portimão. Sein erstes war am 18. März 2007 in Melbourne, Australien. Am 10. Juni desselben Jahres folgte im kanadischen Montréal der erste Sieg, 4856 Tage später der 92. beim Großen Preis von Portugal.

Die Konkurrenz verneigt sich. „Ich hab' ihm vorm Rennen gesagt, er soll sich die 92 holen“, berichtete Sebastian Vettel, 53-maliger Grand-Prix-Gewinner und damit auf Rang drei der Bestenliste. Kein Neid, keine Missgunst, obwohl auch er derjenige hätte sein können, der die lange für unerreichbar gehaltenen Bestmarken seines Idols und Freundes Schumacher hätte einstellen können.

Vettel aber zog es nach den vier WM-Titeln mit Red Bull 2015 zu Ferrari, Vettel wollte die ultimative Krönung im roten Rennwagen - und scheiterte. Hamilton setzte nach seinem ersten WM-Gewinn 2008 mit McLaren auf die Silberpfeile - und räumt ab. „Mister Perfect“, schrieb der Schweizer „Blick“. Der britische „Guardian“ sieht einen „Sportler auf dem Höhepunkt seiner Kräfte“.

Viele würden behaupten, dass es leicht sei, mit so einem Auto diese Erfolge zu haben, meinte Vettel mit Blick auf Hamilton und dessen unumstritten überlegenen Mercedes. Man könne die Leistung aber gar nicht genug würdigen, sagte Vettel auch.

Fahrer und Auto bilden immer eine Symbiose. Hamilton und Mercedes haben diese bis zur Perfektion getrieben. „Das ist beinahe eine surreale Anzahl an Siegen“, kommentierte Teamchef Toto Wolff. Der 48 Jahre alte Wiener ist der Pate der unfassbaren Erfolgsserie. Er ließ Hamilton erst zur Entfaltung kommen, akzeptierte die anfänglichen Launen samt der Abneigung des Briten gegen Simulator-Testfahrten.

Wolff formte den Einwanderersohn zu einem durchaus streitbaren Sportsuperstar, der weit über den PS-Zirkus hinaus Vorkämpfer, Maßstab und Vorbild sein will. „Ich weiß nicht, wo ich heute feiern werde, denn wir leben aktuell wie Einsiedler, aber ich fliege nach Hause, um meine Frau und meinen Sohn zu sehen“, erzählte Wolff nach der Rekordfahrt seines Piloten. „Ich bin mir sicher, dass wir beim Abendessen vielleicht den einen oder anderen Drink haben werden.“

Schon am kommenden Wochenende kann der Schampus für den möglichen siebten Konstrukteurstitel von Mercedes in Serie kalt gestellt werden. Emotionen sind vorprogrammiert: Gefahren wird in Imola, auf der Strecke, auf der 1994 im Mai Ayrton Senna sein Leben bei einem schrecklichen Unfall an einem tiefschwarzen Wochenende für die Formel 1 ließ. Hamilton weiß das, sie alle wissen das.

Hamilton, der acht der bisherigen zwölf Rennen in der improvisierten Corona-Notsaison gewann und auch Hund Roscoe in Portugal mit auf dem Sieger-Foto mit dem Team haben wollte, wird auch in Imola als großer Favorit starten. Den Fahrertitel kann er dort noch nicht klarmachen, wohl aber weitere zwei Wochen später in Istanbul. Aktuell führt er mit 77 Punkten vor Teamkollege Valtteri Bottas, der zufälligerweise die Nummer 77 hat, und mit 94 Punkten vor Max Verstappen.

Die Hoffnung des Niederländers, Vettel das Prädikat jüngster Formel-1-Weltmeister abzuluchsen, ist der Ernüchterung über die Gnadenlosigkeit von Hamilton gewichen. „92 Siege und damit ist ja noch nicht Schluss. Er wird über 100 kommen. Ich muss wohl fahren, bis ich 40 bin oder so“, kommentierte der 23-Jährige von Red Bull.

Hamilton ließ auch bei der Formel-1-Premiere in Portimão offen, wie lange er der Motorsport-Königsklasse noch erhalten bleiben will. Einen neuen Vertrag hat er weiterhin nicht unterschrieben. Nächstes Jahr will er wieder dabei sein, so sein Plan. Genauer wird er nicht.

2021 dürfte es spätestens bei ihm ins Dreistellige gehen: 97 Poles hat er bereits, dazu die 92 Siege. Titel Nummer sieben ist nur noch eine Frage der Zeit. „Ich glaube nicht an das Sprichwort: Der Himmel ist das Limit“, sagte Hamilton. In Sachen Formel 1 ist er das Limit.

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