„Leistungssport ist harte Arbeit“

Serie Talente suchen, finden, fördern (Folge 1) Im Interview erklärt der Backnanger Leiter des Olympiastützpunkts Stuttgart Tim Lamsfuß, was deutsche Spitzenathleten und der Topnachwuchs tun müssen und erwarten können, um national und international erfolgreich zu sein.

„Leistungssport ist harte Arbeit“

Tim Lamsfuß hat am Olympiastützpunkt nicht nur die Laufbahn des Sportlers, sondern auch dessen Karriere danach im Blick. Foto: OSP

Herr Lamsfuß, bei den Olympischen Spielen in Tokio gab’s im Sommer auch für Athleten des Olympiastützpunkts Stuttgart Medaillen. Wie viele waren’s oder zählen Sie diese Medaillen nicht?

Für uns ist nicht die Medaillenanzahl entscheidend, wir sind eher ausgelegt auf das Thema, wie viele Leute bekommen wir eigentlich da hin. Für uns war die Ausbeute im Gegensatz zum Trend in Deutschland, wo’s eher rückläufig ist, sowohl im olympischen wie im paralympischen Bereich sehr, sehr erfolgreich. Bei Olympia hatten wir 28 Starter, die vier Medaillen mitgebracht haben. Bei den Paralympics waren es sechs Teilnehmer und zwei Medaillen.

Müssen Sportler an einem Olympiastützpunkt trainieren, um bei Großereignissen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften dabei zu sein?

Also es ist bestimmt nicht zwingend notwendig. Es gibt immer wieder Beispiele, dass auch so kleine Vorort-Satelliten Weltklasseleistungen liefern. Im Spitzensport der Erwachsenen auf Weltniveau muss aber jeder Fall einzeln betrachtet werden. Aber es ist selbstverständlich sinnvoll, dass man sich zentral an einem Ort organisiert, trainiert und rundum betreut wird. Manchmal ist es aber auch sinnvoll, dass ein Athlet in seiner vertrauten Umgebung bleibt und man dort um ihn herum etwas aufbaut.

Welche Vorteile hat ein Stützpunkt gegenüber einem Heimatverein?

Der typische Verein stellt ja praktisch die Sportart dar. Im Schwimmverein wird geschwommen, im Judoverein wird Judo gemacht. Vielleicht ist dann noch ein bisschen Kraft oder Regeneration mit dabei, aber meistens ist dann schon Schluss. Der OSP bietet eben alles, was überfachlich ist, an einem Ort. Eine Art Campuslösung.

Das heißt genau...

Wir haben eine sportmedizinische Abteilung, wir haben eine Physiotherapie, Ernährungsberatung, psychologische Beratung. Wir bieten eine Laufbahnberatung, die sich um die duale Karriere kümmert. Wir haben Trainingswissenschaftler, Leistungsdiagnostiker, Athletiktrainer, wir haben ein Internat mit pädagogischem Personal und bieten eine sportlergerechte Verpflegung. Natürlich ist auch ein Thema, dass wir in ein Verbundsystem eingebettet sind mit Partnerbetrieben, Eliteschulen und auch Partnerhochschulen. Das sind wirklich Vorteile.

Was für Sportler oder Sportlerinnen dürfen überhaupt am OSP trainieren?

Ein Anrecht auf eine Betreuung durch uns haben Bundeskaderathleten in sämtlichen olympischen, den paralympischen und in den deaflympischen Disziplinen (Gehörlosensport, Anmerkung der Redaktion).

Wie hält Stuttgart zum Beispiel Kontakt zum Landes- oder Heimtrainer?

Das ist die große Thematik der Schnittstellenfunktion. Ein Athlet, der im Olympiakader ist, der hat Kontakt zum Spitzenverband über seinen Bundestrainer, hat vielleicht Kontakt zum Bundeswehr-Sportförderungstrainer, zu seinem Landestrainer und eventuell hängen auch noch der Heimtrainer oder unsere Trainingswissenschaftler und Berater mit dran. Entscheidend ist dann, dass einer die Steuerung übernimmt und damit koordiniert, wann welche Schnittstelle informiert wird, wann Prozesse übergeben werden und wer den Hut aufhat.

Gibt es für Sportler am Stützpunkt Altersgrenzen nach oben oder unten?

Das ist sicher von der Sportart abhängig und es ist sicher auch so, dass sich das mit der Zeit geändert hat. Nehmen wir das Beispiel Turnen. Da war man früher gefühlt ja mit 22 Jahren alt. Mittlerweile ist es so, dass man mit 26 oder wie eine Kim Bui auch noch mit 32 Jahren in der Weltspitze mithalten kann. Aber es ist schon so, dass in vielen Sportarten die richtige Karriere erst später losgeht, wie in der Leichtathletik. In der Altersstruktur muss man jede einzelne Sportart ganz gezielt für sich betrachten.

Jetzt ist der Olympiastützpunkt nicht nur für die sportliche Karriere zuständig, sondern auch für die Laufbahn danach. Wie wird da geholfen?

Wichtig ist, schon mal klar zu wissen, dass es der normale Spitzensportler schwer hat, sein ganzes Leben davon zu leben. Es gibt zwar tolle Möglichkeiten über die Sporthilfe, Sponsoren oder Partnerverträge während der Karriere eine gute Entlohnung zu erhalten. Aber es gibt auch die Zeit danach. Und da sehen wir für uns die ganz große soziale Verantwortung, zu sagen: Wir stehen für Hochleistungs- und für Spitzensport, aber nicht um jeden Preis. Man muss Athleten ganz transparent und ehrlich erklären: Es gibt zwei Stränge. Der eine ist der Sport, der andere das Leben danach. Und beides muss parallel vorangetrieben werden.

Was empfehlen Sie Eltern großer Talente? Ihr Mädchen, ihren Jungen einfach machen lassen oder hilft auch mal der sogenannte Tritt in den Hintern?

Das ist ganz von den Personen abhängig. Während der eine eher zu Beginn viel laissez faire braucht, um selbst entscheiden und machen zu können, ist für andere Führung wichtig – ohne Druck auszuüben. Unser Job ist, beratend zur Seite zu stehen. Wir sind jedoch nicht die, die über eine Person entscheiden. Wir gehen aber schon ehrlich mit Trainern, Athleten sowie Eltern um und sagen es deutlich, wenn wir davon überzeugt sind, dass der Leistungssport für diese Person falsch ist. Das gehört auch zu unserer Verantwortung gegenüber dem Sportler.

Mussten Sie oder Ihre Trainer gegenüber Eltern auch schon mal eingreifen, weil die zu ehrgeizig waren?

Bisher eher weniger. Bei uns ist’s ja so, dass die meisten schon im Bundeskader sind und es deshalb eigentlich ohne Eltern abläuft. Wobei es durchaus Talente gibt, die mit zwölf Jahren in unser Internat kommen und entsprechend eine engere Bindung zu den Eltern haben. Negative Erfahrungen gab’s bisher trotzdem keine großen. Das liegt sicher mit daran, dass wir einen fairen und ehrlichen Dialog pflegen. Wir sagen, was wir erwarten, was auf die Leute zukommt, und wir bündeln verschiedene Sichtweisen. Die des Pädagogen, der Dinge vielleicht anders betrachtet als der Trainingswissenschaftler, der vor allem sieht, was der Sportler leisten kann. Klar ist: Leistungssport ist harte Arbeit. Meistens klappt das wunderbar.

Sie selbst haben sich einst als Judoka bei der Frage Hochleistungssport oder Studium fürs Studium entschieden. Hat der Laufbahnberater da versagt?

Nein (schmunzelt). Witzigerweise war damals Herbert Wursthorn mein Laufbahnberater, der jetzt immer noch da ist. Eigentlich bin ich nach Köln zum Studium gegangen, weil dort ein großer Judostützpunkt ist. Mit dem Wechsel dahin wollten wir noch mal ein wenig neuen Drive reinkriegen. Aus dem gewohnten Umfeld und den gewohnten Abläufen rausgerissen, habe ich dort oben jedoch irgendwie nicht richtig Fuß gefasst. Wie schon erwähnt, es liegt manchmal eben an der Person selbst. Bei mir lag’s jedenfalls nicht an der Beratung.

Zur Person und zum OSP

Tim Lamsfuß ist gebürtiger Backnanger und lebt immer noch hier. Als Judokämpfer der TSG brachte er es zur deutschen Spitze, kämpfte in der Bundesliga und wurde 1998 Dritter der U-20-Weltmeisterschaft. Zudem wählten ihn die Leser unserer Zeitung 1995, 1996, 1997 und 1998 viermal in Folge zum BKZ-Sportler des Jahres. Seit dem Frühjahr 2019 leitet der 42-jährige Diplom-Sportökonom den Olympiastützpunkt Stuttgart.

Der Olympiastützpunkt (OSP) mit Hauptsitz am Cannstatter Wasen betreut derzeit 505 Sportler. Stuttgart ist einer von 16 Olympiastützpunkten in ganz Deutschland und neben Freiburg und Heidelberg einer von drei OSPs in Baden-Württemberg.