Löw hat „richtig Bock“ auf Holland und die Zukunft

dpa Hamburg. So hat man Joachim Löw lange nicht erlebt. Vor der nächsten großen Kraftprobe gegen die Niederlande blickt der Bundestrainer weit in die Zukunft. Die Generation Sané könnte wieder eine goldene werden. Gnabry ist nun Müller, Goretzka sorgt für einen „Wermutstropfen“.

Löw hat „richtig Bock“ auf Holland und die Zukunft

Bundestrainer Joachim Löw bereitet die deutsche Nationalmannschaft auf die Niederlande vor. Foto: Christian Charisius

Joachim Löw wirkte nach seiner Zwangspause wie einer Zeitmaschine entstiegen.

Auch wenn das Haar des 59-Jährigen langsam grauer wird, erinnerte der Bundestrainer auf dem DFB-Podium im Hamburger Volksparkstadion an jenen jungen, visionären Jogi, der vor zehn Jahren die Generation der Fußball-Weltmeister von 2014 erschuf. Löw blickte bei seinen 30-minütigen Ausführungen weit hinaus über den prickelnden Start in die EM-Saison am Freitag (20.45 Uhr/RTL) gegen den Erzrivalen und Dauerkonkurrenten Holland.

Ein Jahr nach dem WM-Desaster und dem aus seiner Sicht inzwischen „gut hinbekommenen Umbruch“ sieht der Entwickler Löw eine neue deutsche Titelgeneration heranwachsen, die „voller Elan und positiver Stimmung“ in das erste Heimspiel der Saison gegen die von Abwehrstar Virgil van Dijk angeführte Oranje-Elf geht. Auf den Hinspielsieg in Amsterdam soll in dem Klassiker ein weiterer Festabend folgen.

„Mein Gefühl ist, die Mannschaft ist auf einem guten Weg“, sagte Löw, der nur drei Trainingseinheiten zur Vorbereitung hatte und auf den erneut am Oberschenkel verletzten Leon Goretzka verzichten muss. „Er hatte eine Einblutung“, berichtete Löw über den Bayern-Profi. Der Ausfall sei ein „Wermutstropfen“. Löw wirkte nach seinem Fehlen im Juni bei den Siegen gegen Weißrussland (2:0) und Estland (8:0) beschwingt und fokussiert. Mehrmals reagierte er witzig auf Fragen, etwa als er eine Einsatzgarantie verkündete: „Serge Gnabry spielt, Serge Gnabry spielt immer!“ Der Satz stand früher für Thomas Müller.

Der Hinspielsieg in Amsterdam dient Löw weitgehend als Blaupause für den nun geplanten Heimerfolg, der die DFB-Auswahl vor der Prüfung am Montag in Belfast gegen Tabellenführer Nordirland weiter Richtung EM-Ticket führen würde. Manuel Neuer wird wieder im Tor stehen, davor könnte Löw wieder eine Dreierkette um Niklas Süle formieren. Und „mit drei wirklichen Stürmern“ will er vorne für Tempo und Tore sorgen.

Den durch die Verletzung von Leroy Sané frei gewordenen Platz im Turboangriff mit Gnabry und Marco Reus sollte Timo Werner besetzen, auch wenn Löw den Neu-Dortmunder Julian Brandt als weitere Option nannte. „Timo Werner hat einen sehr guten Lauf“, sagte Löw selbst angesichts der fünf Tore des Leipzigers in drei Bundesliga-Partien.

Löw ist gespannt auf das nächste Kräftemessen mit den starken Niederländern, gegen die man in den drei Länderspiel-Duellen der vergangenen elf Monate „alle Höhen und Tiefen“ erlebt habe. „Wir können das noch nicht definieren, wo wir stehen“, sagte er nach der Testreihe, die einen positiven Trend aufzeigt: 0:3, 2:2, 3:2.

Löw erinnert die neue Boy-Group um Gnabry, Brandt, Werner, Süle, Havertz oder den fehlenden Sané bereits an die jungen Neuer, Müller, Boateng, Hummels, Özil, Khedira oder Kroos, deren Stern bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika aufging. „Die Jungs haben richtig Bock, miteinander einen erfolgreichen Weg zu gehen“, sagte er: „Die Mannschaft weiß, dass sie einiges erreichen kann, nicht nur jetzt in der Quali und nächstes Jahr bei der EM, sondern darüber hinaus.“

Bei der Heim-EM 2024 stünde die Generation Sané dann „vielleicht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere“, prognostizierte Löw langfristig. „Ich vergleiche das mit der Mannschaft von 2010, die plötzlich entstanden ist.“ Damals war der noch junge Nationaltrainer Löw nach Verletzungen von Kapitän Michael Ballack und einiger anderer Routiniers auch zu einem Umbruch gezwungen worden. Vier Jahre später hielten Neuer, Müller, Kroos und Co. in Rio den goldenen WM-Pokal in Händen.

Erst einmal muss die neuformierte DFB-Auswahl allerdings in der EM-Qualifikation die nächsten Entwicklungsschritte tun. Mit zwei weiteren Siegen gegen die spielstarken Holländer und danach gegen die kampfstarken Nordiren könnte das EM-Ticket im Idealfall schon gebucht sein. Die 51 299 Zuschauer in der ausverkauften HSV-Arena sollen am Freitagabend jedenfalls begeistert werden. „Wir freuen uns, hier in einer geilen Stadt, in einem geilen Stadion unser Konto auf zwölf Punkte auszubauen, wenn's geht“, sagte Abwehrchef Süle.

Routinier Kroos hält das neue Team sogar schon für „besser“ als jenes, das vor einem Jahr als Titelverteidiger bei der WM krachend unterging. „Mein grundsätzliches Gefühl ist positiv“, sagte der 29-Jährige. „Da muss ich dabei sein“, sagte der Mittelfeldstar von Real Madrid, der auf Spielpausen fortan verzichten will. Löw ist ebenfalls glücklich, nach seinem Fehlen im Juni gegen Oranje wieder coachen zu können: „Die Situation war unangenehm“, bemerkte er zur Absenz: „Ich bin froh, dass ich wieder bei der Mannschaft bin.“

Der Bundestrainer kalkuliert im Entwicklungsprozess seiner jungen Mannschaft „Rückschläge“ ein. Aber er ist wieder von seinem Weg überzeugt, das WM-Desaster hat er abgeschüttelt, überzeugt gibt er wieder die Richtung vor. „Jeder kann seine Individualität ausspielen. Aber wir leben von der mannschaftlichen Geschlossenheit und der Raumaufteilung“, sagte er energisch im Ton: „Wenn wir das machen, sind wir gut. Wenn nicht, sind wir nicht gut.“ Holland wird's zeigen.