Pizza Grandiosa!

Bremens Pizarro setzt die Gesetze der Branche außer Kraft – Werder trifft am Freitag auf den VfB

Von Frank Hellmann

Rekordtor - Der Pizza-Express von Werder Bremen liefert und liefert und liefert: Claudio Pizarro ist mit nun 40 Jahren und 136 Tagen der älteste Torschütze der Bundesliga-Geschichte.

Berlin Claudio Pizarro muss manchmal selbst schmunzeln, welche kuriosen Konstellationen der Profifußball bereit hält. Kann es wirklich sein, dass sich für den ­alterslosen Torjäger des SV Werder gerade Anfang und Ende seiner ewigen Karriere ­begegnen? Dort, wo 1999 alles begann.

Am Samstagabend hat es im Berliner Olympiastadion einen Freistoßtreffer zum 1:1-Remis in der sechsten Minute der Nachspielzeit bei Hertha BSC gegeben, der ihn mit 40 Jahren und 136 Tagen zum ältesten Torschützen der Bundesliga-Geschichte werden ließ. Und es ist schwer zu glauben, dass irgendein Profi in diesem Abnutzungsbetrieb das Phänomen Pizarro übertrumpft. Sein 195. Bundesliga-Tor kommt ins Geschichtsbuch: Pizarro hatte sich mit Kapitän Max Kruse beraten, wie denn der Ball am besten durch die vielen Menschenleiber zu bringen sei. Kruse erzählte: „Wir haben uns erst überlegt, den Ball unter der Mauer durchzuschießen, dafür war die Mauer aber ein bisschen weit weg. Dann wollte er den Ball einfach auf das Torwarteck zielen. Da habe ich ihm aber gesagt: ‚So viel Kraft hast du in deinem Alter nicht mehr.‘“ Und so bahnte sich der Ball zweimal leicht abgefälscht den Weg in die Maschen.

Rückblende: Werder war 1999 zwar sensationell Pokalsieger geworden, aber noch weniger Spitzenmannschaft als 2019. Und weil die Grün-Weißen damals an den ersten ­beiden Bundesliga-Spieltagen über Ladehemmung klagten, kam im August 1999 noch ein junger Mann aus Peru dazu. Den Transfer des unbekannten Stürmers aus ­Lima hatte der mit besten Kontakten nach Südamerika ausgestattete Vereinsboss und Banker Jürgen L. Born eingefädelt. Pizarro gab sein Debüt als Einwechselspieler in ­Berlin. Endstand? Ebenfalls 1:1. Werders Tor hütete Frank Rost, die Abwehr hielten ­Recken wie Bernhard Trares und Andree Wiedener zusammen, im Mittelfeld schufteten Spieler wie Dieter Eilts, Torsten Frings und Frank Baumann.

Bald aber sollten im Angriff zwei südamerikanische Spaßvögel, die gerne auch mal abseits des Platzes fünfe gerade sein ließen, für beste Bremer Unterhaltung sorgen. Das Duo Pizarro/Ailton bekam den Spitznamen „Pizza-Toni“ verpasst, weil sie Tore so zuverlässig auftischten wie der italienische Lieferservice die Teigware aus dem Ofen um die Ecke. Pizarro wurde zwar vom FC Bayern abgeworben, kehrte aber dreimal zu Werder zurück. Seine letzte Unterschrift unter ein stark leistungsbezogenes Arbeitspapier im Sommer begleiteten einige Zweifel. Längst ist bei Geschäftsführer Baumann Abbitte zu leisten: Dessen ehemaliger Mitspieler paart als Ü-40-Akteur immer noch Nostalgie, Effektivität und Leichtigkeit. Dank seiner Schlitzohrigkeit träumt Werder Bremen mal wieder von einer Europapokalteilnahme. Der eigentlich immer gut gelaunte Oldie war bei der Pokalsensation bei Borussia Dortmund (7:5) mit einem feinen Treffer in der Verlängerung und einem verwandelten Elfmeter ein entscheidender Faktor, um fünf Tage später in Ruhe zuzuschauen, wie die Jungstürmer Milot Rashica und Johannes Eggestein ohne sein Zutun den FC Augsburg (4:0) im Weserstadion düpierten.

Beide fanden am Samstag nie eine Lücke, so dass es erst das 18 Jahre Offensivtalent Josh Sargent brauchte, um einen Freistoß herauszuholen, den Pizarro hernach auf seine Weise versenkte, missachtete er doch die Anweisungen von Florian Kohfeldt. „Der Trainer hat mich gefragt: ‚Warum hast du geschossen?‘ Ich versuche immer, wenn ich reinkomme, ein Tor zu machen.“

Pizarro lebt deutlich professioneller als früher, hat seine Ernährung umgestellt, verzichtet auf Weizen- und Milchprodukte und scheint seitdem deutlich weniger verletzungsanfällig. Kohfeldt hegt vor der Lebensleistung seiner Stürmerlegende – vier Jahre älter als er selbst – einen gewaltigen Respekt. „Der Typ ist der Wahnsinn.“

Dennoch sind es nur wenige Spiele, in denen er seine prominente Nummer vier wirklich gewinnbringend braucht. Gut möglich, dass seine Dienste schon im Heimspiel gegen den VfB Stuttgart (Freitag, 20.30 Uhr) nicht zwangsläufig gefragt sind. Aber im Weserstadion jubeln ihm die Zuschauer schon zu, wenn er sich nur aufwärmt. Pizarro möchte vielleicht auch deshalb noch nicht aufhören. Seine Andeutungen in diese Richtung („Da müssen wir noch schauen. Schauen wir mal, was der Körper in den nächsten zwei, drei Monaten macht“) waren am Wochenende eindeutig. Solange der Fußball so verrückten Stoff liefert, will er mitmischen.

Egal, wie alt er ist.