Quintett von der TSG Backnang meistert den Wasalauf

Der Wasalauf ist die größte Langlaufveranstaltung der Welt und übt auf alle, die diesen Sport betreiben, eine große Anziehungskraft aus. Auch auf das Quintett der TSG Backnang, das mit Begeisterung von der gut einwöchigen Reise nach Schweden und den verschiedenen Rennen erzählt.

Quintett von  der TSG Backnang meistert den Wasalauf

Zehntausende Teilnehmer nehmen in der gesamten Wasalaufwoche die verschiedenen Rennen in Angriff und werden von unzähligen Zuschauern angefeuert. Foto: privat

Von Steffen Grün

Die Werders und die Kahles: Zwei befreundete Familien aus Sechselberg bilden seit einigen Jahren den Kern der Langlaufsparte in der TSG-Skiabteilung. Wie für alle, die sich mit Begeisterung die dünnen Bretter an die Füße schnallen, ist der Wasalauf in Schweden „auch für uns eine große Herausforderung“, sagt Gerhard Werder. Eine, der sich er, sein Sohn Patrick und Michael Kahle bereits 2020 erstmals stellten. Damals wurde die Traditionsveranstaltung, die es seit 1922 gibt und deren Hauptlauf über 90 Kilometer in klassischer Technik stets am ersten Märzwochenende ausgetragen wird, zum letzten Mal vor der schon aufziehenden Pandemie normal durchgezogen. „Weil die Atmosphäre so toll war, wollte ich auch einmal mitmachen“, erinnert sich Raili Werder, die ihnen Mann und ihren Sohn ebenso live vor Ort unterstützt und angefeuert hatte, wie es Karin Kahle damals für ihren Gatten tat.

Nun, wo weitgehend die Normalität der Vorcoronazeit herrscht, setzte die gebürtige Finnin dieses Vorhaben in die Tat um. Umso schöner für die 54-Jährige, dass sie es zusammen mit Tochter Rina tun konnte und auch Karin Kahle ihre Premiere beim Wasalauf feierte. Gerhard Werder und Michael Kahle komplettierten das Quintett, das sich aber auf drei verschiedene Rennen verteilte.

Die Wiederholungstäter: Dass sie sich bereits vor drei Jahren in das Dörfchen Sälen aufgemacht hatten, um mit Tausenden anderen Langläufern die 90 Kilometer bis ins Ziel nach Mora zurückzulegen, „ist aus einer Bierlaune entstanden“, verrät Michael Kahle und lacht. Von Gerhard Werder kommt kein Widerspruch, bereut hat das Duo diese vom Genuss des Gerstensafts befeuerte Idee ohnehin nicht. Und das, obwohl es das Wetter damals nicht gut mit ihnen meinte. Unter den starken Schneefällen vor und beim Rennens litt die Loipe. Das war aber nicht der Anlass, sich nun gegen den Hauptlauf in der klassischen Technik und für den Nachtlauf zu entscheiden, bei dem auf derselben Strecke auch die Skating-Variante gestattet ist. Warum dann? „Weil wir auf Youtube gesehen haben, wie Tausende Läufer mit Stirnlampen im Wald unterwegs waren. Das sah toll aus, das wollten wir auch erleben.“

Abends um acht fiel der Startschuss, etwa 3000 Frauen und Männer machten sich auf den Weg in die Nacht. Das bedeutet keineswegs, dass immer andere Sportler um einen herum sind, denn das Feld zieht sich weit auseinander. „Ich war oft allein unterwegs“, erzählt Michael Kahle, „da muss man seinen inneren Schweinehund schon überwinden“. Und vielleicht die Angst, die einen beschleichen könnte, denn trotz des Vollmonds war es im Wald arg dunkel. Ein vorzeitiger Ausstieg ist trotzdem keine Option, betont der 51-Jährige mit einem Schmunzeln: „Man ist in der Wildnis und keiner holt einen ab.“

Das stimmt aber nur, so lange kein Notfall eintritt. Wäre doch etwas passiert, hätten Kahle oder Werder ihre Handys gezückt, die sie mitsamt dem Nötigsten für die Zeit zwischen den Verpflegungsstellen im Rucksack verstaut hatten. Begegnungen mit Elchen, Rentieren oder anderen Vierbeinern, die in Schwedens Wäldern beheimatet sind, blieben aber ebenso aus wie Stürze. Allenfalls der starke Wind war ein störender Faktor, ansonsten passten die Bedingungen und erlaubten gute Zeiten. „Mein Ziel war schon immer, die 90 Kilometer unter neun Stunden zu schaffen“, erläutert Kahle: „Das habe ich nun geschafft.“ Er brauchte in der klassischen Technik 8:21:23 Stunden, war rund 60 Minuten schneller als 2020 und belegte in der Einzelwertung der Männer Platz 337. Auch bei Werder lief es besser als damals, denn „ich bin locker gelaufen, habe mich nicht treiben lassen“. Der Lohn für den 54-Jährigen, der die Skating-Technik gewählt hatte, war Rang 193 in 6:14:38 Stunden. Zum Vergleich die Zeiten der Sieger: Emil Persson aus Schweden benötigte 3:37:43 Stunden, für Emilie Fleten aus Norwegen standen 4:04:08 Stunden zu Buche.

Das Mutter-Tochter-Gespann: „Mama meinte, sie will auch mal mitmachen“, erinnert sich Rina Werder. „Danach haben wir nicht mehr darüber geredet, bis ich sagte: Also machen wir das nächstes Jahr.“ Nun war Kneifen verboten, dennoch bangte Raili Werder um ihren Start. Im vergangenen Juli erlitt sie den zweiten Bandscheibenvorfall, im August wurde sie operiert, erst im November stieg sie ins Training ein. Umso beachtlicher, dass sie den Hauptlauf in klassischer Technik, bei dem das Starterfeld riesig ist, in 8:22:39 Stunden bewältigte und bei den Frauen den 697. Platz belegte. „Damit bin ich aufgrund der Vorgeschichte sehr zufrieden, ich hatte mit etwa neun Stunden gerechnet“, sagt die ehrgeizige Sportlerin. Das Beste: „Ich hatte keine großen Schmerzen, habe mich im Ziel richtig gut gefühlt.“

Auf die Tochter, die gemeinsam mit ihrer Mutter das Ziel erreichte, traf dies nur bedingt zu. Die Freude, es geschafft zu haben, war riesig, aber die Helfer glaubten, „meine Hand wäre gebrochen“. Dieser letztlich falsche Verdacht kam nicht von ungefähr, sie war nach einem frühen Sturz nämlich stark geschwollen. Wie gut, dass Rina im Gewusel kurz darauf rein zufällig auf Raili Werder traf, die eine Gruppe vor ihr gestartet war. Nun bildeten beide ein Gespann, das baute die Tochter mental wieder auf. Zudem hatte ihre Mutter die „Ibu“ in der Tasche, die sie dringend brauchte: „Ich hatte Schmerzen, aber mit einer Tablette ging es. Ich dachte mir, ich höre doch nicht nach 20 Kilometern auf, dafür bin ich doch nicht nach Schweden geflogen.“ Dass an der Strecke die einzelnen Kilometer heruntergezählt wurden, half ihr, die Motivation hochzuhalten. Am Ende der „emotionalen Achterbahnfahrt“ war sie im Ziel sehr zufrieden, „aber auch echt kaputt“.

Die Solonummer: Erst seit zehn Jahren steht Karin Kahle überhaupt auf Langlaufbrettern, vorher war sie nur als Betreuerin der Kinder dabei. Die hörten auf, sie startete durch und bestreitet seit 2022 auch Wettkämpfe. „Ich wollte nicht mehr nur warten, bis alle ins Ziel kommen“, sagt die 48-Jährige und fügt mit sympathischer Selbstironie hinzu: „Nun warten sie auf mich.“ Beim Wasalauf, für den sie ihr Mann angemeldet und sie damit quasi zu ihrem Glück gezwungen hat, waren 4:20:48 Stunden in ihrem ersten 45-Kilometer-Rennen aber sehr respektabel. Die doppelte Distanz traue sie sich noch nicht zu, erklärt Karin Kahle, warum sie im Rahmen der Wasalauf-Woche bereits einige Tage vor ihren Mitstreitern in einem offenen Lauf ohne Platzierungen mitmischte.

Der Volksfestcharakter: Die Schweden zelebrieren dieses weltgrößte Langlaufevent wie den zweiten Nationalfeiertag, erläutert Gerhard Werder. „Man kann die Atmosphäre kaum beschreiben, man muss es erleben“, sagt Michael Kahle. Spitzensportler wie der 13-malige Weltmeister Petter Northug aus Norwegen oder seine Landsfrau Astrid Oeyre Slind, die am Samstagmittag bei der WM im slowenischen Planica noch die 30 Kilometer lief, um tags darauf die 90 Kilometer beim Wasalauf dranzuhängen, sind genauso am Start wie unzählige Breitensportler – Jahr für Jahr, immer wieder aufs Neue, alt und jung. „Es stehen 70-Jährige neben einem und laufen einem mühelos davon“, erzählt Michael Kahle. „Anfangs ist das deprimierend, irgendwann akzeptiert man es“, ergänzt Rina Werder lachend. Und die, die selbst nicht die Skier anschnallen, stehen am Rand und feuern die Sportler lautstark an. Auch nachts im Wald, wo sich die Fans zu Grillpartys am offenen Feuer treffen.

Die Zukunftsplanung: „Falls Karin die 90 Kilometer laufen will, müssen wir vielleicht noch einmal hin“, sagt der Rest und wirkt nicht so, als wäre das ein Schreckensszenario. „Ich habe im Hinterkopf, als Familienteam den Nachtlauf zu machen“, verrät Gerhard Werder. Das TSG-Quintett aus Sechselberg spielt also durchaus mit dem Gedanken, sich der Herausforderung im hohen Norden ein weiteres Mal zu stellen.