Reichlich Ruhe, aber kein Stillstand

Im Schachsport laufen viele Wettbewerbe nun online – SCM-Akteur mit Team aus dem Remstal in neuer Internetliga aktiv

Ruhig und leer ist das Spiellokal des Schach-Clubs Murrhardt. Sonst tobt dort beim Training der Jugend, während der Spielabende und Mannschaftsspiele das Schachleben. Doch so still es im Grabenschulhaus auch ist, einen Stillstand gibt es beim SCM und im Schachsport insgesamt keinen. Viele Spieler und Teams haben ihren Wettkampf- und Ligenbetrieb ins Internet verlagert.

Reichlich Ruhe, aber kein Stillstand

Johannes Bay zählt zu jenen Schachsportlern, die in der neuen Internetliga aktiv sind. Auch mit dem Turnier- sowie dem Trainingsbetrieb des SCMurrhardt fahren der Spiel- sowie Jugendleiter und seine Mitstreiter vom SCM mittlerweile die Online-Schiene. Foto: privat

Von Johannes Bay

Vor allem im Jugendbereich hatte der SCM zuletzt viel aufgebaut. Aber wie in fast allen Sportarten in Deutschland führen die aktuellen Einschränkungen wegen Corona zu Ausfällen von Wettkämpfen, Trainingsmaßnahmen und eigentlich dem komplettem Vereinsleben. Auch im Schach sind alle Mannschaftswettkämpfe und Einzelturniere abgesagt.

Allerdings haben Schachspieler den großen Vorteil, dass sie für ihren Sport eigentlich nur ein Schachbrett, 16 weiße sowie 16 schwarze Figuren und wegen der Einhaltung der Bedenkzeit eine Uhr benötigen. Die kleine Ausstattung kann zu Partien im Schwimmbad, im Park oder im Café führen. Falls sich zwei Gegner nicht in der Nähe zusammenfanden, wurden schon vor 150 Jahren Partien gespielt, indem die ausgeführten Züge per Postkarte oder Telegramm übermittelt wurden. Der teilweise weit entfernt Gegner konnte den Zug ausführen und seine Antwort erneut postalisch übermitteln.

In Zeiten des Internets hat sich dies zuerst auf E-Mail und kurz darauf aufs Internet verlagert. Mittlerweile gibt es Dutzende größere und kleinere Anbieter für die kurze Partie zwischendurch, für Trainingsmaßnahmen und zur Ausrichtung größerer Turniere. Die Zahl an Möglichkeiten hat sich in der Coronakrise noch deutlich vergrößert und wird intensiv genutzt. „Das ist gut, da die Schachsportler in Übung bleiben und an Spielpraxis gewinnen“, urteilt Carsten Karthaus, aus Murrhardt stammender Spielleiter des Schachverbands Württemberg. Und: „Wahrscheinlich wird sogar derzeit mehr Schach gespielt als zuvor.“

Auch der SC Murrhardt ist komplett ins Internet umgezogen. Im virtuellen Schach-Club auf der Open-Source-Seite Lichess.org treffen sich SCM-Mitglieder, einige Ehemalige und Gäste. Jeden Freitag gibt es je zwei Turniere mit je einer Stunde Gesamtspielzeit und einer Partiebedenkzeit zwischen sieben und drei Minuten pro Spieler. Dank automatisierter Auslosung werden alle Spieler nach Turnierleistung zueinander gelost und haben eine kurze Wartezeit. Weit vorn sind im Internet die Besten im normalen Blitzschach. Mehrfach trugen sich Daniel Mischke Ramirez und Markus Gentner in die Siegerlisten ein. Letzten Freitagduellierten sich zwölf Spieler aller Alters- und Spielstärkeklassen. Sieger wurde der Ex-Murrhardter Andreas Zwicker, der zwischenzeitlich in München spielt.

Auf Mannschaftswettkämpfe müssen Schachsportler ebenfalls nicht verzichten. In kurzer Zeit ist ein Quarantäneligasystem entstanden und wächst rasant. Unter einer eingleisigen Bundesliga und Zweiten Bundesliga gibt es derzeit weitere sieben Klassen, die dreigleisig ausgetragen werden. „Mitte März kam vom Fide-Meister Andreas Ciolek die Idee für eine solche Liga in Bayern“, erzählt Organisator Jens Hirneise, der in Kernen im Remstal wohnt und als Chefredakteur der Schachzeitung Rochade hauptberuflich im Schachbereich tätig ist. „Schnell kontaktierte ich noch andere deutschsprachige Teams. Bei der ersten Auflage waren schon 150 Spieler dabei. Mittlerweile sind’s über 2500 Sportler in über 180 Mannschaften.“ Ein Ende ist noch nicht abzusehen. Jede Woche kommen zwei oder drei Ligen mit je zehn Mannschaften hinzu, hauptsächlich aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch aus ganz Europa und sogar weltweit. Das Niveau steigt fast täglich.

Vom Schach-Club Murrhardt sitzt Johannes Bay bei den Mannschaftskämpfen fürs Team Remstalbuben am Brett beziehungsweise am PC. Bei der Mannschaft handelt sich um einen Zusammenschluss von Spielern aus dem Raum Waiblingen aus unterschiedlichen Vereinen. Regelmäßig Donnerstag- und Sonntagabend steht ein neuer Spieltag an.

Richtig still steht übrigens auch das Training der Murrhardter Schachjugend nicht. Für einige Spieler wurde auf Training per Skype umgestellt, um an einigen Grundlagen zu arbeiten. In die vierte Woche geht der Wettbewerb mit 16 Aufgaben für die Schacheleven. Die Lösungen der unterschiedlich schweren Aufgaben korrigieren die Trainer des Schach-Clubs und küren den Schüler mit den wenigsten Fehlern zum Wochensieger. Die erste Auflage gewann Tom Ergenzinger, in der zweiten Woche hatte Mahan Karimi Arjomand die Nase vorne.

Obwohl viele Aktivitäten außerhalb und von zu Hause aus durchgeführt werden, freuen sich die Schachfreunde auf eine Rückkehr ins Grabenschulhaus. Carsten Karthaus fragt sich, wie viele Spieler danach zurückkehren, und ist sicher: „Dies hängt davon ab, wie lang die Pause für den Spielbetrieb noch andauert.“ Auch glaubt der Verbandsspielleiter nicht, dass der Wettkampfsport ins Internet abwandert: „Offizielle Wettkämpfe im Internet auszutragen kommt bisher noch selten vor und ist aufgrund der vielfältigen Betrugsmöglichkeiten kaum möglich. Das ist der Lichtblick fürs Turnierschach von Mensch zu Mensch.“

Der SCM hofft ebenfalls, bald wieder dienstags die Bretter für seine Jugendgruppen aufbauen zu dürfen und die Stille aus dem Murrhardter Spiellokal zu vertreiben. So lange sind alle Spieler und Gäste im Online-Spiellokal willkommen.

Info

Selbst Spitzenspieler aus den Top 50 der Weltrangliste sind in der Internetliga vertreten. Der Murrhardter Johannes Bay hatte das Vergnügen, gegen den besten Spieler Afrikas, Amin Bassem, zu spielen, sogar doppelt. Der auf Platz 44 der ELO-Liste und damit der Rangliste der Schachwertungszahlen stehende Ägypter machte mit dem Murrtaler kurzen Prozess und gewann beide Partien. Eine deutlich, die andere erst im Endspiel. „Wer darf schon gegen einen Spitzenmann seines Sports antreten“, freut sich Johannes Bay, „noch dazu vom heimischen Schreibtisch aus.“

Die Remstalbuben stiegen vor drei Runden in die fünfte Liga auf, mussten aber nach nur zwei Spielzeiten wieder in Liga sechs zurück. Der Abstieg schmerzte besonders, da das Team punktgleich mit dem ersten Nichtabsteiger, aber in der Feinwertung schlechter war. Nun wurde die Klasse nur knapp gehalten, da sich immer mehr Teams mit starken Spielern an den Turnieren beteiligen.