Neustart mit Fragezeichen: Zverev und Kerber als Wundertüten

Von Von Lars Reinefeld, dpa

dpa New York. Endlich wieder Grand-Slam-Tennis! Rund sieben Monate nach Melbourne findet in New York wieder eines der Highlights im Kalender statt. Doch wegen Corona ist alles anders. Die Umstände, die Aussichten - und auch die Favoriten?

Neustart mit Fragezeichen: Zverev und Kerber als Wundertüten

Bei den US Open trifft Alexander Zverev gleich in der ersten Runde auf den früheren Wimbledon- und US-Open-Finalisten Kevin Anderson. Foto: Frank Franklin II/AP/dpa

Vor dem Start der wohl ungewöhnlichsten US Open der Tennis-Geschichte sind die Fragezeichen groß.

Gelingt es den Machern des US-Verbandes wirklich, ein Grand-Slam-Turnier in Corona-Zeiten zu veranstalten? Halten sich von diesem Montag an alle für zwei Wochen an die strengen Hygieneregeln? Und wer sind die Favoriten? Antworten zu finden ist so schwierig wie nie, auch wenn die Generalprobe beim von Cincinnati nach New York verlegten Turnier der Masters-1000-Serie erste Fingerzeige gab.

So ist auch nach rund fünf Monaten Tennis-Pause klar, dass der Titel bei den Herren nur über den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic führt. Der Serbe, der in der Corona-Pause mit seiner Adria Tour für so viel Ärger und Irritationen gesorgt hatte, trumpfte in dieser Woche so auf, als habe es die lange Pause nie gegeben.

Auch ein zuvor starker Jan-Lennard Struff musste die Ausnahmeform von Djokovic bei seiner klaren Viertelfinal-Niederlage anerkennen. „Er ist in einer bestechenden Form“, sagte Struff über die Nummer eins der Welt, die in diesem Jahr noch kein Spiel verloren hat.

Weil im spanischen Titelverteidiger Rafael Nadal und im Schweizer Roger Federer seine beiden Dauerrivalen fehlen, ist Djokovic mehr denn je der Kandidat Nummer eins auf den Triumph. „Das Ziel, der Spieler mit den meisten Titeln bei den Grand Slams zu sein, ist nach wie vor da“, sagte Djokovic vor dem Turnier der „New York Times“.

17 Mal triumphierte der 33-Jährige bislang in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York - zuletzt im Januar bei den Australian Open. Nadal, der sich lieber auf die Saison auf Sand in Europa vorbereitet, kommt auf 19 Titel. Federer, der seine Saison nach einer Operation am Knie bereits beendet hat, hat 20 Mal bei einem der vier wichtigsten Events gewonnen.

Durch die Abwesenheit von zwei Dritteln der Großen Drei steigen aber auch die Chancen für die nachfolgende Generation. Dominic Thiem, Vorjahresfinalist Daniil Medwedew, Stefanos Tsitsipas - sie alle träumen vom großen Coup. Das tut auch Alexander Zverev. Doch wie es um die Form der deutschen Nummer eins bestellt ist, bleibt ein Rätsel.

Bei der Generalprobe verlor Zverev gleich zum Auftakt gegen Andy Murray. Dabei wurden die alten Schwächen wieder sichtbar. Probleme mit dem zweiten Aufschlag, wenig Variabilität im Spiel und kein Plan B. Mut machte der Auftritt von Zverev, der sich danach immerhin für sein rätselhaftes Verhalten während der Corona-Pause entschuldigte, nicht. Doch der 23-Jährige wollte das Aus nicht überbewerten.

„Ich denke, wenn die US Open beginnen, sollte jeder sein bestes Tennis spielen, und ich hoffe, dass das für mich auch der Fall sein wird“, sagte Zverev. Noch weitaus ungewisser als bei Zverev sind die Aussichten bei Angelique Kerber. Praktisch auf den letzten Drücker entschied sich die deutsche Nummer eins für eine Teilnahme an den US Open. Nun startet die dreimalige Grand-Slam-Turnier-Siegerin ohne jede Spielpraxis. „Ich habe deshalb auch keine allzu großen Erwartungen, sondern freue mich auf die Herausforderung, endlich wieder Matches spielen zu können“, sagte Kerber vor ihrem Abflug.

Auch die deutsche Damen-Chefin Barbara Rittner ist daher gespannt, was von Kerber an jenem Ort, an dem sie 2016 gewann und zur Nummer eins der Welt wurde, zu erwarten ist. „Aber Angie ist sehr erfahren und sie hat dieses Mal absolut keinen Druck. Von daher ist ihr alles zuzutrauen. Sie ist so etwas wie eine Art Wundertüte“, sagte Rittner. Dass Kerber wieder mit ihrem alten Coach Torben Beltz arbeitet, begrüßt Rittner. „Angie ist ein Mensch, der sich wohlfühlen muss. Und das wird sie sich an der Seite von Torben.“

Der Wohlfühlfaktor dürfte auch für den Rest der Tennis-Familie entscheidend sein. Wer die Zeit in der sogenannten Blase am besten rumkriegt, dürfte die besten Aussichten auf den Titel haben.

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