Tottenham feiert, Ajax trauert

„Danke, Fußball!“ Die zweite magische Nacht in der Champions League innerhalb von 24 Stunden

Um Europas Krone streiten sich zwei „Wunder-Macher“: Nach Liverpool kämpft sich auch Tottenham Hotspur mit einer nicht für möglich gehaltenen Aufholjagd gegen Ajax Amsterdam ins Champions-League-Finale.

London /SID - Die tief enttäuschten Jungstars von Ajax Amsterdam betrauerten in der Kabine still ihr tragisches Scheitern, als die Helden von Tottenham Hotspur nur wenige Meter entfernt den unüberhörbaren Startschuss für eine lange Partynacht gaben. Mit den englischen Evergreens „Wonderwall“ und „Sweet Caroline“ sowie vielen Flaschen Bier feierten die Spurs ausgelassen das zweite Champions-League-Wunder innerhalb von 24 Stunden.

Teammanager Mauricio Pochettino hatte das erste Bier schon auf dem Rasen der Amsterdamer Arena geköpft. Auch zur Beruhigung, denn der Argentinier war nach Tottenhams nicht für möglich gehaltener Aufholjagd beim spektakulären 3:2(0:2)-Sieg im Halbfinal-Rückspiel, diesem „Mahlstrom aus Drama und Intrige, Wendungen und Bredouillen“ (The Independent), von seinen Gefühlen übermannt worden. Er sank in seiner azurblauen Garderobe zu Boden, Tränen liefen ihm fortwährend übers Gesicht.

„Danke, Fußball! Danke, Jungs! Meine Spieler sind Helden. Und Lucas ist ein Superheld“, sagte Pochettino ergriffen über das unglaubliche Comeback: „Das ist sehr nahe dran an einem Wunder. Niemand hat an uns geglaubt.“ Nach dem 0:2 benötigten die Spurs, die das Hinspiel zu Hause 0:1 verloren hatten, drei Tore zum Finaleinzug – und Lucas Moura sorgte mit seinem Hattrick (55., 59. und 90.+6) für diese Punktlandung.

„Ich hoffe, sie bauen ihm eine Statue in England“, sagte Spielmacher Christian Eriksen über den brasilianischen Nationalspieler. Der Matchwinner war schon froh, dass er sich nach dem Abpfiff den Ball sichern konnte, er wird einen Ehrenplatz im Hause Moura bekommen. „Seit ich klein war, habe ich von der Champions League geträumt“, sagte der 26-Jährige. Vielleicht half Tottenham auch das famose Comeback des FC Liverpool einen Tag zuvor gegen den FC Barcelona (4:0), immer weiter an sich zu glauben. So oder so: Im englischen Finale der Königsklasse am 1. Juni in Madrid greifen zwei „Wunder-Macher“ nach Europas Krone.

Für das hochgelobte Ajax-Team endete das Europacup-Märchen dagegen mit einem schmerzhaften Dämpfer. Nicht so sehr das verpasste Endspiel, sondern die Art und Weise des Ausscheidens schockte die Niederlande. „Bezaubernd war die Siegesserie, richtig berauschend. Vernichtend war der finale Stoß“, schrieb die Zeitung „Trouw“ treffend. Trainer Erik ten Hag stellte konsterniert fest: „Fußball kann brutal sein.“ 22 Treffer haben Hakim Ziyech und Co. in dieser Champions-League-Saison geschossen, mehr als die legendäre Siegermannschaft von 1995. Die Sympathien waren dem talentierten Team um Wirbelwind Ziyech, Abwehrboss Matthijs de Ligt und Spielmacher Frenkie de Jong nur so zugeflogen, doch gegen Tottenham starb Ajax in Schönheit.

„Um besondere Spiele zu gewinnen, muss man manchmal gegen seine Philosophie handeln“, kritisierte Trainer-Ikone José Mourinho als Experte bei beIN Sport: „Sie haben in der zweiten Halbzeit gespielt wie gegen Vitesse in der niederländischen Liga.“ Die besten Spieler werden Ajax nun ohne den ganz großen Coup verlassen.

Auch Tottenham steht womöglich vor einem Umbruch, weil Teammanager Pochettino mit einem Abgang kokettiert – auch nach dem Halbfinalsieg. In der Vergangenheit war Bayern München als möglicher neuer Club für den Argentinier gehandelt worden. Sein Abschied wäre ein herber Verlust für den Tabellenvierten der Premier League. Im vergangenen Sommer gab der Teammanager völlig entgegen des Ligatrends keinen einzigen (!) Euro für neue Spieler aus.

Der frühere Tottenham-Stürmer Jürgen Klinsmann schwärmte von einer „unvergesslichen Nacht in Amsterdam“, im TV-Studio von BT Sport rasteten die früheren Nationalspieler Gary Lineker, Rio Ferdinand und Glenn Hoddle förmlich aus. Spurs-Legende Hoddle hatte sich gerade erst von einem Herzinfarkt erholt, also fragte Lineker: „Glenn, geht es Dir gut?“ Ja, antwortete dieser, „ich war noch nie glücklicher.“