Wende in der Hölle?

Tennisstar Alexander Zverev will endlich bei einem Grand-Slam-Turnier überzeugen– gelingt ihm das im Brutofen Australian Open?

Von Jörg Allmeroth

Angeschlagene Boxer sind am gefährlichsten, heißt es. Gilt das auch für Tennisprofis? Alexander Zverev geht mit Sorgen ins erste Grand-Slam-Turnier – was sogar eine Chance sein kann.

Melbourne Als die ehemaligen Stars und Sternchen der Tennisszene in den letzten Tagen zu ihren Prognosen für die Australian Open befragt wurden, da lag Alexander Zverev bei den meisten Experten weit vorn. Allerdings aus Gründen, die ihm nicht gefallen konnten. Denn Zverev nahm eine Spitzenstellung nur in der Hitliste der Kandidaten ein, die als erste einer größeren Überraschung zum Opfer fallen könnten.

Kaum einer nannte Zverev als Titelkandidaten für die Grand-Slam-Prüfung in Melbourne, viele waren eher skeptisch, ob der junge Deutsche überhaupt die erste Turnierwoche Down Under überstehen würde. „Die Skepsis, was die Grand-Slam-Performance von Alexander Zverev angeht, hat sich offenbar ins neue Jahr hinübergerettet“, sagt etwa der frühere Weltranglisten-Erste Mats Wilander, der inzwischen für den TV-Sender Eurosport die Centre-Court-Angelegenheiten betrachtet.

Tatsächlich werden die Grand-Slam-Turniere im Tenniszirkus mehr denn je als eine eigene, abgeschlossene Welt betrachtet, mit eigener Wertigkeit, mit eigenem Herausforderungsprofil. Zverev mag der ATP-Weltmeister sein, aber die Major-Turniere waren bisher größtenteils ein enormes Rätsel für den 21-jährigen Hamburger – sowohl was den äußeren wie auch inneren Erwartungsdruck angeht. Dieser Last wird Zverev auch in Melbourne nicht entgehen, es klingt da eher wie ein frommer Wunsch, wenn der Weltranglisten-Vierte bekundet, er wolle „einfach Spaß daran haben, möglichst viele Spiele zu machen“.

Die Hoffnungen und Ziele klein zu halten, hat Zverev auch andernorts auf Grand-Slam-Schauplätzen probiert, es hat wenig geholfen. Bei den US Open scheiterte er zuletzt gegen den Landsmann Philipp Kohlschreiber in einem bitteren Karrieremoment, statt erstmals in der zweiten New Yorker Woche mitzumischen, verließ Zverev das Feld in gedemütigter Verfassung. Die Vorbereitungen des stolzen Champions der Londoner ATP-Feierlichkeiten auf das Jahr 2019 und dessen ersten, wie stets zu frühen Saison-Höhepunkt verliefen dann zwiespältig.

Der harten, guten Trainingsarbeit in Monte Carlo folgte das Gastspiel beim Hopman-Cup in Perth an der Seite von Angelique Kerber, das Ganze endete in einem verlorenen Matchball-Drama im Finale gegen die Schweiz. Zverev zog sich in diesem Endspiel eine leichte Oberschenkelblessur zu, später knickte er in einem Showmatch mit dem Knöchel um – nichts, was man im Vorlauf zum komplexen Grand-Slam-Auftritt in Melbourne braucht, in der höllischen Wetterküche im National Tennis Center. Er habe „keine großen Sorgen“, sagte Zverev, aber wie gelöst, locker und leicht er ans Handwerk gehen kann, wird man erst an diesem Dienstag sehen, in der ersten Runde gegen den unbequemen Slowenen Aljaz Bedene.

Möglich ist zweierlei, eine eher freundliche oder eine eher düstere Deutung: Zverev könnte, die Verletzungsprobleme im Hinterkopf, befreit aufspielen. Ganz einfach, weil niemand Großartiges von ihm erwartet, er selbst auch nicht. Andererseits braucht es nirgends mehr ein vollkommenes Vertrauen in den eigenen Körper, den kompromisslosen Glauben an die volle Leistungsfähigkeit als in Melbourne. Dort, wo Hitze und höllische Wetterkapriolen den Artisten des Wanderzirkus traditionell schwer zusetzen.

„Sascha Zverev darf in den frühen Matches nicht zu viel Energie vergeuden“, sagt Boris Becker, der Abteilungsleiter des deutschen Herrentennis. Er, der Held und Gescheiterte vieler hochdramatischer Melbourne-Kämpfe, mahnt zu mehr Realismus: „Er ist einfach noch ein Spieler in der Entwicklung, er muss auch noch seinen Weg bei den Grand Slams finden.“