Nationalmannschaft

WM-Titel? – Julian Nagelsmann steht plötzlich als Träumer da

Nach der Blamage in der Slowakei nimmt die Kritik am Bundestrainer zu – und die DFB-Elf muss vor dem Heimspiel gegen Nordirland um die WM-Qualifikation fürchten.

WM-Titel? – Julian Nagelsmann steht plötzlich als Träumer da

Die Enttäuschung ist dem Bundestrainer Julian Nagelsmann in das Gesicht geschrieben.

Von Carlos Ubina

Am Ende war die Taktik des Bundestrainers nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem sie stand. Zerknüllt lag der Zettel mit den Vorgaben bei Abpfiff im deutschen Tor. Nichts davon hatte Julian Nagelsmann auf dem Platz gesehen. Doch was den 38-Jährigen an der Seitenlinie fassungslos machte, war die Teilnahmslosigkeit seines Teams. Denn für Nagelsmann und jeden Zuschauer ging es nach dem 0:2 zum Auftakt der WM-Qualifikation in der Slowakei um die fehlende Emotionalität in der Elf des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) – und nicht um den Mangel an Feinheiten.

Eine Renaissance der deutschen Tugenden hatte der Bundestrainer vor der Blamage von Bratislava ausgerufen. Erfolgshunger, Wille, Laufbereitschaft. Um mit einer stabilen Defensive ein festes Fundament für die WM-Mission zu gießen. Den Titelgewinn im nächsten Jahr hatte Nagelsmann bereits in den vergangenen Monaten wiederholt zum großen Ziel beim Mammutturnier in den USA, Kanada und Mexiko erklärt. Um die Nationalspieler zu motivieren.

Kimmich schlägt Alarm

Doch jetzt steht Nagelsmann mit seinem „American Dream“ als Träumer da, denn die Realität zeigt, dass die DFB-Mannschaft in dieser Verfassung gar um die direkte Qualifikation fürchten muss (in der Relegation steht man über die Nations League bereits sicher). „Wenn wir so auftreten, wird das sicherlich nix mit der Qualifikation. Jeder muss spüren, was auf dem Spiel steht“, sagte der Kapitän Joshua Kimmich.

Als nächstes geht es am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Köln gegen Nordirland, dritter Gruppengegner ist dann Luxemburg – alles vermeintlich leichte Gegner, da sich der deutsche Fußball noch immer in höheren Sphären wähnt. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass die Nationalelf von den vergangenen sechs Spielen nur eines gewonnen hat. Tatsache ist zudem die historische Dimension des Desasters an der Donau. Es war die erste Auswärtsniederlage eines DFB-Teams in der WM-Qualifikation – beim 53. Auftritt.

Auch drei verlorene Pflichtpartien nacheinander gab es noch nie. Zunächst gegen Portugal und Frankreich beim Finalturnier der Nations League und nun nach Toren von David Hancko (42.) und David Strelec (55.) gegen giftige und geschlossene Slowaken, die das Kontrastprogramm zu den Deutschen bildeten. Dabei glaubte man sich noch vor Kurzem auf Augenhöhe mit den Besten.

Ein Trugschluss, wie sich mehr und mehr herausstellt. „Ich kann dieses ewige ‚Qualität, Qualität’ nicht mehr hören. Wir müssen emotional Fußball spielen! In jedem Spiel! Wir haben jetzt noch fünf Spiele, die müssen wir alle gewinnen – und zwar deutlich“, sagte Nagelsmann, der nach der Enttäuschung zum einen mit der eigenen Wut zu kämpfen hatte. Zum anderen hatte er selbst die Ansprüche nach oben geschraubt und ein dominantes Auftreten gefordert.

Kritik an Nagelsmann wächst

Jetzt holen den Bundestrainer die eigenen Worte ein, denn die Kritik an ihm nimmt zu und das Team wirkte überfordert. Nicht nur der Neuling Nnamdi Collins machte auf der rechten Abwehrseite einen bedauernswerten Eindruck, sondern vor allem die erfahrenen Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Jonathan Tah ließen jegliche Klasse vermissen. Allein Maximilian Mittelstädt auf links spielte ordentlich – und musste nach der Pause auf der anderen Seite helfen, so gut es dem Profi des VfB Stuttgart möglich war.

Rechtsverteidiger – eine Position, die Mittelstädt in seiner Profikarriere noch nie eingenommen hat. Lediglich im rechten Mittelfeld kam er schon fünfmal zum Einsatz. Doch der 28-Jährige machte keine große Sache daraus: „Anpassungen gibt es immer und wir haben keine Riesenexperimente gewagt.“ Dennoch offenbarte sich erneut die Leerstelle in der Nationalmannschaft, nachdem der Bundestrainer Kimmich zurück in das zentrale Mittelfeld beordert hat.

Eine Maßnahme, die sich nicht ausgewirkt hat. Das vermeintliche Herzstück mit Kimmich, Angelo Stiller (VfB Stuttgart) und Leon Goretzka (FC Bayern) agierte so blutleer wie der Rest mit dem 240-Millionen-Offensivduo Nick Woltemade (Newcastle United) und Florian Wirtz (FC Liverpool). Erstmals seit Oktober 2001 gelang in der WM-Qualifikation kein Tor (0:0 gegen Finnland).

„Wir brauchen aber nicht über Systeme oder Taktik reden“, meinte Kimmich, „das ist allein eine Einstellungssache.“ Alarmierend ist dabei, dass der Münchner die richtige Haltung schon länger vermisst. Da taugen auch die verletzten Jamal Musiala, Kai Havertz, Marc-André ter Stegen, Nico Schlotterbeck und Tim Kleindienst nicht als Ausrede.

Vieles erinnert somit an den grauen November 2023, als Nagelsmann mit der Nationalelf beim 0:2 in Österreich ein vergleichbares Fiasko erlebte. Danach nahm der Bundestrainer vor der Heim-EM 2024 eine radikale Kurskorrektur vor. Er verzichtete auf Stars, vereinfachte die Taktik und verteilte im Team klare Rollen an Stammspieler und Herausforderer. Und jetzt vor der ersehnten WM 2026 im fernen Amerika? Es gibt keine Alternativen und es bleibt wenig Zeit.